von Kristoffer Leitgeb, 11.01.2020
Unbescheidene Anfänge mit Glam in ganz großen Lettern und ausbaufähiger Selbstkontrolle.
So ganz lässt sich das eigentlich gerade mal ein Jahr andauernde Phänomen MIKA nicht erklären, wie mir scheint. Aber vielleicht bietet sich ja hier wieder einmal die Gelegenheit, vom Auftauchen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu reden. Denn die Briten hatten anno dazumal damit zu kämpfen, dass ihr damaliger Showman des Vertrauens, Robbie Williams, gerade mit seiner letzten LP einigermaßen gefloppt war, weswegen sich die Gelegenheit ergab, ein entstandenes Vakuum zu füllen. Im Lichte dieser Aufgabe sei es MIKA auch verziehen, dass er sich einen Künstlernamen zugelegt und nicht als Michael Holbrook Penniman Jr. durch die Lande gezogen ist. Etwas schwerer könnte es fallen, ihm all seine musikalischen Sünden zu vergeben, auch wenn genau die den durchschlagenden Erfolg gebracht haben, den der Brite kurzzeitig feiern durfte. Nachdem aber der Zweck nicht alle Mittel heiligt, steht der mit Unmengen an Glitzer bestreute Glam-Pop, den man vom ersten Song an zu hören bekommen hat, definitiv noch zur Debatte. Und das ist eine, die sich mit "Life In Cartoon Motion" nicht beenden lassen wird.
Denn diese LP kämpft mit den gleichen Problemen wie auch Nachfolger "The Boy Who Knew Too Much" und also mit einem Zuviel von so ziemlich allem, was den dahinterstehenden Künstler ausmacht. Hier passiert das womöglich in noch eklatanterer Form, wodurch man sich auf eine reichlich schwierige Erfahrung gefasst machen muss. MIKA ist der Herr über so manch großartige Melodie, kann mit einer potenziell großartigen Stimme aufwarten und lebt inmitten seines in bunten Farben schimmernden Pop-Theaters auf wie ein Goldfisch im Glas. Das klingt erst einmal nach verdammt guten Voraussetzungen für eine großartige musikalische Party, die das Beste aus den überdeutlichen Einflüssen des Briten herausholt. Die Realität begegnet einem allerdings schon mit dem bei weitem größten aller Hits aus seiner Feder, also Grace Kelly. Dieser Spagat zwischen Elton John, Queen und den Scissor Sisters klingt schon auf dem Papier nach einer Aufgabe ähnlich der Quadratur des Kreises. Und letztlich dürfte sie auch so kaum lösbar sein, auch wenn man das Schauspiel so nicht und nicht schlecht finden kann, weil MIKA mit seiner Stimme allzu locker zwischen exaltierter Coolness und seinem charakteristischen Falsett herumspringt, darin auch noch eine charmante Hook verpackt und das Drumherum immerhin in den Strophen ein bisschen Freiraum bietet. Doch diese verstörend aufdringliche lebenslustige Feierstimmung, die der erste Refrain mitbringt, gestaltet sich mit jeder Minute, die der Song andauert, schwieriger und schwieriger. Es beschleicht einen das Gefühl, irgendwo zwischen schlagerartiger Schunkelmentalität, einem Kindergeburtstag und der realitätsfremden, idealisierten Fröhlichkeit eines unwillkommenen Broadway-Musicals gelandet zu sein. Und das ist kein Platz, an dem man landen will.
Während Grace Kelly aufhört, bevor sich dieser Eindruck wirklich verfestigen kann, und damit gerade noch überlebt, gelingt dieses Kunststück dem verstörend dumpfen, mit seinem kitschigen Kinderchor hausieren gehenden Lollipop nicht einmal annähernd. Und weil es der penetranten Up-Beat-Minuten noch lange nicht genug ist, wird man wenig später auch noch mit Love Today konfrontiert, das sich genauso auf die simpelste vorstellbare Klavier-Vorstellung, einen banalen Beat und das energiegeladene Falsett von MIKA stützt. Das ist kein Erfolgsrezept, weswegen sich Love Today auch nur deswegen um einiges besser schlägt, weil die pflichtschuldig eingestreute Gitarre und die daraus hervorgelockten, kernigen Riffs tatsächlich gut genug klingen, um der dominanten Stimme einigermaßen Paroli bieten zu können.
