von Mathias Haden, 23.03.2017
Die siebte LP als endgültige Rückkehr zur Bestform der Königin verträumten Folks.
Dichte Nebelschwaden. Eine kaum erkenntliche Silhouette. Mysteriöse Schönheit im Schutz der Dunkelheit und den physikalischen Gesetzen der Brechung. Obwohl sie auf dem Artwork ihrer bereits siebten LP illuminiert vor dem Fenster posiert, fühlt sich Marissa Nadler eigentlich gerade dort am wohlsten, wo das Licht sich nicht hinwagt. So unvermittelt ihre an düstere Träume erinnernden Erzählungen einsetzen, so unverweilt entschwinden sie wieder in den Schatten der Nacht. Dass ein nach wie vor junger Mensch wie Nadler, der heute 35 Lenzen am Buckel hat, mit solch einer Konstanz und dem einfach nicht verglühenden Gefühl für die in Ästhetikfragen unübertroffene Disziplin der Melancholie mehr als zehn Jahre nach dem Debüt noch so unprätentiös Worte über Einsamkeit, verlorene Liebe und innere Querelen findet, ist bewundernswert. Sicher, ein paar Schlaglöcher musste auch Nadler auf dem Weg zur Königin des träumerisch verhuschten Folk einstecken; aber selbst einige überschaubare Fehlkalkulationen in Bezug auf die Ausweitung des eigenen Sounds (Little Hells) konnte die US-Amerikanerin aus Massachusetts überraschend gut kaschieren. Fünf Jahre und zwei LPs später war man wieder in bester Form und legte auf dem ironisch betitelten July, das musikalisch natürlich eher in den Herbst- oder Wintermonaten beheimatet ist, einen furiosen Start hin, bei dem nicht viele Alben 2014 mitkamen.
Denn das Anfangstrio Drive (Fade Into), 1923 und Firecrackers legt direkt alle Stärken der Singer-Songwriterin auf den Tisch: gespenstische Stimmung, nuancierter Gesang, der im Hall davonschwelt und kummergetränkte Texte, die, wie oben erwähnt, von Schmerz und Verzweiflung ebenso künden wie von quälenden Rachegelüsten. Wie eine graue Wolke, vollgefüllt mit Regen und jederzeit für einen drohenden Bruch bereit, ziehen die elf Tracks einer LP, die in ihren ungehindert durch die Atmosphäre wabernden Melodien keine Zeit zu kennen scheint, gemächlich vorüber. Dabei wird auch eine gewisse Seelenruhe vermittelt, die hinter den Kulissen der einzelnen Songs nicht gegeben ist. Das liegt natürlich auch an dem exzellenten Team, das Nadler um sich weiß. Angefangen bei der Produktion von Randall Dunn, der ihre Songs mit dem nötigen Raum versorgt, um sich adäquat entfalten zu können. Ein bisschen erinnert das auch an Lana Del Reys im selben Jahr erschienenes Ultraviolence, wenn man sich die Dominanz der röhrenden Gitarren wegdenkt und stattdessen ein tighteres Zusammenspiel der beteiligten Musiker versinnbildlicht. Neben Nadler, die abgesehen vom Singen auch an der Gitarre einiges drauf zu haben scheint, sind es hier vor allem Steve Moores sphärische Keys, Phil Wandschers akzentuierter Gitarrensupport und die gelegentliche Unterstützung von Streichern und Pedal Steel, denen July seinen raumfüllenden Sound zu verdanken hat. Einmal entlädt sich die in der Luft liegende Spannung beinahe, am finsteren Dead City Emily, auf dem die Sängerin die vermeintlich eigene Trostlosigkeit auf eine verblasste Stadt projiziert, zu hübschen Gitarrenzupfern und elegischen Keyboard-Teppichen die richtigen Worte findet:
"I was coming apart
those days
I don't give a damn about the way
Colors on the trees change from red to green
It's a dead city, Emily"
Was dem Album aber etwa im Vergleich zu jenem ihrer amerikanischen Kollegin, meinethalben auch zu denen von Angel Olsen abgeht, ist ein Hauch von Abwechslung. So schön Nadler ihre Beobachtungen und Eindrücke schildert, so wenig facettenreich strahlt ihr melancholischer, von einigen sicher nicht zu Unrecht als aufgesetzt und pathetisch bezeichneter Gesang über eine knappe Dreiviertelstunde. Spätestens auf der zweiten Hälfte schleichen sich Müdigkeitserscheinungen ein, wenn mit Anyone Else oder I've Got Your Name dieselben Formel bemüht werden, die das einleitende Trio so großartig gemacht hat, nur leider hier bereits mit deutlichen Einbußen in der lange Zeit nicht greifbaren Magie. Wäre man zynisch, man könnte behaupten, dass es wohl kein Zufall war, dass sie sich für den Auftakt ihres Anfang des Jahrzehnts erschienenen Cover-Albums, auf dem sie sich u.a. Songs von Townes Van Zandt oder Gram Parsons annimmt, ausgerechnet Radioheads No Surprises ausgesucht hat. Aber das ist eine andere Geschichte, die vermutlich nie erzählt wird.
Gegen Ende lässt es Nadler dann noch einmal besonders ruhig angehen, zuerst mit der tollen Fingerpicking-Demonstration Holiday In und abschließend mit der Piano-Ballade Nothing In My Heart, die den siebten Longplayer mit den Zeilen „Maybe it's the weather / But I got nothing in my heart“ denkbar passend abrundet. Nadler kann nicht von sich behaupten, eine besondere Entwicklung hingelegt zu haben. All das, was July auszeichnet und letztlich zu einer der ergreifendsten Erfahrungen seines Jahrgangs macht, gibt es in mal mehr, mal weniger gut ausformulierter Form schon auf ihren vorigen LPs. Dank seiner melancholischen Sehnsucht, den herrlich gespenstischen Melodien und dem vielleicht nachdrücklichsten Zusammenspiel einer mehrköpfigen Band auf einer ihrer Scheiben, darf sich das siebte Album der als exzentrisch bekannten Künstlerin trotz altbekannter Probleme in die Reihe mit ihren allerbesten stellen. Der Umstand, wonach July keinen einzigen schlechten Track vorweisen kann, festigt das Fundament dieser Erkenntnis nur zusätzlich.