von Mathias Haden, 16.09.2015
Hemmungsloser Neustart, der das neue Bewusstsein leider nur partiell ins rechte Licht zu rücken vermag.
Achtung, Achtung: Hier bahnt sich ein Arschkick in die Gesäße der Konservativen und der Ewiggestrigen an, wird ein neonfarbener Mittelfinger direkt ins Gesicht des verklemmten Alltagschauvinisten gestreckt. Das Leben ist eine Party, nehmt es doch for fuck's sake nicht so bierernst. Während der Rock 'n' Roll ohne reelle Hoffnung auf Genesung im Koma vor sich hin verwest, ist endlich mal wieder der Pop gefragt, dem kleinkarierten, bornierten Musikbusiness in all seiner Makellosigkeit, festgelegten Rollenverteilung und scheinheiligen Heuchelei so richtig Feuer unterm Hintern zu machen. Waren es einst die Punks um die Ramones, die dem vorherrschenden, kantenfreien Stadionrock aus dem Hause Pink Floyd und Co. mit aufs Wesentliche getrimmten Hymnen im wahrsten Sinne des Wortes The Wall einrissen, so schwingt sich Miley Cyrus Jahrzehnte später ohne Rücksicht auf Verluste direkt auf die Abrissbirne gen Bollwerk des reaktionär biederen Spießbürgertums.
Was sich auf den ersten Blick wie eine Parodie auf die heute besprochene Künstlerin liest, birgt genaugenommen exakt gegensätzliche Intention und trägt die ehemalige Hannah Montana auf Schultern durch die Halle der Revoluzzer für Meinungsfreiheit und Selbsterfüllung. Gewiss, man muss ihrer bemüht abgedrehten Selbstinszenierung als laszive Femme Fatale nicht zwangsläufig mit schallendem Beifall entgegentreten, wenn sie in der Öffentlichkeit blank zieht oder auf der Bühne Marihuana konsumiert. Klar ist aber auch: hier traut sich endlich mal jemand, dem prüden Amerika in seinen unmodernen Illusionen mit obszönen Gesten in die Suppe zu spucken, die Fahne für längst verstaubte Ideale zu schwenken - und das ist gut so.
Nun bringt uns dies auch direkt ins Jahr 2013 und zu einem offensichtlichen Wendepunkt in der nach wie vor jungen Karriere des ehemaligen Disneystars. Mit der vierten LP unter dem Namen Miley Cyrus wollte die damals Zwanzigjährige den Restart-Button betätigen, sich endgültig vom Sound früherer Teen-Pop-Tage verabschieden. Wie gut dies dem chronischen Unruhestifter gelingt, davon legt der Einstieg direkt Zeugnis ab. Auf Adore You stellt sie rasch unter Beweis, dass sie mit ihrem Alter Ego auch ihr dünnes Stimmchen hinter sich zurückgelassen hat. Auf den Spuren von Madonna singt sich Cyrus diese berührende Ballade von der Seele, die bereits mehr Emotion und Hingabe vereint, als es die etlichen Jahre zuvor in Kombination vollbracht hätten. Der Overkill folgt allerdings mit We Can't Stop, einer dieser Nummern, die besonders im Zusammenspiel mit ihrem überdrehten, jegliche Hemmung längst verdrängenden Video sein Potenzial entfalten kann. Nein, kein Witz, dieser mit hübscher Piano-Line und mächtigem Elektrobeat ausgerüstete, Carpe-Diem-Dance-Pop-Hammer hätte gute Chancen, als Single des Jahres durchzugehen - nur der nächste Punkt für Miley vs. them Haterz: "We run things / Things don't run we!"
Was so grandios seinen Anfang nahm, gerät in der Folge allerdings rasch zum Hit and Miss im durchwachsenen, überkandidelten Pop-Dschungel. Eine Perle wie das allseits zur Gänze bekannte Wrecking Ball ist freilich leicht auszumachen, hat Cyrus hier mit ihren drei ausgekoppelten Singles jeweils voll ins Schwarze getroffen. Mit seiner Mischung aus herrlich flimmernden Keyboardtupfern und ihrer bis dato beeindruckendsten Gesangsleistung ist das allerdings auch eine Schlacht, die schon in ihren einleitenden Takten gewonnen scheint, mit jeder Sekunde nur noch weitere Intensität akkumuliert und in erster Instanz aber wichtige Punkte sammelt für eine LP, die bis zur letzten Note einen wackeren Wettlauf gegen die Zeit zu bestehen hat. Denn so sehr man ihr auch für die drei Höhepunkte, zu denen im kleineren Rahmen auch noch das funkige #GetItRight oder Maybe You're Right gezählt werden dürfen, auf die Schultern klopfen möchte, auf Bangerz befindet sich leider auch genug Grütze. Angefangen bei FU, dessen Titel (Abkürzung für Fuck You) zwar schon eine gewisse Angriffslustigkeit verspricht, diese aber in banalsten Zeilen und kümmerlicher Elektronik mutwillig ertränkt, beweist die gute Miley hier, dass sie ihr verfeinertes Pop-Verständnis doch noch nicht so recht unter Kontrolle hat. So tönen Tracks wie Love, Money, Party oder SMS (Bangerz) mitsamt ihren wenig motivierten Gastauftritten (Ausnahme: Future) ähnlich inspiriert wie ihre oberflächlichen Titel, können idiotensichere Messages und 08/15-Produktionen auch nicht hinter fehlenden Killer-Hooks verstecken.
Am Ende bekräftigt die Protagonistin noch einmal sich selbst und unsere Eindrücke, erklärt voller Überzeugung und flirrender Elektronikspielereien "I've turned into someone else" und zieht den Vorhang hinter sich zu. Zurück bleibt man mit der Gewissheit, sich seine Geduld mit einigen der besten Pop-Perlen des Jahres belohnt zu haben, aber dementsprechend auch Ernüchterung ob der vergebenen Chance, hier ein Album aufzunehmen, bei dem die Kluft zwischen Gut und Schlecht nicht eine derart tiefe ist. Eine Empfehlung bleibt Bangerz indes trotzdem - und sei es nur für seine besten Minuten, die leider nicht über seine schwächsten hinwegtäuschen können; in Zeiten von Youtube, Spotify und Co. ohnedies ein Leichtes, die Spreu vom Weizen zu trennen. Nur wie und wo man sich auch bedient: Bitte die Musik sprechen lassen und Miley eine Chance geben, nicht den hier angeprangerten, stereotypischen Fraktionen überflüssigen Zuwachs gewähren!