Stills Strikes Again - Ein Triumphzug in vier Akten.
Stephen Stills hatte es Anfang der 70er Jahre wahrlich nicht einfach. Nachdem die Karriere mit Buffalo Springfield und den ersten Darbietungen von Crosby, Stills, Nash und dem sporadisch anwesenden Young so vielversprechend begann, waren die zwei Soloalben, die folgten, nicht unbedingt mit positiven Rückmeldungen der Kritiker bedacht. Was tun also? Am besten ein paar befreundete, fähige Musiker zusammentrommeln und ordentlich auf den Putz hauen. Aber ehrlich, das Line-Up, das sich Herr Stills u.a. mit Chris Hillman (Byrds, Flying Burrito Brothers) oder Al Perkins (Gram Parsons) arrangiert hatte, steht dem vieler hochkarätiger Bands jener Zeit in nichts nach, dazu gesellten sich beim selbstbetitelten Debütalbum, das die fruchtbare Zusammenarbeit zu Tage förderte, noch prominente Gäste wie Bill Wyman (Rolling Stones) oder Jerry Garcia (Grateful Dead; angeblich).
Dabei waren die anwesenden Gentlemen überaus produktiv, insgesamt 21 Songs schafften es aufs finale Doppelalbum. Aufgeteilt auf vier separate Teile mit entsprechenden Themen, die jeweils eine LP-Seite schmücken, wird die weitreichende Bandbreite der Musiker in Szene gesetzt. Da finden sich Blues, Country, Folk, Rock und sogar Latino-Mucke. Yeah!
Das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen. Viele begabte und kreative Musiker am selben Fleckchen müssen nicht immer auch Glanztaten zur Folge haben, hier läuft aber alles wie geschmiert. Bereits das erste Viertel, 'The Raven', überzeugt mit ordentlichem, latinbeeinflusstem Rock. Seine Höhepunkte liefert dieses erste Themengebiet mit dem Medley Rock and Roll Crazies/Cuban Bluegrass, bei dem der Name schon Programm ist und der jazzigen Liebesballade Both Of Us (Bound To Lose), von Stills und Hillman, der in der Rolle des Harmoniegesangspartner stets aufs neue überzeugt, liebevoll vorgetragen.
Seine größten Momente hat das Ensemble aber auf der zweiten Seite, 'The Wilderness', auf der Country und Bluegrass dominieren und besonders die in diesem Bereich beheimateten Hillman und Perkins zur Bestform auflaufen. Hier sitzt wirklich alles am rechten Fleck. Fallen Eagle mausert sich zum flotten Country-Rocker, Jesus Gave Love Away For Free wird mit seiner nackten Schönheit auch dem blasphemischsten Antichristen die Nackenhaare aufstellen und den berührenden Liebesballaden Colorado und Hide It So Deep kann man seine großen Momente ebenso wenig absprechen wie dem spaßigen Honky Tonk von Don't Look At My Shadow. Ach ja, und So Begins The Task ist im Stills-Kanon ohnehin unantastbar, liefert zusätzlich mit Zeilen wie: "And I must learn to live without you now / As I cannot learn to give only part some how" Kitsch in seiner schönsten Form.
Folk und Folk-Rock stehen beim dritten Part, 'Consider', an der Tagesordnung. Auch hier finden sich mit dem akustischen, angeblichen - von Stills aber dementierten - Lennon-Tribut Johnny's Garden und dem atmosphärischen, mit Synthesizern augmentierten Move Around großartige Minuten. Musikalisch läuft da schon verdammt viel richtig, auch wenn ich mit dem Love Gangster noch nie wirklich warm werden konnte.
Auf dem finalen Viertel 'Rock & Roll Is Here To Stay' finden sich schließlich Blues und noch mehr Rock 'n' Roll. Und obwohl man wieder wenig Grund zu meckern vorfindet, kann einen der epische, achtminütige Koloss The Treasure nach einer Stunde Laufzeit schon etwas überfordern. Trotzdem überzeugt dieser kraftvolle und ebenso dynamische Blues-Rock auch in seiner rauen Form (Take One) und mit Zeilen wie:
"For the treasure of the oneness
That like sand becomes a diamond
Before the wind
And while I changed my strings
A rocky mountain woman
Came to town to sing
Took my heart and ran"
Als ordentlichen Abschluss gibt es mit dem akustischen Blues Man noch einen netten Tribut für Jimi Hendrix. Und dann hat man es nach über 70 aufreibenden Minuten 'geschafft'.
Haarsträubende Problematiken wirft Manassas in seiner Gesamtheit jedenfalls nicht auf. Die Aufnahmequalität ist zwar nicht optimal und bei 21 Tracks hat sich der eine oder andere Track reingeschummelt, der die Güteklasse der anderen nicht ganz halten kann. Bis auf den Bluegrass- und Country-Teil hält jede Seite nämlich die eine oder andere 'Schwachstelle' parat. Außerdem finden sich hier obgleich der beeindruckenden Konstanz kaum Hits mit Singlepotenzial, wie etwa For What It's Worth auf Buffalo Springfields Debüt. Aber das ist lediglich die entbehrliche Suche nach dem Haar in der Suppe. Trotz allem ist das erste der zwei Alben der vielköpfigen Band ein wunderbar homogener Blockbuster, auf dem die Talente der anwesenden Musiker gut ineinander fließen und bei denen sich deren Kreativität im Gegensatz zu vielen anderen Gruppen nicht im Wege stehen. Freilich kein Meisterwerk, aber ein imposanter und überraschend kurzweiliger Ritt. Manassas waren allemal mehr als nur die Begleitband von Stephen Stills, eine (kurzfristig) funktionierende Einheit.
Letztlich bleibt nur die Frage, warum dieses Projekt nie die Beachtung erfahren durfte, die es sich verdient hat. Wer sich jedenfalls an einer ernstgemeinten Diskussion zu den besten Alben und Bands der frühen 70er beteiligen will, der kann ruhigen Gewissens den Namen 'Manassas' in beiden Fällen einwerfen. Mit seiner beeindruckenden Vielfalt und seinen mitreißenden Songs, die zwischen melancholischer Ballade und kraftvollem Blues pendeln, darf die Scheibe eigentlich in keiner Sammlung fehlen. So, und nun entschuldigt mich: Die Selektion der Anspieltipps ruft, von jedem Themengebiet gibt es übrigens einen.