von Kristoffer Leitgeb, 25.03.2018
Genre-Wegweiser voll spielerischem Können, roher Gewalt und der Alternativlosigkeit des Main Riffs.
Selten hat es innerhalb eines Genres zur gleichen Zeit zwei so komplett auseinanderklaffende Strömungen gegeben wie im Metal der frühen 80er. Während die einen dem unwiderstehlichen Make-Up von Gene Simmons und Konsorten erlegen sind, ergo dem massentauglichen, oft synthetisch begleiteten und nur mehr in Maßen als hart zu bezeichenden Glam Metal frönten, waren die anderen Brüder im Geiste des Hardcore Punk. Unbändige Mähnen, Lederjacken, zerschmetterte Instrumente - sofern budgetär machbar -, verrauchte Locations und garantierte Peitschenschlagsyndrome für alle. Man sollte es später Thrash Metal nennen, manche zweigten auch zum verhältnismäßig sauberen, melodieaffinen Speed Metal ab. Irgendwo in diesem buchstäblichen Dunstkreis, der musikalisch letztlich Heavy Metal auf Kokain bedeutete, starteten auch Metallica, damals noch relativ unbeachtet von der Fachwelt außerhalb der Genreenthusiasten, von der kaufenden Masse gar nicht zu sprechen. Ob nun im Rampenlicht oder nicht, die Show, die die US-Amerikaner damals zu bieten hatten, brachte mehr als nur die Bühne zum Beben.
Das hat auch damit zu tun, dass die Musik einfach zu laut geraten ist und deswegen sicher auch umliegende Gebäude zwangsevakuiert werden mussten, um Gefahren für Leib und Leben abzuwenden. Dem Kern des Reviews kommen wir aber näher, wenn der Blick auf die richtungsweisende Spielart auf "Kill 'Em All" gerichtet wird. Nun sind Metallica nachweislich nicht die einsamen Pioniere, die sich mutig vorwagten, wenn es darum ging, dem schwergewichtigen Metal, den die Briten der Welt geschenkt hatten - übrigens eine zu oft vergessene British Invasion, die da in Wahrheit passiert ist um 1980 herum - einige BPM hinzuzufügen. Und trotzdem ist die leidenschaftliche Unverrückbarkeit ebendieses Konzepts der eindrucksvollste Part des Albums. Das Debüt der Band kann und will nichts anderes, als hämmernde Double-Time-Snares, frenetisches Shredding, lautstarkes Gebell und energiegeladene Soli zum Nonplusultra des musikalischen Schaffens erklären. Ohne jeden Zweifel ist das einförmig, kein einziger dieser Songs, nicht einmal das legendäre Seek & Destroy mit seinem schleppenden Leadriff entgeht diesem Schicksal. Aber dass der Hammer, der da auf dem Cover zu sehen ist, eher in der Kategorie 12-Pfund-Vorschlaghammer anzusiedeln ist, merkt man bereits nach dem untypischen Fade-In, das Opener Hit The Lights einläutet. Da werden Instrumente gefoltert, bis der Eindruck entsteht, man höre den präzise geformtesten Lärm, den es je gegeben hat.
Dass diese Beschreibung vielleicht nicht gar so positiv klingen mag, tut nichts zur Sache. Es ist auf alle Fälle ein Kompliment. Bei aller offenkundigen Finesse, die das Gitarristenduo aus James Hetfield und Kirk Hammett mitbringt, braucht das nämlich Quartett gar keine Minute, um deutlich zu machen, dass man genau die Musik anzubieten gedenkt, die viele einfach nur als Krach abtun. Natürlich sind es in Wahrheit engelsgleiche Harfenklänge, die da den Sechssaitern entlockt werden und so alles von Motorbreath über Whiplash bis zum großartigen Abschluss Metal Militia zum zermürbenden Höllenritt machen. Wobei die zermürbende Qualität so eine Sache ist, der geneigte Hörer kann da genauso gut geschlaucht und von der Wucht weggeblasen übrig bleiben, wie man in den mit Kraft vollgepumpten Auftritten eine Art Lebensader entdecken kann. Für die Band dürfte es eher letzteres sein, denn trotz so manch martialischem Wortschwall irgendwo zwischen Krieg, Mord und Höllenfeuer lebt die LP im Kern textlich von einer euphorischen und reichlich simplen Freude für das Dasein als Metal-Held. Nicht umsonst sind gleich drei Songs direkt dem Musikerleben gewidmet.
