von Kristoffer Leitgeb, 11.01.2014
Kreativer Latin-Virtuose sucht musikalische Inspiration. Je mehr, desto besser. Preis verhandelbar.
'World Music' ist scheiße. Nein, bitte keine wütenden Morddrohungen. Ich meine natürlich nicht die Musik, sondern viel mehr diesen komplett sinnfreien Begriff. Denn den Menschen zu finden, der einem in weniger als 10 Minuten erklären könnte, wobei es sich jetzt um 'World Music' handelt und wobei nicht, dürfte eine Aufgabe herkulischen Ausmaßes sein. Immerhin behauptet mittlerweile jeder, dessen Schaffen irgendwann, irgendwie auch nur den dezentesten Schimmer von afrikanischen oder südamerikanischen Einflüssen hat, er würde zumindest teilweise dort hineinpassen. Da tut es aber dann doch gut, einen zu sehen, der so offensichtlich dem Namen des Genres entspricht. Drei Alben hat der französische Weltenbummler bisher abgeliefert, dabei in sieben Sprachen gesungen und sich zum Star in Nordafrika und im Süden Amerikas gemausert. Und für Qualität und Spaß stand Chao immer. Bis 2007 zumindest.
Denn die Zeiten ändern sich und sie werden nicht für alle besser. Während nämlich die Verkaufszahlen für das Multitalent hoch bleiben und auch endlich in den US- und UK-Charts der Name seines Albums "La Radiolina" aufscheint, lässt erstmals die Qualität zu wünschen übrig. Dabei macht er es einem ja so schwer, ihn nicht zu mögen. Mit seinem rockigsten Album seit seiner Arbeit mit der Band Mano Negra kommt er zurück und zündet mit Opener 13 Dias sogleich ein kleines Feuerwerk. Die so prominent vertretenen E-Gitarren kommen nämlich gleich hier auf die bestmögliche Art und Weise zum Einsatz. Irgendwo zwischen Latin und Country steckt der Song fest, erinnert im Positivsten an frühere energiegeladene Nummern wie Luna Y Sol oder La Marea.
Ein Einstand wie er besser kaum sein könnte. Und doch ein Fehler, müht sich der Franzmann doch zusehends damit ab, die gelegte Latte zu erreichen. Mit Up-Beat-Synthie-Rock in Form von Tristeza Maleza geht's zwar in ähnlich guter Tonart weiter. Und auch zwei seiner starken politischen Statements in Form von Politik Kills und Rainin' In Paradize wissen zu gefallen. Doch erstens profitieren letztere nicht unbedingt vom schwierigen Akzent Chaos und zudem gehen einem schon früh essentielle Zutaten des gelungen Rezepts hinter den Vorgängern verloren: Spaß und Gelassenheit. Während nämlich ein politischer Kommentar fast in jedem Song an der Tagesordnung war, versprühten Hit-Single Bongo Bong oder Desaparecido auf Debüt "Clandestino" noch weit mehr Lockerheit.
Nichtsdestotrotz geht die Rechnung in den ersten Minuten auf. Denn der leichter zugängliche Rock verbindet die Energie, die auf dem Vorgänger zu finden war, mit kontrolliertem, berechnenderem Songwriting. So wird einem der Mann mit den gewichtigen Worten zwar nicht sympathischer, dafür nimmt er Abstand von so mancher skurrilen Vorstellung, die er geboten hat. Leider führt uns gerade diese Tatsache auch in die Abgründe von "La Radiolina". Denn mit seinen 21, teilweise nur einminütigen, Tracks strapaziert Chao die Nerven seiner Fans mitunter sehr. Es mangelt dem Franzosen nämlich allzu oft an Ideen seinen unspektakulären Latin-Rock in eine Richtung zu lenken, die ihm Wiedererkennungswert verleihen würde.
Der größte Stein, den er sich dabei selbst in den Weg legt, ist eindeutig seine Vorliebe für das ureigene Song-Recycling. Denn Chao denkt nicht daran bei 21 Songs auch ebensoviele Melodien zu schreiben. Stattdessen setzt er das fort, was schon mit den Duos Bongo Bong/Je Ne T'Aime Plus und Trapped By Love/La Rendezvous nur bedingt geklappt hat. Er nimmt seine eigene Musik einfach nochmal zur Hand und formt daraus einen neuen Song. Durchaus manchmal mit anderen Instrumenten, in anderer Sprache gesungen und sogar ab und an mit konträren Stimmungsbildern. Trotzdem, so exzessiv wie er das diesmal betreibt, ist Eintönigkeit vorprogrammiert. Den Vogel schießt dabei der Backing Track von Rainin' In Paradize ab, der einem ganze vier Mal begegnet. Zwar geht er in allen Fällen, in El Kitapena, Mama Cuchara oder Siberia, zumindest nicht in die schlimmsten Richtungen, aber: Das ist zu viel des Guten.
Problematisch ist das nur, weil die Originalideen keineswegs immer außergewöhnlich sind. Die beiden 'Italiener', A Cosa und Mala Fama verkommen zu langweiligsten Akustik-Nummern, denen zwar nicht der Charakter, aber dann doch das Leben fehlt. Weit mehr Leben, dafür eintönigsten Text bietet El Hoyo und bei der eigenwilligen Sehnsuchts-Nummer The Bleeding Clown wird's dann auch inhaltlich schwieriger zu schlucken. So bleibt es Me Llaman Calle schon früh vorbehalten, das Ende der wirklich starken Momente einzuläuten. Es sollte der einzige Track bleiben, der auf sympathischste Art an sein Debüt erinnert. Lockere Gitarren-Sounds treffen auf starke Salsa-Rhythmen und Chao's mit Sicherheit beste gesangliche Vorstellung auf der Platte. Einziger Ausreißer in der katastrophal langweiligen zweiten Hälfte der LP ist dann Panik Panik, das, ganz dem Titel entsprechend, wieder etwas den hyperaktiven Charakter des Vorgängers aufleben lässt, in all seiner Kürze aber trotzdem nicht ganz fertig wirkt.
Schade, Schade. Man konnte von Chao nie als einem der größten Musiker aller Zeiten sprechen, mit Sicherheit aber von einem der sympathischen Sorte. Was jedoch zu einem nicht gerade kleinen Teil auch mit seinen Alben zu tun hatte. Denn auch fernab von endlosen Schwärmereien konnte man mehr als ein gutes Wort über den Spanischstämmigen verlieren. Diesmal tut sich allerdings ein ziemlich großes Loch auf, dort wo immer unbändige Kreativität zu vermuten war. Zwischen vereinzelte gelungene Geistesblitze drängt sich nämlich eine Übermacht an müden Pseudo-Rock-Songs, die - nicht Fisch, nicht Fleisch - in ihrer Identitätslosigkeit vor allem daran leiden, dass sie allzu oft keine Originale sind. So ist die zweite Hälfte beinahe zur Gänze ein schwaches Remake der ersten und versaut "La Radiolina" so den stürmischen Auftakt.