Metallica - ...And Justice For All

 

...And Justice For All

 

Metallica

Veröffentlichungsdatum: 25.08.1988

 

Rating: 7.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 03.08.2019


Harter und komplexer Exzess in überzeugend unbarmherziger, aber langatmiger Manier.

 

Naturgemäß macht man nicht auf dem Höhepunkt der Entwicklung Halt. Das kommt daher, dass man ja nicht weiß, wann genau der Höhepunkt da ist und ja nach jedem Triumph noch etwas folgen könnte, was umso genialer ist. Folgerichtig ergibt es sich auch in der Musik in beinahe jeder Karriere, die nicht durch das abrupte Ableben eines Künstlers gestoppt wird, dass irgendwann ein Abstieg wartet. Besonders unwillkommen bei gleichzeitig besonders günstigen Chancen dafür ist das, wenn man einmal wirklich ganz oben angekommen ist. Dort gibt es nur Beständigkeit oder den Weg nach unten. Und Beständigkeit ist keine Stärke der meisten Künstler und wenn sie es doch ist, wird das erst ganz schnell langweilig. Also wenn das keine Lose-Lose-Situation ist, dann weiß ich auch nicht. Metallica waren zum Ende der 80er genau dort angekommen, was damit zu tun hat, dass mit nach drei Alben die Liste der Verbesserungsvorschläge, die man an die Band richten konnte, verdammt kurz geworden ist. Trotzdem gedachte man dort, sich an einer weiteren Steigerung des bisher Gebotenen und damit Erreichten zu stemmen. Herausgekommen ist ein erster Knick in der Leistungskurve.

 

Hauptverantwortlich dafür dürfte eine ähnliche Form der Selbstüberschätzung sein, die einige Jahre später auch ein komplett ausuferndes Albumpaar prägen sollte. Für "...And Justice For All" war man in gewisser Weise noch bescheidener und schaffte es, die eigenen Ambitionen auf eine einzige LP zu komprimieren. Gleichzeitig wird man innerhalb weniger Minuten merken, dass hier in Wahrheit wenig komprimiert, sondern fast alles sehr ausgedehnt wurde. Die vierte LP kennt wenige Grenzen, kommt mit einer durchschnittlichen Songlänge von deutlich über sieben Minuten daher und ist letztlich eine Übung darin, wie man möglichst viele Tempowechsel, Soli und andere instrumentale Exzesse in einen Track einbauen kann. Opener Blackened ist dahingehend eigentlich noch zurückhaltend, hört schon nach 6:40 auf und bemüht sich gleich einmal in altbekannter Manier, einen brachialen Main Riff in jedermanns Gedächtnis zu hämmern. Das gelingt einigermaßen, auch wenn dank frenetischem Tempo eher Erinnerungen an die gehetzte Härte von Damage, Inc. als an die legendäre Epik von Master Of Puppets wach werden. Man kann dem Quartett allerdings rein spielerisch wenig vorwerfen. Im Gegenteil ist der eröffnende Track wie auch alle anderen hier ein Mahnmal für die Fähigkeiten der Beteiligten, allen voran jene von Leadgitarrist Kirk Hammett. Allerdings gelingt es nicht ganz, eine erfolgreiche Brücke zu schlagen zwischen der musikalischen und dabei speziell rhythmischen Zügellosigkeit und dem Wunsch nach atmosphärischem, einigermaßen gehaltvollem Liedgut. Blackened ist unheilvoll und meisterlich zusammengebastelt, aber kein emotionales Meisterwerk wie Fade To Black und auch kein cineastisches Spektakel wie Welcome Home (Sanitarium).

 

Teilweise lässt sich das wahrscheinlich damit begründen, dass die Band nicht nur in puncto Songstrukturen über die Stränge geschlagen hat, sondern noch dazu erstmals überwiegend die Produktion des Albums mitbestimmt hat. Soundtechnisch ist das Album entsprechend speziell. Quasi ohne hörbaren Bass, auch weil Jason Newsted offenbar kein Ersatz für den verstorbenen Cliff Burton war, gleichzeitig mit Gitarren, die entweder tief und druckvoll röhren oder in die Höhe entschwinden und dort zwischen schrillem Quietschen und sphärische Soli oszillieren. Und natürlich mit knüppelharten, staubtrockenen Drums, die einem ohne jeden Nachhall entgegenschnalzen. Das ist auf der anderen Seite eine abweisende, brutale Härte, die durchaus atmosphärische, theatralische Wirkung entfaltet. Andererseits beraubt es die Songs eines Großteils ihrer Melodik und ihrer inneren Dramaturgie. Oder anders formuliert: Vieles klingt ein bisschen flach.

