von Kristoffer Leitgeb, 25.02.2017
Eine farbenfrohe Funk-Improvisation mit mehr Spielwitz als Treffsicherheit.
Als geflügeltes Wort ist es ja mitunter ganz opportun, das "andere Ende der Welt" irgendwo einzustreuen. Kann schon mal die schmerzlich vermisste Liebe des Lebens dort sein. Oder aber der eigene Geburtsort liegt dort. An einem faulen Wochenende kann es auch so weit kommen, dass der Weg mit dem Mist ans andere Ende der Welt führen würde und deswegen so überhaupt keine Lust auf die Entsorgung desselben besteht. In der deutschen Sprache eigentlich recht unüblich, hier aber ausnahmsweise der Fall, stimmen Ausdruck und tatsächlicher Inhalt vollkommen überein und dieser Review führt wirklich und wahrhaftig ans andere Ende der Welt, auf die wunderschöne Pazifik-Inselgruppe Fidschi. Für manche von uns ein Gesteinshaufen, für einige aber das heimliche, komplett unerreichbare Wunschdomizil. Auf alle Fälle die Heimat recht weniger bekannter Musiker. Also eigentlich gar keiner. Weswegen auch noch eine Zeitreise in die 70er ansteht und unweigerlich Funk und Psychedelic Rock um's Eck schauen.
Und hier sind wir auch an dem Punkt, wo das "andere Ende der Welt" wieder seine rein metaphorische Bedeutung bekommt. Denn die Geographie sorgt für die ideale Versinnbildlichung meiner Nähe zu ebendiesen beiden Genres. Also so gar keine. Funk, ok, irgendwie noch. Aber die Drogenliebhaber mit Blümchen (und Drogen) im Haar und haufenweise strukturschwachen Jam-Sessions auf ihren Alben? Ich weiß nicht. Doch Klischees können ja auch widerlegt werden und außerdem steht bei Mantis und deren einzigem Album noch immer der Funk ganz weit vorne, dahinter kommen irgendwan Blues und eben dieses leicht Berauschte, das in den späten 60ern überall war. Also schon so ein leichter Hauch von Hendrix, der diese ohnehin nur sieben Tracks umwabert, vor allem in den zahlreichen Soli, die man sich an der Gitarre erlaubt. Und weil beide Gitarristen an ihrem Instrument durchaus beschlagen wirken und deren Namen, Waisea Vatuwaga und Reuben Davui, ziemlich genial sind, seien sie hier gesondert erwähnt.
Die Songs selbst leben allerdings gar nicht so sehr vom stromdurchwirkten Gezupfe, wie man glauben möchte. Nicht nur, dass die Rhythm Section dem Genre selbst in mäßigeren Momenten wie dem beschwingt höhepunktslos runtergespielten Opener Day And Night alle Ehre macht. So wirklich in den Mittelpunkt drängt sich vor allem der Keyboarder gerne. Und der klingt natürlich gerne verspielt und großartig retro, wenn er nicht gerade in der souligen Romantikstunde von In The Midnight Hour vergeblich nach atmosphärischen Klängen zu suchen hat. Das hemmungslos überdrehte You Don't Love Me - die einzige Eigenkomposition auf der ersten Seite - bespielt er zum Beispiel im schnellen Gleichschritt mit den Gitarren. Was bei all dem früh fasziniert, ist die lockere Harmonie der Band, die so im Fluss wirkt, wie es einige der Größten ihres Fachs auch nicht besser hinbekommen hätten. Was weniger beeindruckt, ist der Mangel an genialen Einfällen, den man früh zu bemerken glaubt. Der Spaß am Spiel ist unüberhörbar, wenn man sich die gemütliche, ungezwungene Rendition von Shake That Fat gibt. Nur mangelt es da und auch im starken, den Hard Rock streifenden Mississippi Queen trotz eindringlicher Riffs am letzten Kick.
Spät, spät beweist einem das Quintett, was es alles in einen funkigen Zweieinhalbminüter packen kann. Ausgerechnet der Titeltrack beschert einem mit der treibenden Percussion und dem kaum zu entfliehenden Refrain die ersten großartigen Minuten und beendet damit eine erste Hälfte, die locker und unterhaltsam, aber selten eindrucksvoll verläuft.
Ich werde allerdings das Gefühl nicht los, dass das beinahe bewusst passiert ist oder aber zumindest billigend in Kauf genommen wurde, um sich auf eine ohne Zweifel erinnerungswürdige zweite LP-Seite zu konzentrieren. Es gibt nämlich schon noch einen zweiten Song aus eigener Feder, der mit seinen sehr sperrigen 23 Minuten gleich aufs Ganze geht. Ein meisterlicher Jam ist die Island Suite, gleichzeitig einer dieser Momente, in denen den psychedelischen Anwandlungen dieser Ära Freiheit gewährt wird, um sie vielleicht gar künstlerisch gewinnbringend zu kanalisieren. Das passiert, aber vielleicht nicht ganz so grenzgenial, wie die fünf das gerne hätten. Weil eben Jam und damit doch etwas für alle jene, die sich in souverän zum Besten gegebenen Soli verlieren können, der Rest aber an den Grundzügen von Ratlosigkeit nicht immer vorbeikommt. Aber die dreiteilige Suite - effektiv drei Instrumentals, musikalisch ziemlich drastisch durch Beinahe-Stille abgetrennt - kann einiges, wenn sie sich im Mittelteil auch in sehr zähen, langatmigen Soundwellen verläuft, die einen die Laufzeit spüren lassen. Das ultimative Erwachen setzt dann aber ohnehin spätestens mit dem finalen Part ein. Der wird mit rohen Gewitterklängen schon mächtig eingeläutet und entwickelt sich nach behändem Conga-Getrommel und gemächlichen Basszupfern sehr schnell zu einem Traum aus dynamischer Distortion und quicklebendiger Rhythmen, die einen auch über acht Minuten nicht im Geringsten langweilen könnten. Nur schade, dass der eklatante Stilbruch in der Mitte, der die beiden aktiven Parts durch leicht sphärische, trippige Gemächlichkeit abtrennt, erheblich am Momentum nagt.
Nichtsdestotrotz, feine Arbeit, die einiges von dem abfängt, was davor eher mau gelaufen ist. Jetzt nicht schlecht auf irgendeiner Ebene, selbst mit dem unnötigen In The Midnight Hour im Gepäck nicht, aber mit dem Hintergedanken an verpasste Möglichkeiten. Vielleicht könnte man - also effektiv ich - allerdings doch für einmal das Glas zum Drittel gefüllt sehen und damit auch, dass die größte Chance, nämlich die für einen denkwürdigen Abschluss, souverän genutzt wurde. Sollte übrigens jemand keine Zeit haben, um sich diesen Track in voller Länge zu geben, ein Gedanke an die traumhaften Fidschis, ein Blick auf ein dem Zeitgeist entsprechend wirklich psychedelisches Cover und man hat zumindest die leiseste Ahnung, wie gut Funk Rock vom anderen Ende der Welt klingen kann, wenn er sich auf 23 Minuten austoben darf.