Schön und gut, der große Poet war James Hetfield damals definitiv nicht, was den Zeilen, die er da so rau und mit unfassbarem Nachdruck ins Mikro jault, eher mäßigen Wert gibt. Anders gesprochen, bei der Musik spielt die Musik. Folgerichtig hat man bereits damals die Kunst des länglichen Instrumentals gepflegt und damit dem womöglich fähigsten Instrumentalvirtuosen der Band einen Platz auf dem Podest gegeben. Cliff Burton verzerrt seinen Bass auf (Anesthesia) - Pulling Teeth bis zur völligen Unkenntlichkeit, macht damit eigentlich einen auf Guitarero und zeigt ein beeindruckendes Repertoire zwischen sphärischer Melodik und prickelnder Härte auf. Dass man dessen trotzdem schnell überdrüssig wird, hängt vielleicht damit zusammen, dass der fuzzy Sound, den das Wah-Wah Pedal dem Bass aufzwingt, vor allem in der wenig durchdringenden ersten Hälfte lähmende Seiten zeigt. Das bereut man umso mehr, weil mit dem Auftritt von Lars Ulrich und damit den Drums als unerbittlichem Antrieb auch in Burtons Bass zwischenzeitlich neues Leben kommt.
Nachweislich hilft es allerdings, wenn die Band als Band spielt, dementsprechend ein durchdringendes Riff-Stakkato auf die Ohren loslässt und das mit der erdrückenden Schwere der NWOBHM paart. The Four Horsemen funktioniert entsprechend und breitet auf sieben Minuten die vielen Vorzüge von Metallica anno 1983 aus. Während nämlich soundtechnisch von Differenzierung und erkennbaren Nuancen keine Spur ist, lassen die stetigen Rhythmuswechsel und die vom beinahe makellosen Zusammenspiel der beiden Gitarristen kaum Luft zum Atmen, ummanteln einen mit dröhnender, galoppierender Härte. Gleichzeitig bleibt noch genug Raum, um pflichtschuldig Hammett sein Solo zuzugestehen. Der löst die Aufgabe gewohnt bravourös, lässt überhaupt albumumspannend anklingen, dass ihm an der Front an Fingerfertigkeit, Tempo und Präzision nichts vorzumachen ist.
Nichtsdestotrotz kann einen all die Souveränität an der instrumentalen Front nicht darüber hinwegtäuschen, dass die genialen Facetten des Debüts enden wollend sind. Das führt uns zum ursprünglich erkannten Hang zur Monotonie, die hier und da das unbarmherzige, minutenlang sehr ähnlich wirkende Shredding befällt, effektiv also dem Songbau anhaftet. Dass nämlich pünktlich zur gleichen Zeit das Solo einsetzt, davor je nach Tracklänge zwei bis drei Minuten der gleiche Riff runtergeraspelt wird und dem Ganzen zumindest abseits der beiden Siebenminüter The Four Horsemen und Seek & Destroy kaum Variation anzumerken wäre, ist überdeutlich. Dementsprechend beeindruckend ist es eigentlich, wie egal zum Beispiel im Falle von Metal Militia ist, dessen marschierender Riff gerade durch seine gefühlte Endlosigkeit bestens zur Geltung kommt. Irgendwo, namentlich definitiv im wirkungslos sphärisch angelegten Phantom Lord und dem einen dahintrabenden Song, den jede 80er-LP der Band kennt, No Remorse, lebt diesbezüglich weniger auf, stattdessen geht mit dem Tempo auch der durchdringende Charakter des Sounds verloren.
Dieser Charakter - wunderbar begünstigt durch eine Produktion, die außer roher Härte wenig zum Vorschein zu bringen im Stande ist - hat natürlich viel für sich. Es ist der Kern eines ganzen Genres, das zwar ohne jeden Zweifel auch von beeindruckender technischer Genauigkeit und Finesse lebt, trotzdem aber hauptsächlich dort obsiegt, wo Wände erzittern, Köpfe zum pausenlosen Bangen verführt werden und man ein Bild bekommt, wie musikalische Brutalität klingen kann. "Kill 'Em All" erfüllt diese Bedingungen problemlos, macht aber allein deswegen keinen makellosen Eindruck, weil es ebendas nicht ist. Selbst aus der Perspektive dessen, was der Thrash Metal in den frühen 80ern war oder nicht war, ist das Debüt der Amerikaner eben nur ein Rohschnitt für all das, was Metallica noch zu Stande bringen sollten. Für diesen Status kann sich das, was man hier zu hören bekommt, trotzdem hören lassen, sofern man an der akustischen Front nicht zu den Zartbesaiteten zählt.