von Kristoffer Leitgeb, 04.03.2016
Die rebellische Abrechnung mit dem Kommerz kann den früheren Charme nur bedingt ersetzen.
Es mag zwar Menschen wie mich geben, bei denen es dank einer ausdauernden Beständigkeit dieses Zustandes anders wirkt, doch schlechte Stimmung oder gar Misanthropie brauchen tatsächlich immer zumindest einen Auslöser. Dem zu erliegen, muss noch nicht vernünftig oder nachvollziehbar sein. Es lassen sich auch Menschen finden, die die Frechheit eines zu langsam fahrenden Vordermanns zu Wutausbrüchen verleitet, andere verenden beinahe, sobald ein Match ihres Lieblingsvereins das falsche Ergebnis bringt. Doch oft genug finden sich gute Gründe, warum sogar bei wohligeren Gemütern jeglicher Frohsinn aus dem Blickfeld verschwindet. Auch Frankreichs Latin-Rocker von Mano Negra stolperten Anfang der 90er über einen triftigen, die globale Kommerzialisierung und das ungeliebte Musikbusiness der westlichen Welt. Deswegen geriet ihre dritte LP "King Of Bongo" rebellischer und härter, Zeichen mussten gesetzt werden. Dass das gewöhnlicher und chartfreundlicher denn je endete, ist treffliche Ironie und Schaden gleichzeitig.
Natürlich sollte man vorher noch wissen, dass die Band rund um Latin-Held Manu Chao damals bekannt war für eine beinahe anarchistische Herangehensweise an ihre Musik, mit der sie einen Eklektizismus zwischen Punk, Latin, Ska und World Music vorlebten, an den sich in punkigeren Gefilden sonst wohl nur The Clash mit "Sandinista!" getraut haben. Sonst wäre ja auch ein bisschen Gewöhnlichkeit keine Überraschung. Dass dann aber ausgerechnet dieses Album mit umso mehr straightem Rock und einer Extraportion englischer Texte in Richtung des US-Massenmarktes schielt, ist merkwürdig, weil es ja eigentlich in die andere Richtung gehen sollte.
Um dieses Kuriosum noch etwas stärker zur Geltung kommen zu lassen, stammen mit die besten Tracks genau aus diesem Eck. Vielleicht aber auch nur, weil im geradlinigen Hardcore-Gewand von Letter To The Censors die gesuchte Aggressivität am besten zur Geltung kommt. Und das nicht ohne mit freiwillig schwachsinnigen Zeilen voller vulgärer Ausfälligkeiten ebendiese Zensur herauszufordern. Im Songwriting versteckt sich dabei zwar wenig Finesse, aber was wirkt, das wirkt. Gleiches gilt für die Anti-US-Hymne Welcome In Occident, die sich mit kraftvollen Riffs und eindringlichem Beat dem Hard Rock annähert. Die wütenden Chants tun dabei ihriges zur unnachgiebigen Performance, die einsetzenden Trompete kommt im Hintergrund gar nicht auf die Idee, lockere Töne anzuschlagen. Und dann bekommt man noch das vor Energie überlaufende Mad Men's Dead, das sich mit den starken Drums und klassischen Keyboard-Klängen dezent am Southern Rock orientiert. Während man Mano Negra in diesen Momenten musikalisch weit weg von der Einzigartigkeit erlebt, sorgen neben einer guten Vorstellung der Gitarristen vor allem die aggressivsten Vocals in Chao's Karriere für nachhallende Atmosphäre.
Trotzdem erkennt man die Band an anderer Stelle eher wieder. Der Titeltrack rollt zum Beispiel irgendwo zwischen fernöstlichen Melodien und Ska dahin, lässt vor allem bei der Rhythm Section nicht viel zu wünschen übrig. Zwar kommt er damit nicht an das Remake Bongo Bong, Jahre später von Manu Chao aufgenommen, heran, trotzdem fängt wenig hier die chaotische Live-Energie der Band so gut ein wie die zweite Hälfte des Tracks, an der nur die monotonen Keyboard-Töne nagen. Fast nebenbei begegnen einem das im Western-Stil gehaltene und abgeklärt, aber etwas leblos runtergespielte Don't Want You No More und das frenetische Salsa-Feuerwerk von El Jako, das zwischendurch mit einer genialen Bassline für gelungene Abwechslung sorgt, bis auch die farbenfrohe Seite der Band ihren Höhepunkt feiern kann: Madame Oscar besitzt mit seiner ausgezeichneten Klavier-Hook und dem dynamischen Beat genau die Sprunghaftigkeit, die Mano Negra bei ihren vielen Genre-Wanderungen auszeichnet. In diesem Fall swingt man fast schon ein bisserl, bietet einen Sänger in pointierter Hochform, dazu ähnlich verspielte Trompeten-Einsätze und ein unerwartetes High-Speed-Ska-Outro.
Doch es hakt und das oft genug. Schon das schräge Gemisch aus gemächlichem und trotzdem hartem Ska und Hip-Hop im eröffnenden Bring The Fire zündet nicht ganz so wie gewünscht, auch wenn die Band immerhin mit möglichst viel Nachdruck agiert. Wenn der verschwindet, ist es überhaupt ganz schnell geschehen um die Qualität der Songs. Gerade die Momente, die mit französischem Charme zwischen Anflügen aus Swing und Chanson punkten wollen, lahmen eher dahin. In Le Bruit Du Frigo versucht das Ensemble mit nervigen Keyboard-Klängen den Minuten Leben einzuhauchen und scheitert daran genauso wie beim blödsinnigen Closer Paris La Nuit, der mit Akkordeon und unstimmigem Chorgesang das Ambiente einer versoffenen Beisl-Gesellschaft skizziert. Ein Schuss ins Knie, auch weil die LP ohnehin bereits davor unterwältigend ausklingt. Das grässlich aufdringliche Furious Fiesta, der witziges Experimentieren mit reinem Lärm verwechselt, und das zähe Ska-Cover von Sanford Clark-Song The Fool trüben die Bilanz zu dem Zeitpunkt bereits merklich.
Folgerichtig fällt selbige ziemlich gespalten aus. "King Of Bongo" präsentiert sich da trotz sporadischer exzentrischer Anflüge gesitteter und geordneter als nötig. Während das an und für sich noch kein Verbrechen wäre, kommen den Franzosen so zwischendruch ihre größten Stärken, die Energie und die große Wandlungsfähigkeit gehörig abhanden. Und trotzdem hält auch deren dritte LP - so nebenbei auch die, die langsam, aber sicher das Ende der facettenreichen Rocker einläuten sollte - noch lange genug durch und bietet den ein oder anderen Karriere-Glanzpunkt, damit die Langeweile nicht zum Dauerzustand wird. Einigen tollen Ideen und natürlich der phasenweise bestimmenden schlechten Stimmung sei Dank. Immerhin haben sie einen guten Grund dafür.