von Kristoffer Leitgeb & Mathias Haden, 17.09.2016
Everybody seems so far away from me. Everybody just wants to be free.
Stimmen sind mächtige Instrumente. Sie verleihen dem Gesagten Autorität und Stärke, sie leiten uns an bei der Interpretation dessen, was durch sie kommuniziert wird, und manchmal sind sie auch einfach nur ein Ausbund verführerischer Emotion. In der Reihe der beneidenswerten Sängerinnen, die ein Stadium erreichen, in dem sie locker alles verbinden, was eine Stimme nur erreichen kann, taucht irgendwann der Name Hope Sandoval auf. Und so ist es nur opportun und wünschenswert, dass diese geniale Hälfte von Mazzy Star möglichst in den Mittelpunkt der Musik gerückt wird. Auf "Among My Swan" scheint auch das Duo endlich diesem Leitsatz zu folgen.
Denn David Roback nimmt sich beim dritten LP-Auftritt merklich zurück. Vorbei die Zeiten endloser Feedback-Gitarren, die als Echo Raum füllen, der nicht immer unbedingt belegt werden sollte. Stattdessen bauen die beiden auf dem ruhigen, aufs Minimum reduzierten Folk-Dream-Pop auf, der Into Dust zu ihrem besten Song werden hat lassen. Akustikgitarren beherrschen mehr als die Hälfte der Tracks und selbst die herzhafteren Riffs verklingen im Hintergrund eines Gesangs, der mit all seiner Anziehungskraft auch eine nicht zu überhörende und tödliche Schwere mitbringt. Disappear tönt da zu Anfang noch fast laut, paart sphärische Zupfer, die eher spacig denn intim anmuten, mit vielfältiger Percussion und rauen Chords. Weil der Song aber in den Fußstapfen von Hit Fade Into You wandelt, verzeiht man solche "Ausbrüche" rasch.
Noch leichter wird das, weil solcherlei lange genug nicht mehr vorkommt. Mit All Your Sisters oder Take Everything werden beinahe komplett akustische Minuten zu den Trümpfen, zu den Pfeilern der intimsten und emotionalsten Stunde des ohnehin atmosphärischen Duos. Viel davon lebt von Sandovals mysteriöser Aura, die stimmlich genauso im Halbdunkel verschwindet, wie sie es auf der Bühne macht. Ihre Performances zeichnen klanglich und textlich das Bild eines kleinen Gefühlskosmos, verloren und todtraurig, voll Schuldgefühlen und Sehnsucht, hoffnungsvoll und romantisch. Zwischen einem Festhalten an dem, was gar nicht mehr da ist, und einem Abschluss mit dem, was eigentlich noch weitergehen könnte. Ob in Cry, Cry mit Akkorden, die klingen, als würden die Saiten Unterwasser schwingen, in Still Cold mit wacher Percussion, die an Celtic Folk erinnert, oder dezenten Anflügen altbekannter psychedelischer Klänge in Rhymes Of An Hour, der überspannende emotionale Bogen bleibt der gleiche. Auf seinem Höhepunkt führt er einen in das unglaublich fein austarierte Folk-Gemisch von Flowers In December, das mit Mundharmonika, Streichern und leichter Tamburin-Percussion für ein klangliches Korsett, in dem Sandoval vielleicht gar unfreiwillig der Perfektion nahekommt.
Sie könnte einen auch albumumspannend komplett einfangen. In ihrer Stimme findet man diese perfekte Balance aus gefühlvoller Wärme und der Kälte der emotional Gebeutelten, wie es sie selten gibt. Doch Musik und Songwriting erlauben das nicht durchgehend. Gegen Ende kommen alte Muster durch, die mit ihren röhrenden Psychedelic-Riffs im Nichts verpuffen. Wenn in Beatles-Manier die Akkorde rückwärts abgespult werden, wenn Sandoval neben der Gitarre fast untergeht und wenn in Umbilical zwischen Keys, Drums und manipulierten Riffs nur mehr das Experiment durchkommt, dann ist jegliche Anziehungskraft verschwunden.
