von Kristoffer Leitgeb, 25.04.2020
Vielschichtig, gefühlvoll, stilsicher, aber noch nicht am Ziel.
Ich bin dann mit meinem Latein auch bald einmal am Ende. Natürlich kann man einfach sagen, dass das herzlich egal ist, nachdem kein hier veröffentlichter Review jemals in lateinischer Sprache verfasst wurde. Das hilft jedoch nicht bei der Auflösung des aktuellen Problems, einer Künstlerin wie Mitski die richtigen Worte zu widmen. Keine Ahnung, was sie gerne hören oder lesen würde. Normalerweise ist das ja komplett nebensächlich, weil mir aber auch sonst momentan jegliche Inspiration abgeht, wäre es schön, es wenigstens ihr recht machen zu können. Wird nur nicht passieren, weil die Multidimensionalität der guten Frau es einem verdammt schwer macht. Es ist jetzt nicht so dramatisch, dass man Mitski künstlerische nicht doch einer groben Einordnung in bekannte stilistische Muster unterziehen könnte. Ein bisschen Indie, ein bisschen Lo-Fi, ein bisschen punkig, ein bisschen dreamig, ein bisschen grungig. Daraus lassen sich schon Muster ableiten, die annähernd beschreiben, was denn da vor sich geht. Aber ist das wirklich genug, um irgendjemandem genug darüber zu sagen, warum "Puberty 2" überzeugt, vereinnahmt, unterhält, anregt, anstrengt und doch vereinzelt einfach nur auslässt? Mitnichten!
Und deswegen muss das hier weitergehen und zwar in die Tiefe. Dieser nähert man sich hier der Einfachheit halber rückwärts und damit ausgehend vom chronologischen Nachfolger, dem eindrucksvollen "Be A Cowboy". Weil der klanglich klarer, reiner und mit mehr Nähe zur poppig-synthetischen Farbenfreude gestaltet war, als es in Mitskis Karriere bis dahin der Fall gewesen wäre, war er eine Art Wendepunkt. "Puberty 2" liegt damit vor der Wende, ist noch deutlich eher dem DIY-Ethos der frühen Alben verpflichtet, gleichzeitig aber wiederum ein deutlicher Schritt in Richtung klassischer Studioarbeit, verfeinerter Soundkonstruktionen und damit einem Album um des Albums willen. Daraus ergibt sich ein Zwischenwerk, dem noch Spuren des Live- und Lo-Fi-Feelings der Vorgänger innewohnen, das aber trotzdem von Feinheiten und einer Präzision durchzogen ist, die nach mehr klingt. So weit, so diffus. Etwas konkreter wird die Sache mit einem Blick auf Opener Happy. Der bringt mit seiner ungewohnten Mischung aus synthetischer Percussion, leichten Keys und Saxophon vorerst wenig rockiges Feeling mit, mutiert aber zur Songmitte zum lockeren Pop-Rock mit starker Hook und 60er-Feeling.
Typisch sollte das für die LP allerdings nicht sein. In all Ihrer Kürze stellt sich die Tracklist nämlich als effektive Gegenüberstellung lauten und leisen, auf die Gitarre fokussierten Musizierens dar. Irgendwo zwischen Pixies, 90er-Dream-Pop und ein bisschen neumodischerer Indie-Zurückhaltung. Bestenfalls endet das wie im gefühlvollen, atmosphärischen und doch zunehmend dröhnend lauten Your Best American Girl. Dessen stete Entwicklung vom zart gezupften Intro mit darüber gelegtem, geschmeidigem Flüstern hin zu röhrenden, verzerrten Gitarrenwänden und druckvollen Drums klassische Grunge-Muster in ein harmonisches, vor allem von Mitskis leidenschaftlicher Gesangsperformance getragenen Ganzes verwandelt. Dass sich zu dem noch textlich ihre charakteristische Mischung aus romantischer Sehnsucht, Unsicherheit und Identitätssuche gesellt, ist eine willkommene Draufgabe. Was diese Minuten und auch andere überzeugende Stücke hier auszeichnet, ist diese Kombination aus mühelosem, direktem und doch akzentreichem Musizieren auf der einen, poetischer und doch unkaschierter Emotionalität auf der anderen Seite. Fireworks, Dan The Dancer, My Body's Made Of Crushed Little Stars, A Loving Feeling. Nicht großartig genug, um einem als der Gipfel des Erreichbaren zu erscheinen, aber durchgehend überzeugend, eingängig und mit so manch denkwürdiger Zeile, darunter eine Songeröffnung wie "What do you do with a loving feeling, if the loving feeling makes you all alone".
