von Kristoffer Leitgeb, 08.07.2016
Ein eindrucksvoller Karriere-Reset, der neue, elektronische Facetten ins Licht rückt.
Sporadische Veränderungen sollen ja in einem Leben etwas sehr Positives sein. Ich kann dazu kein Urteil abgeben, wäre mir in der überschaubaren Vergangenheit nicht passiert. Vielleicht wollen ja andere ihre Erfahrungen dahingehend in Worte fassen. Die Musik bietet auf alle Fälle wie eh immer genug Material für eine sehr unterschiedliche Bewertung dieser Veränderungen. Manch Wandlung ruft einem das Grauen in Erinnerung, manches gibt ein bisschen was zum Lachen her, bedingt durch fragwürdige Ummodelungen, die immer noch harmlos genug sind, dass man sie nicht ganz so ernst nehmen muss. Und dann gibt es die, die einfach funktionieren. Weezer von der netten Geek-Pop-Rock-Truppe zur
Emo-Offenbarung, Joy Division vom Quasi-Punk zum kaum fassbaren Goth-Meisterwerk, die Beatles von passablen wandelnden Pilzfrisuren zu Musikern mit Ideen und Ambition. Geht ja. Bei zwei davon ging es bergab auch wieder, aber wenigstens war man einmal oben. Auch bei Madonna lief es insgesamt Boomerang-artig, doch für einmal glückte die Neuerfindung der eigenen Person wie selten.
Einige würden behaupten, das wäre nur allzu sinnbildlich für die Karriere der Pop-Queen mehrerer Dekaden. Das sind die, die in ihr ein musikalisches Chamäleon sehen. Vielleicht ein bisschen zu viel der Ehre, das Revolutionäre, das unendlich Wandelbare und vor allem das Treffsichere sind ihr nicht unbedingt zu Eigen. Zumindest war bei Leibe nicht jede Veränderung zu ihrem Vorteil. Das geht jedoch markant am Thema vorbei, denn der Weg vom Dasein als Pop-Diva, mit genauso vielen Allüren und Schrullen wie musikalischen Explorationen der Liebe, hin zur mystisch-meditativen Elektronik-Arbeiterin dürfte einer der lohnendsten des Genres sein. Auch "Ray Of Light" darf natürlich im Kern von nichts anderem handeln als vom einzig wahren Gefühl, das die Menschen kennen. Doch das Drumherum ist anders, abenteuerlicher, dynamischer, detailreicher, nuancierter. Im Spiel mit Trip-Hop, Trance, Techno und Electronica erweisen sich Madonna bzw. ihre tatkräftigen Produzenten tatsächlich als meisterlich.
Deswegen fallen die pochenden Beats nur so vom Himmel, landen im sonnigen Titeltrack, um dort einen kernigen Riff und ein verdammt stimmiges Sound-Allerlei zu dominieren. Letzteres besorgt genau das richtige Maß an Unruhe. Bleeps, Synth-Schimmer, Percussion-Fetzen und mehr tauchen für Sekunden auf, um schon für das nächste Puzzleteil Platz zu machen, während die Sängerin selbst mit ihrer schrillen Gesangsperformance und unglaublicher Leichtigkeit durch die Höhen und Tiefen ihrer Stimme manövriert.
Ein Kapitel, viele weitere umgeben dieses. Und sie setzen das glitzernde Dance-Feuerwerk nicht fort. Die siebente LP der US-Amerikanerin ist keine pure Hitsammlung, obwohl die Charts in ihren Songs halb erstickt sind. Leadsingle Frozen ist der beste Beweis für die künstlerische Freiheit und den Wandel, den "Ray Of Light" markiert. Zwischen verzweifelter Verlorenheit und charakterstarker Mystik gefangen, glänzt Madonna mit ihrem unentbehrlichen Summen und einer eiskalten Gequältheit in ihrer Stimme. Um sie entspinnt sich der qualitative Höhepunkt ihrer Reise in exotischere Gefilde. Die Percussion mimt Rhythmen zwischen Afrika und Asien, die zurückhaltenden Synth-Klänge lassen keine Erinnerung an alte Dance-Hits wach werden, die Streicher bieten klassische Dramatik verpackt in grazile Harmonien. Ein Pop-Meisterwerk quasi. Nun ist wenig so faszinierend, auch wenig so penibel austariert. Doch der Facettenreichtum hilft dabei, Detailschwächen unkenntlich zu machen und lange Zeit schwache Minuten undenkbar erscheinen zu lassen. Swim gerät zum relaxten Trip-Hop mit echoenden Riffs, bedeckt pulsierenden Synthesizern und stimmigen Flöten-Klängen, Skin dagegen zum quintessentiellen Dancefloor-Track mitsamt wummerndem Beat und deutlicher Nähe zum Trance, der sich trotzdem noch meditativen Gesang und beruhigend schwelende elektronische Klänge erlaubt.