Selten war das eher schade als hier. Denn auf "Among My Swan" schrammt eine Band daran vorbei, dank einer denkwürdigen Sängerin im emotionalen Zwiespalt ein geniales Album zu finden. Die Fehler wiegen dann am Schluss zu schwer, um die LP noch in diesen Sphären zu verorten. Zur bis dahin beste Darbietung des US-Duos reicht es allerdings trotz allem, es sollte auch die letzte für immerhin 17 Jahre sein.
K-Rating: 7.5 / 10
Von verpassten Chancen, alten Gewohnheiten und den schönsten Minuten der 90er.
Lange, bevor Lana Del Rey ihren Gesangsstil zwischen verträumter Melancholie und bemüht lasziver Gleichgültigkeit fand, war da Hope Sandoval. Gut, den Teil mit dem bemüht Lasziven will man Letzterer nicht anlasten, dafür könnte man ihr mit dem Rest des Vergleiches vermutlich nicht näher kommen. Während die eine mehrere Stilwechsel in Kauf nahm, um an der Spitze der Charts anzudocken, war die andere, so scheint es, mehr auf Authentizität und Integrität bedacht. Gerade deshalb sind Sandoval und ihre Band, die sich aufgrund einengender Bemühungen der Major-Labels immer unwohler fühlten, aus der Elite der 90er-Acts nicht wegzudenken.
Ein schmerzlicher Abschied war die logische Konsequenz dieser Entwicklung. Einer, der treue Fans und Träumer aber nicht mit leeren Händen zurückließ. Dafür sorgt alleine schon das vom Kollegen zurecht in den Himmel geadelte Flowers In The December, zweifelsohne der beste Song der Band und einer der schönsten einer gar nicht so schönen Dekade. Ausreichend beschrieben wurde dieses "Folk-Gemisch", das zwar Mitte der 90er keine annähernd neuen Pfade beschritt, ja schon, eine zusätzliche Lanze möchte ich aber noch für Hope Sandoval brechen. So gut klang sie tatsächlich nie zuvor und nie wieder danach. Das hindert andere Stücke auf der dritten LP allerdings nicht, ebenfalls in Sphären träumerischer Brillanz abzudriften. Etwa Rhymes Of An Hour, das trotz monotonen Aufbaus mit Gitarre, Bass und spät einsetzenden Streichern keine Sekunde zu langweilen vermag. In dieser ersten Hälfte von Among My Swan sind auch die weiteren Highlights des Albums beheimatet. Ob es nun der schicke Soundmix von Disappear, das sich zwischen sanftem Gedröhne im Hintergrund und einem Melange aus verschiedenen Percussions herumbewegt, oder Cry, Cry dezenter Country-Anstrich ist, der verzaubert, oder ob doch eher die ganz ruhige Kugel mit Take Everything und lieblicher Akustik geschoben werden soll, viel läuft auf Side A der LP nicht falsch.
Die lässt allerdings auch durchsickern, dass Sandovals grandiose Präsenz alleine nicht reicht, um ein grandioses Album zu kreieren. Denn auf der Rückseite der 54 durchaus Ermüdungserscheinungen aufweisenden Minuten der Platte mehren sich die weniger essenziellen. Umbilical gelingt es zwar, eine bedrückende Atmosphäre zu generieren, wirklich brauchen tut man die auf einem Werk voller nostalgischer Wehmut aber nicht. Dieser Teil ist es auch, der in jene alten Muster der vorangegangenen zwei Longplayer zurückfällt, die der Kollege angesprochen hat. Die Gitarren werden, gelinde gesagt, präsenter, kulminieren im redundanten Gedröhne von Roseblood, dazu muss man bis zum Closer Look On Down The Bridge warten, ehe sich jene absorbierende Stimmung wieder einstellt, die der ersten Hälfte Unwiderstehlichkeit verliehen hat. Ein versöhnlicher Abschluss zwar, aber einer, von dem sich Hope Sandoval und Mazzy Star nicht viel kaufen können. Die Chance auf ein grandioses Album war zum Greifen nah. So wurde es nur ein großes,. Ihr größtes.
M-Rating: 7.5 / 10