Die Symbiose aus rauem Klang, Mitskis ausdrucksstarker, kraftvoller und mühelos zwischen kristallklarer, ruhiger Zerbrechlichkeit und lauter Eindringlichkeit wechselnder Stimme und Hooks mit Draht zu den 60ern geht da in jedem dieser Fälle auf. Umso mehr, weil sich das soundtechnisch mit einer starken Vermengung unterschiedlicher Einflüsse paart. Punkige Härte trifft auf Surf-Rock-Riffs, folkige Ruhe oder doch wieder dem Dream Pop entnommenes, mäanderndes Dröhnen, manchmal sogar zumindest gesanglichen Blues- und R&B-Anflügen. Da kann man dann nicht so viel mehr wollen.
Außer vielleicht, dass das auch wirklich ein ohnehin nicht allzu langes Album wirklich durchgehend in effektiver Form praktiziert wird. "Puberty 2" leidet dahingehend jedoch an zweierlei. Einerseits fehlen die Tracks, die einen wirklich vollends vom Hocker reißen, was aufgrund der Anzahl starker Tracks, der ökonomischen Songlängen und der damit verbundenen Absenz jeglicher Form der Langeweile leicht zu verschmerzen ist. Etwas schwieriger wird es mit den doch auftauchenden, zäheren Brocken. Thursday Girl zählt dazu, dümpelt es doch selbst mit einer anfangs überzeugenden Vorstellung von Mitski am Mikrofon akzentarm dahin und ist spätestens mit dem faden instrumentalen Abschluss viel weiter von einem atmosphärischen Ganzen entfernt, als es gerne wäre. Um auch ganz deutlich zu machen, dass das niedrigere Tempo der Singer-Songwriterin wirklich nicht sonderlich gut tut, wird man schon früher mit Once More To See You beglückt. Ein unbewegliches Kaliber, das außer einer dahintrottenden Rhythm Section wenig anbietet und sich beinahe gänzlich auf eine tatsächlich starke Gesangsdarbietung verlässt, dabei aber eindeutig darauf vergisst, dass Atmosphäre und Emotion besser doch auch anderweitig unterstützt und nicht bombardiert werden sollten.
Das stört merklich, weil man ja doch nur elf Songs zur Auswahl hat und damit jeder einzelne zählt. Aber auch, weil der intim-ruhige Klang des Closers A Burning Hill zeigt, dass es ja ziemlich dezent auch geht, ohne dass man da Mitskis vereinnahmende Qualitäten gleich komplett abschreiben müsste. Trotzdem äußern sie sich in einem schnelleren, dynamischeren, generell lauteren Setting weit eher, weswegen es schon viel für sich hat, dass Mitski auf "Puberty 2" oft genug genau darauf setzt. Mit mehr Feinheit und Präzision als zuvor, aber immer noch spürbar rohem und kantigem Unterboden. Mit zunehmendem Varianten- und Facettenreichtum, aber dennoch dem rau-punkigem musikalischen Fundament. Und mit vermehrter lyrischer Finesse, die nichtsdestotrotz kaum einmal ihre emotionale Direktheit einbüßt. Bei all dem wartet man zwar vergeblich darauf, wirklich überwältigt zu werden von dem, was sich abspielt, das ändert jedoch nichts daran, dass die vierte LP der US-Amerikanerin mit den japanischen Wurzeln einen durchwegs positiven und bleibenden Eindruck hinterlässt, sodass man vielleicht gar nicht so genau weiß, was man dazu sagen soll.