Auf die Spitze getrieben werden sowohl die Exzentrik als auch der spirituelle Charakter so mancher Minute mittendrin, im Doppelpack Sky Fits Heaven und Shanti/Ashtangi. Letzteres überzeugt als Verbeugung vor dem Hinduismus und gewöhnunsbedürftige Kombination aus pochender Elektronik, verhältnismäßig brachial zusammengewürfelter Klangfetzen und Madonnas Ausflug in die Welt des Sanskrit. Ersterer tut es ihm gleich, verbindet Rave und Poesie, Synth-Gewitter und sphärische Keyboard-Töne. Allerspätestens in diesen wird deutlich, dass "Ray Of Light" nie perfekt sein könnte. Eine offensichtliche Unmöglichkeit mit Blick auf all das, was die Sängerin auf den 13 Tracks alles zu verbinden versucht. Doch die variantenreichen Mixturen imponieren, selbst wenn sie vermeintlich konventionell daherkommen. Weder Nothing Really Matters, noch The Power Of Good-Bye betreten thematisch oder klanglich wirkliches Neuland (theoretisch betritt die ganze LP kein Neuland, doch man muss nicht immer Pionier sein, um mutige und wohlgewählte Schritte zu setzen). Beide romantisch aufgeladene Elektronik-Übungen, zum einen in Form eines formidablen Dance-Tracks ohne jegliche penetrante Note, zum anderen als verhalten instrumentierte Ballade. Was sie eint, ist der intime Charakter, den sowohl die Zeilen, als auch die Präsentation selbiger durch Madonna ihnen verleihen.
Sie kann aber auch anders. Nämlich kitschig und...irgendwie störend. Während dank der sympathischen musikalischen Ausrichtung nichts in Untiefen abrutscht, kommen einem wiederholt Zweifel an der Souveränität der US-Amerikanerin. Candy Perfume Girl klingt schon genau danach und irgendwie will einem das von kratzigen Gitarren-Klängen durchzogene Gebilde nicht ganz gefallen. Vielleicht auch, weil Madonna selbst lyrisch und gesanglich urplötzlich wieder ganz woanders ist, weg von der Mystik, weg von der Emotionalität, stattdessen fast schon berechnende Unterkühltheit, die nirgendwo hineinpassen will. Aufkommende Lethargie und Monotonie sind es dagegen, die die finalen Minuten plagen. Das leicht trippige Little Girl und Closer Mer Girl hinken da in puncto klanglicher Ausgestaltung dem Rest hinterher, ermangeln interessanter Passagen und überleben fast ausschließlich dank der souveränen Gesangsperformance.
Aber sie überleben. "Ray Of Light" mangelt es ganz eindeutig an schwachen Tracks. Manch Irrwitziger würde das positiv nennen, so auch ich. Qualitative Schwankungen sind da, doch es war bei der Fertigung dieser Songs im Studio ein Werkl am Laufen, das Reinfälle unmöglich gemacht hat. Initiiert von einer musikalischen und emotionalen Neuausrichtung, klettert das Album zwischen Ideenreichtum und wohlgeformter Umsetzung weit nach oben. Geboten werden viele der besten Minuten, die Madonnas Karriere zu bieten hat, darunter wohl auch ihre glorreichsten sechs. Und das ist kein Ergebnis einer Perfektionierung alter Formeln, sondern das einer Verwandlung vom Pop-Monstrum, dessen Hits zu widerstehen kaum möglich ist, zur gewachsenen und vielseitigen Künstlerin. Manchmal, aber nur manchmal haben Veränderungen eben doch etwas für sich.