von Kristoffer Leitgeb, 31.01.2020
Erfolgreich die Zeitmaschine angeworfen und doch nur im zähen Mittelmaß des Dance-Pop gelandet.
Möglicherweise gilt folgende Unklarheit nur, wenn man Madonna nicht als die immerwährende, dem Älterwerden gekonnt entgehende Pop Queen sieht, aber es scheint mir, dass nicht so ganz geklärt ist, welche ihrer Schaffensphasen nun die wichtigste und ertragreichste war. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass ihre Schaffensphasen oft genug entweder fließend ineinander übergegangen sind oder nach einem Album durch einen markanten Stilsprung beendet wurden. Zumindest in Dekaden lässt es sich allerdings ganz gut denken, die sind ja schon einfach eingeteilt. Und da ist nun die Frage, sind es die dem Dance-Pop den Weg weisenden 80er oder doch die wandlungsfähigen, emanzipierten und risikofreudigeren 90er? Hier scheiden sich viele Geister, auch weil laut einigen die zweite Phase bereits in den 80ern in "Like A Prayer" einen kaum zu überbietenden Höhepunkt gefunden haben soll. Ich, der ich den 90er-Anhängern angehöre, kann mit ihren frühen Jahren nur insofern etwas anfangen, als dass ihre damalige Unbeschwertheit so manch großen Ohrwurm hervorgebracht hat. Das ist im Pop einiges wert, bügelt aber nicht aus, dass vieles zu lang, zu monoton, zu inhaltsarm geraten ist, was sich auf ihren ersten Alben findet. "Confessions Of A Dance Floor" schafft es, so ziemlich alles davon einzufangen, im Positiven wie im Negativen.
Natürlich ist diese glorreiche kommerzielle Wiederauferstehung nach dem Anflug eines Niedergangs mit "American Life" ihren Tagen, den mittleren 00ern, klanglich angepasst. Produzent Stuart Price schafft es außerordentlich gut, einen für diese Jahre clubtauglichen Sound zu kreieren und trotzdem aus dem Album eine Dauerreminiszenz an die Anfänge Madonnas zu machen, ohne dabei auf die billige Masche von Pop-Samples von damals zurückgreifen zu müssen. Erwähnt wird das natürlich deswegen, weil der große Hit, den die LP hervorgebracht hat, ausgerechnet mit dem nervigsten und aus der Zeit gefallensten Teil des ABBA-Songs Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight) hausieren geht. Hung Up ist nicht nur deswegen nicht unbedingt das Prunkstück der Tracklist, behauptet sich aber wegen der starken, pulsierenden Synths und des generell voluminösen Sounds. Viel mehr als einen idealen Track für die Tanzflächen dieser Welt ergibt das zwar nicht, aber das spürbare Harmoniegefühl, das auch den wummernden Beat überlebt, lässt die über fünf Minuten auch ohne geschwungenes Bein durchaus ordentlich wegkommen.
Die übrigens Songs versuchen wohl, diesem Credo zu folgen, bewegen sich nie sonderlich weit vom straighten Dance-Pop weg, auch wenn Tendenzen in Richtung Trance in Future Lovers spürbar sind, genauso wie Forbidden Love sich mit seinen Vocoder-Vocals und leichtem Disco-Flair einen Hauch von Daft Punk in sich trägt. In Anbetracht dessen, dass ausgerechnet das für den langatmigsten Song sorgt und generell latent fehlgeleitet wirkt, versteht man aber recht schnell, warum solche Ausflüge nicht öfter gewagt werden. Was einem sonst bleibt, sind allerdings oft zu träge geratene Dance-Übungen, bei denen man die Langatmigkeit nur mehr abstufen, aber nicht negieren kann. Das liegt auch daran, dass Madonna ihre ungute Angewohnheit, Tracks ohne jede Not auf viereinhalb, fünf und mehr Minuten auszudehnen. Um das rechtfertigen zu können, braucht es aber auch wirklich starke Hooks, vielleicht sogar gute Texte jedenfalls aber mehr als eine präzise abgestimmten Sound. Letztlich bringen aber Get Together, I Love New York oder How High nichts anderes mit. Deswegen versinken diese und andere Songs in ihren wuchtigen Beats, den faden Mischungen aus schillernden Synths, verunstalteten Gitarren und uninspirierten Melodien.
