von Mathias Haden, 16.03.2017
Schämt euch, boys!
Kreativität hat ihre Grenzen. Freilich. Geballter Ideenreichtum ist oft ärmer als das Zusammenspiel der Synapsen einer einzigen Person. Vermutlich. Eigentlich ein Fall fürs Phrasenschwein, wäre diese Phrase nicht so schwülstig und bemüht geistreich. Eine gepeinigte Seele, die nach einem harten Tag inmitten des ewigen Krieges jeder gegen jeden und dem erbitterten Konkurrenzkampf um Arbeitsplätze, Sauerstoff und heiße Bräute den übriggebliebenen Rest an kostbarer Zeit entsprechend nützen will, sollte sich dort, wo Qualität oben steht, auch Qualität erwarten dürfen. Behaupte ich jedenfalls. Zugegeben, auf der zweiten LP der zusammengewürfelten All-Star-Institution Manassas steht nichts von Qualität, noch nicht einmal ein TÜV-Verdikt lässt sich vorne oder hinten auf der Platte ausmachen. Dafür sind oben um den "Band"-Namen die prominentesten Akteure der LP aufgeführt, die ich gerne vorstellen würde, um ein besseres Verständnis dieses sich anbahnenden Lamentos zu erleichtern. Zentral, groß und in anderem Farbton natürlich Stephen Stills, dessen temporäre Spielwiese Manassas war und der teilweise auch als Interpret für die beiden Alben dieser Konstitution genannt wird. Auf der linken Seite hätten wir dann Chris Hillman, seines Zeichens Bassist, Gitarrist und kongenialer Songwriting-Partner seiner Ex-Kollegen von den Byrds und den Flying Burrito Brothers. Daneben noch Personalien wie Joe Lala, Paul Harris, Dallas Taylor und Al Perkins, deren Namen auf gut jedem dritten Alben der späten Sechziger und Siebziger auftauchen, von Crosby, Stills, Nash & Young über Nick Drake zu ABBA und Judy Collins. Joe Walch dagegen ist zwar nicht am Artwork vermerkt, wirkte aber laut Credits mit und war immerhin zur erfolgreichsten Zeit der Eagles fester Bestandteil der Band.
Widmen wir uns nun dieser zweiten LP Down The Road, auf die man nach dem formidablen, selbstbetitelten Rock-Monolithen durchaus gespannt sein durfte. Zwischen kubanischem Rock 'n' Roll, klassischem Folk-Rock und countryesker Südstaatenästhetik inszenierte Häuptling Stills siebzig Minuten verschmolzener Interessen und Spielfreude in Reinform. Die Frage, die sich nun stellt: wo ist all das (fast auf den Tag genau) ein Jahr später geblieben? Über die fehlende Spieldauer, die hier mit einer halben Stunde weniger als die Hälfte jener des Vorgängers beträgt, kann man einfach hinwegsehen - nur: Wo ist die Substanz hin? Insofern: Schämt euch, boys! Talent allein reicht nicht immer. Schon gar nicht, wenn dabei nur gefälliger Blues-Rock herausschaut. Isn't It About Time? fragt Stills im einleitenden Stück und klingt doch gelangweilter, gleichzeitig langweiliger als je zuvor. Generell kann man sich an seinen Beiträgen, die immerhin einen Großteil des Albums ausmachen, stoßen. Ist es ja mithin vor allem sein überraschend mühsamer Gesang, der ihm dazu verhilft, auf Pensamiento und Guaguancó De Veró so bemüht kundig und über den Dingen stehend zu klingen wie eine Latino-Version von Franz Wohlfahrt. Würde sich musikalisch mehr tun als dieses gemütliche, risikolose Zusammenspiel zwischen einigen der besten Musiker ihrer Ära, es würde nicht ganz so peinlich herausstechen. Als de facto-Bandleader mit hochwürdig thronender Namensgravur darf es dann aber doch mehr sein, Herr Inspektor.
Auch hier noch ein Verweis darauf, dass auch ein Komplettausfall der präsentesten Figur kein Beinbruch sein muss - sofern die Kollegen sich dazu berufen fühlen, die Lücken zu stopfen. Am ehesten müht sich noch Hillman, der zumindest an zwei von zehn Songs beteiligt zeichnet und von dem wie immer ein frischer Wind ausgeht. Dass dieser auf Down The Road eher einer kleinen Brise gleichkommt, geschenkt. Seine Nummern Lies und So Many Times sind zwar auch nicht frei von Trägheit und zählen sicher nicht zur besseren Hälfte seiner Kompositionen, stellen mit ihren luftig leichten Arrangements zwischen Folk-Rock und Country aber ein angenehmes Gegenstück zum erdigen, Blues-infizierten Rock von Stills dar. Man muss aber realistisch bleiben. Natürlich haben die anwesenden Musiker nichts von ihren Fähigkeiten verloren, zeigen sie mit energischen Riffs und souveränem Spiel an Klavier, Mandoline oder Pedal Steel auf. Do You Remember The Americans etwa wäre mit seiner schwungvollen Mischung aus mehrstimmigem Gesang, Banjo, Mandoline und akustischer Gitarre auch am Debüt alles andere als negativ aufgefallen, Business On The Street ist mit seiner effektiven Slide-Guitar der beste Rocker weit und breit, während City Junkies immerhin wie ein gutes Outtake aus Eric Claptons Layla-Album klingt.
Das große Problem, unter dem Down The Road leidet, ist, wie bereits angedeutet, die mangelnde Bereitschaft der beteiligten Musiker, an ihre Grenzen zu gehen. So gemütlich, wie sie auf dem Artwork der LP in kleiner Runde beisammensitzen, klingt auch das Zusammenspiel. Abgeklärt, uninspiriert und ein klein wenig zu entspannt. Letzten Endes haftet dem Album das wohl schlimmste mögliche Attribut an, das einen Tonträger von renommierten Künstlern ausmachen kann. Der zweite und nicht zu Unrecht letzte Longplayer vor der Trennung ist nämlich eines und das ist keineswegs "schlecht" - er ist schlicht und einfach belanglos. Und mit meinen Lieblingszeilen vom Titeltrack verabschiede mich und wiederhole noch einmal: Schämt euch, boys! Shame on you, Stephen Stills!
"Some people into
Jesus
Other people into Zen
I'm just into every day
I don't hide from where I been"