von Kristoffer Leitgeb, 02.11.2019
Sympathische Melodieseligkeit, der nur ihre harmlose Gangart zu oft in die Quere kommt.
Wer anno 2010 in dem relativ überschaubaren Mikrokosmos des Genre-Dreiecks aus Pop-Punk, Emo und Power Pop beheimatet ist, mag sich vielleicht bewusst sein, dass seine erfolgreichsten Tage gezählt sind oder zumindest bald sein werden. Was die Frage aufwirft, wie es sich denn so anfühlt, wenn man einem aussterbenden Musikstil zugerechnet werden kann - etwas, das man wohl auch so manche Post-Grunge- und Nu-Metal-Band einmal fragen sollte. Wahrscheinlich geht es einem aber nicht so wirklich schlecht damit, solange der Erfolg, das Major Label und noch dazu Mark Hoppus da sind, weswegen Motion City Soundtrack im Vorfeld ihrer vierten LP, produziert vom blink-182-Bassisten himself, wahrscheinlich durchaus guter Dinge gewesen sind. Trotzdem sollte das Album ein bisschen härter, ein bisschen ernster, ein bisschen emotionaler als bisherige Versuche geraten. Damit ist zwar nicht wirklich ein nennenswerter Beitrag zum Artenschutz der Genrekollegen gelungen, neben einem imaginären Lorbeerkränzchen, den die Kritiker der Band verliehen haben, bleibt aber immer noch ein solider und irgendwie liebenswerter Auftritt übrig.
Während nun liebenswert ein Terminus ist, der generell selten und von mir eigentlich kategorisch nicht zur Beschreibung von Musik herangezogen wird, bleibt einem bei Motion City Soundtrack nicht viel andere Wahl. "My Dinosaur Life" ist vom ersten Ton an ungefähr so harmlos und dabei noch dazu oft genug geekig, dass man einen Blick auf das eigentlich vorab als simplen Gag wahrgenommene Cover wagt und sich denkt: Ja, das passt. Steigerungswille in puncto Härte und Ernsthaftigkeit hin oder her, wird beinahe durchgehend mit einer beschwingten Leichtigkeit und mit hellem, radiotauglichem Sound musiziert, dass man kaum noch auf die Idee kommt, dass sich Justin Pierre am Mikro seine genretypischen Sorgen von der Seele singt. Natürlich tut er das in etwas wehleidiger Manier, sonst käme das Emo-Label aus dem Nichts, es passt aber dahingehend in den richtigen Moment, wie zum Beispiel Her Words Destroyed My Planet einer ist, viel zusammen. Überhaupt ist man hier geneigt festzustellen, dass die Band alles richtig macht. Der Moog-Synthesizer und ein bisschen Pfeifen drängen sich in den Refrain und machen aus einer an und für sich archetypischen Mid-Tempo-Nummer etwas, das in Weezer-Sphären vordringt und dabei nicht nur deren Verschrobenheit in Erinnerung ruft, sondern insbesondere im großartigen Refrain auch Rivers Cuomos Gefühl für starke Hooks.
Es liegt nun so nahe, sich dieser erfolgreichen Formel hinzugeben und sie ein Album lang durchzuexerzieren. Allein, die Übung gelingt nicht, weil sich Motion City Soundtrack auf vielen dieser Tracks so zahm anhören, dass sich beinahe alles darauf reduziert, wie gerne man Pierres Stimme lauscht und wie überzeugend nun die Melodien wirklich sind. Ersteres ist eigentlich eine sichere Bank, weil der hohe, eingängig melodische Gesang die prägende Konstante ist, die in ruhigeren Minuten wie Stand Too Close und klassischem Hochgeschwindigkeits-Pop-Punk wie dem Opener Worker Bee gleichermaßen überzeugt. Doch zu viel hier klingt letzten Endes durchschnittlich und konturarm, selbst wenn die Band durchaus versucht, mit dem pochenden Bass von A Life Less Ordinary oder dem Indie-Pop von History Lesson für ein paar interessante Akzente zu sorgen. Doch so nett sich hier beinahe alles anhören lässt, interessant wäre definitiv das falsche Wort, um die meisten der gebotenen Tracks zu beschreiben. Stattdessen sind es Standardnummern, die zwar einerseits durchaus versiert ausgestaltet sind, andererseits mit einem solchen Fokus auf leichte Genießbarkeit produziert wurden, dass einem auch in hörenswerteren Minuten wie denen von Skin And Bones hauptsächlich Pierres starke Performance und da insbesondere die Bridge bleiben, um eine gute Vocal Hook und das reichlich austauschbare musikalische Drumherum über den Durchschnitt zu heben.
Man wird dahingehend relativ bald daran erinnert, dass es nicht unbedingt ein neues Weezer, ein neues Fountains Of Wayne, ein neues Say Anything braucht. Und das heißt gar nicht einmal, dass was bereits gut funktioniert hat, nicht reproduziert werden darf. Aber Motion City Soundtrack sitzen hier auf einem Sound, der eine Killerhook nach der anderen oder aber ausnehmend gute Texte verlangen würde, um sich ein Album lang wirklich zu lohnen.
Folglich sind es die untypischeren Minuten, die am ehesten im Gedächtnis bleiben. Für History Lesson, das musikalisch, gesanglich und textlich merkwürdig neben der Spur und entsprechend langweilig klingt, gilt das zwar im Negativen, Disappear und Delirium beleben allerdings die Gegenseite. Ersterer ist der beste Song des Albums, prescht mit unerwarteter Härte und rauen Power Chords nach vorne und erwischt dabei zwar Pierre in den Refrain fast schon ein bisschen atemlos, in den Strophen dafür allerdings in High-Speed-Topform, die reibungslos mit den starken Riffs mitgeht. Delirium geht es etwas anders an, ist aber mit seinen von der Gitarre befreiten Strophen erfrischend eigenwillig und akzentuiert den reichlich düsteren, dem Irrsinn verfallenen Text:
"There's a voice, there's a voice, there's a voice in my head
It's rather soothing and it tells me I'd be better off dead
But if I beat it, maybe punch it, even kick it away
Then everything will be all rightly?"
Das ist nur leider ein ziemlich untypischer Ausschnitt aus diesem Album. "My Dinosaur Life" ist insgesamt ausgesprochen genretypisch. Dabei entgehen Motion City Soundtrack trotz Mark Hoppus im Produzentensessel den typischen Kindereien genauso, wie sie sich nicht sonderlich oft irgendwohin bewegen, wo man ihnen wirklich überzeugende Facetten zusprechen könnte. Das macht die ganze Geschichte nicht weniger ordentlich, nur ist ordentlich auch nicht unbedingt der Gipfel dessen, was ein Album so an Adjektiven abstauben könnte. Für viel mehr reicht es aber nicht, denn die Durchschnittlichkeit begleitet einen durch die Tracklist hindurch und lässt nur sporadisch einmal einen Song auskommen, der sich dann aber auch gleich wirklich großartig präsentiert. Der Rest ist prädestiniert dazu, als Rest dazustehen, auch wenn man sich mit etwas wie dem atmosphärisch gelungenen Closer The Weakends weit mehr anfreunden kann als mit so manch blasser Vorstellung. Der große Wurf ist das also nicht, wobei man bei all dem nie so ganz sicher sein kann, ob es denn wirklich ein großer Wurf sein sollte, oder ob es der Band nicht reicht, sympathisch rüberzukommen und einigermaßen unterhaltsam zu sein.