Wirklich zu empfehlen ist all das trotzdem nicht, was zu der definitiv merkwürdigen Feststellung führt, dass der beste der in Feierlaune ertrinkenden Songs Big Girls (You Are Beautiful) heißt. Das liegt sicherlich nicht an dessen möglichst zu ignorierenden Lyrics, sondern eher daran, dass der dezent funkige Disco- und New-Wave-Touch so ziemlich das Stimmigste ist, was das Album an der Up-Tempo-Front hervorbringt. Das geht sogar so weit, dass sich auch der Background Chor im Refrain gar nicht so schlecht macht. Das allein ändert aber wenig daran, dass man mit dieser äußerst prominenten Facette in MIKAs Musik nicht wirklich warm wird, genauso wie man sie nicht einfach so als schrecklich abtun könnte. Da steckt oft so viel potenziell Gutes drinnen, dass es eher enttäuschend ist, wie sehr all das begraben wird unter der dicken Produktionsdecke, dem zugegebenermaßen oft genug imposanten Gesang und einer zügellosen Theatralik. Was könnte da mehr herausschauen als durchschnittliches Liedgut?
Um dieser Frage auf den Grund gehen zu können, braucht es einen Blick auf die eine oder andere Abzweigung in der ohnehin ziemlich bunten und abwechslungsreichen stilistischen Suppe, die MIKA zusammenbraut. Relax, Take It Easy ist dahingehend der erfolgreichste Schritt weg von der unbändigen Fröhlichkeit und Penetranz. Zwar bedeutet das nicht gleich große Zurückhaltung, doch der leichtgewichtige Dance-Pop findet einen entspannteren, dem Titel verpflichteten Vibe, der MIKA auch dazu verhilft, sein Falsett einmal in charmanter Form einzubringen. Schwebt er nämlich gesanglich gemütlich durch den Song, wie ihm das im Refrain gelingt, ist jede nervige Qualität seiner Stimme vergessen und man fühlt sich an eine zurückhaltendere Version der Bee Gees erinnert. Immer noch glitzernder Pop, aber mit einer verführerisch entspannten Annäherung an die Disco-Zeiten. In der zweiten Albumhälfte lernt man dann, dass auch sentimentale Töne durchaus gelingen können. Any Other World ist ein gelungener ernsterer Moment, reduziert das musikalische Spektakel auf das Klavier und Streicher, deren theatralische Wechsel zwischen sanftem Hintergrundbegleitung und kurzen dramatischen Stakkatos den Song stark akzentuieren. Da kann man nicht mehr allzu viel aussetzen, auch wenn sich der komplett deplatzierte Kinderchor kaum verschmerzen lässt.
Das Gerede von einem etwaigen Höhepunkt kann man sich aber ohnehin bis ganz zum Schluss sparen. Da setzt Happy Ending und damit ein bittersüßer Closer ein, der für einmal MIKAs theatralische Tendenzen genau richtig kanalisiert. Großspurig bleibt er dabei durchaus, wenn er seinem Klavier nicht nur lautstarke Streicher zur Seite stellt, sondern mit dem Chor auch in Richtung Gospel abwandert. Doch dank der großartigen gesanglichen Vorstellung und einem ideal austarierten Arrangement ist es ein glorreicher Auftritt. Übrigens einer, der dann sogar noch mit einem Hidden Track komplimentiert wird. Für Over My Shoulder lohnt sich das Warten, denn der Closer kann zuallermindest den endgültigen Beweis erbringen, dass MIKA stimmlich einiges mitbringt, ist aber in Wahrheit ein emotionaler Höhepunkt, der komplett von jedem Pomp und Glitzer losgelöst ist, stattdessen ausschließlich das zerbrechliche Falsett und das begleitende Klavier in den Mittelpunkt rückt.
So etwas bräuchte es hier viel, viel öfter, um einem "Life In Cartoon Motion" wirklich durchgehend schmackhaft zu machen. Stattdessen kämpft man vor allem in der ersten Albumhälfte mit der erdrückenden, lauten Extrovertiertheit, die die Musik des Briten prägt. Würden sich hinter all dem nicht immer noch musikalische Qualitäten verstecken, würde man es wohl da bereits aufgeben, einfach weil diese Rückbesinnung auf Queen und Elton John zu sehr auf Show und musikalische Reizüberflutung setzt, anstatt auf subtilere Methoden zu bauen. Man muss also schon einiges zähneknirschend in Kauf nehmen, um sich mit einigen dieser Songs arrangieren zu können, was aber allein deswegen doch meistens gelingt, weil es dem Singer-Songwriter weder stimmlich noch an guten Melodien mangelt. Wirklich ins Schwärmen gerät man trotzdem selten und definitiv dann, wenn MIKA sich traut, seine Erfolgsformel abzuwandeln und abzuschwächen, sodass man dem Kern der Sache näherkommt. Dort findet man dann mal etwas Entspannung, mal etwas Sentimentalität und ein unverkennbares Gefühl für die richtigen Handgriffe. Die entschädigen dann ganz schnell dafür, dass ihm dieses Gefühl oft genug abhandenkommt.