Das wiederum ist kein Achsbruch an sich, weil sich Songs wie Eye Of The Beholder oder Harvester Of Sorrow in ihrer schleppenden Gangart auch mit diesem Sound zu epischen Monstern entwickeln und drückende Schwere vermitteln, die sich bestmöglich mit den Lyrics verträgt. Es sind dies jene Momente, in denen man den Begriff Heavy vor dem Metal durchaus zu verstehen beginnt, auch wenn die verrohte Natur der Musik und Hetfields Absage an jegliche Gesangsversuche immer noch nach einer Einordnung in den Thrash Metal schreien. Welche Schublade am Ende auch die richtige sein mag, die Songs sind effektiv, dramatisch und trotz zurückgeschraubtem Tempo nicht ohne Abwechslung.

 

Allerdings könnte es etwas bedeuten, dass man die besten Songs ausschließlich dort findet, wo keine sieben Minuten geknackt werden. Im Gegenteil sind die drei kürzesten Tracks die besten, was sicherlich auch an deren Großartigkeit liegt, jedoch sicherlich genauso damit zusammenhängt, dass ausufernde Fleißaufgaben wie der Titeltrack oder To Live Is To Die eher ermüdenden Charakter haben. Zumindest wird man nicht umhin kommen, nach drei Minuten, davon zwei rein instrumentaler Natur und dabei schon das erste längliche Gitarrensolo, die restliche Laufzeit gleichermaßen eingeschüchtert und in Erwartung eines zähen Spektakels hinzunehmen. Und das ist es dann auch. To Live Is To Die ist zuallererst ermüdend, dann virtuos und dann ein bisschen fragwürdig, weil sich kein Grund finden lässt, warum dieser ausufernde Song so ist, wie er ist. Die Gitarrensoli und nicht enden wollenden Instrumentalpassagen sorgen zumindest nicht für einen atmosphärischen Gewinn und werden auch klanglich nicht so aufbereitet, dass man wirklich zum Genießen kommt. Also ultimativ eine etwas unnötige Spielerei.

 

Deswegen ist man einfach froh, zum Abschluss einen guten, alten druckvollen Gewaltakt wie Dyers Eve vorgesetzt zu bekommen. Schnörkellos und dafür mit einer Geschwindigkeit, die Usain Bolt einschüchtert, marschiert man hier mit großartigem Stakkato-Riff und sich überschlagenden Drums ohne irgendwelche Ablenkungen dahin. Da werden Erinnerungen an das Debüt und einige der besten Momente von "Ride The Lightning" wach und wenn ein Vergleich ein Lob ist, dann dieser. Da wird dann auch sehr schnell deutlich, dass ein manisches Gitarrensolo von Hammett immer noch genial wirken kann, wenn es denn umgeben ist von einer zielgerichteten Geradlinigkeit. Die ist hier selten, man saugt sie deswegen aber in diesem Fall genauso wie in Harvester Of Sorrow umso bereitwilliger auf.

 

Nun liegt die Vermutung nahe, "...And Justice For All" käme hier als veritabler Fehltritt weg. Und womöglich ist das auch so, betrachtet man das Album im Kontext dessen, was Metallica in den 80ern vollbracht und auf LPs gebannt haben. Dann ist der vierte Anlauf nämlich tatsächlich der bis dahin schlechteste der Band und vor allem ein deutlicher Rückschritt, vergleicht man ihn mit den direkten Vorgängern. Wie wenige vor ihnen beweisen die US-Amerikaner hier nämlich, was zu viel des Guten bedeutet. Die Ambition geht einen Schritt zu weit und verirrt sich ein bisschen in diesen voluminösen, formarmen Gitarrenspektakeln, die sich in der Tracklist finden. Dem entkommt nicht einmal die legendäre Grammy-Single One, deren atmosphärische Eröffnung alsbald in einem merkwürdig produzierten Refrain mündet und irgendwann im spektakulären, aber wirkungsarmen Riffgewitter in Vergessenheit gerät. So geht es einem öfter. Albumumspannend bedeutet das, dass hier vieles Stückwerk ist. Nicht unbedingt auf die Art, dass nur sporadisch gut gearbeitet würde, sondern eher hinsichtlich des deutlichen Ungleichgewichts zwischen Virtuosität und musikalischer Ambition einerseits und atmosphärischer, inhaltlich wirkungsvoller Umsetzung andererseits. Und dieser Aspekt ist zu wichtig, als dass man ihn gar so stiefmütterlich behandeln sollte. Deswegen ist "...And Justice For All" ein verhindertes Meisterwerk, bei dem handwerklich außerordentlich stark gearbeitet wird, gleichzeitig aber die Selbstkontrolle fehlt, um das auch zielgerichtet und mit der nötigen Mäßigung zu tun.

 


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