Positive Gegenbeispiele sind in diesen Auswüchsen wohlexekutierter Durchschnittlichkeit ziemlich rar gesät. Let It Will Be geht mit seinen von Beginn an dominierenden Streichern und der abgehackten Elektronik noch am besten mit dem Mantra der simplen Tanzbarkeit um, macht seinen Titel dabei beinahe zum Mantra und die Soundkulisse zu einer weniger aggressiven Version umgebender Tracks. Der stete, die einzelnen Songs bestmöglich verbindende Fluss aus elektronische Musik findet sonst nur mit der direktesten Rückbesinnung auf die 80er, Jump, und deren starker Bassline, andererseits mit dem großartigen Sorry wirklich in die Spur. Im ersten Moment spricht wenig für die Ausnahmestellung der zweiten Single, selbst der mehrsprachige Auftritt Madonnas nicht. Doch der Song bringt die Hook des Albums mit, findet Madonna noch dazu hier zum wohl einzigen Mal an einem Punkt, an dem sich der relativ klinische Sound dann doch auch in Emotionen ummünzen lässt. Das geht dank der schwelenden Wut der Betrogenen, die diese Minuten ausstrahlen, auch weit eher als in den meisten anderen Fällen. Und wenn man dann noch eine dezente funkige Gitarreneinlage mitbekommt, die Stimmverzerrungen sich von der ersten Sekunde an nahtlos ins Gesamtbild einfügen und die Bridge überhaupt gleich mit einer synthetischer Mehrstimmigkeit daherkommt, ist schon nicht mehr viel falsch zu machen.
Weil die positiven Eindrücke gerade so schön sind, steht relativ spät auch noch ein ziemlich außergewöhnlicher bereit, der sich so weit vom Rest abhebt, wie man es nur für möglich hält. Isaac heißt das Stück, das Madonna in ihre spirituelle Phase zurückkatapultiert und sie mit Yitzhak Sinwani vereint, einem Kabbalah-Prediger und Weggefährten, dessen tiefer, voller Gesang das Intro des Songs bestimmt und ihm auch sonst einen einzigartigen Stempel aufdrückt. Diese Verbindung der vagen, an Glaubenssätze erinnernden Zeilen Madonnas mit dem hebräischen Gesang ihres Duettpartners sorgt mit dem galoppierenden Gemisch aus vielschichtiger Percussion und trockenen Gitarrenzupfern für den Höhepunkt des Albums.
Das sagt insofern viel aus, als dass mit Sorry durchaus hochwertige Konkurrenz da ist. Dieser Umstand ändert aber nichts daran, dass es "Confessions On A Dance Floor" sehr eindeutig an der Substanz, der qualitativen Dichte fehlt. Zu sehr mäandert hier dieser eloquent geformte, aber doch irgendwie ereignislose elektronische Brei vor sich hin. Daran ändert weder die Verwebung der einzelnen Tracks miteinander, noch die generelle klangliche Frische etwas. Das Gebotene ist inhaltlich leichtgewichtig, ohne dass die vermeintlichen "confessions" wirklich welche zu sein scheinen, macht aber trotzdem keinen Spaß und zieht sich über die langatmigen Laufzeiten der Songs gewaltig. Zwar würde das den Weg frei machen für grandiose musikalische Machtdemonstrationen, in realita sind es aber ziemlich unspektakuläre Darbietungen, deren oft ähnliche Aufbau lediglich dann wirkliche Anziehungskraft aufbaut, wenn sich zur Abwechslung aus der Musik heraus die passende Atmosphäre aufbaut oder wenn Madonna überhaupt gleich einmal der Tanzfläche durch etwas Hilfe von außen in hebräischer Form entflieht. Dann ist wieder etwas von der Genialität der 90er, der damaligen, oft nicht ausrechenbaren Wandlungsfähigkeit zu spüren. Oft genug bekommt man das hier aber wohl kaum geboten.