von Kristoffer Leitgeb, 21.09.2018
Eine Neuerfindung von vielen und doch ein passender Baustein im mäßigen Œuvre der
Pop-Queen.
Das über zwei Jahrzehnte überdauernde Phänomen Madonna lässt sich auf verschiedenen Ebenen betrachten. Da wäre eine Modeikone, deren prominenter Platz in der Öffentlichkeit ihr nicht nur eine multimediale Erfolgskarriere verschafft, sondern ihr auch dabei geholfen hat, den einen oder anderen gesellschaftlichen Trend zu setzen, gleichzeitig Tabus zu brechen. Natürlich ist da auch eine Künstlerin, die die Pop-Welt dominiert und sich in ihr mutig und ohne große Angst auf unterschiedlichste Art ausgetobt hat. Das ist bemerkenswert und hat für eine Armada an Welthits gesorgt, deren stilistische Bandbreite auf einer kommerziell so erfolgreichen Ebene ihresgleichen sucht. So verhält es sich auch mit der gesamten Diskographie, nur dass es der US-Amerikanerin meistens gelungen ist, starke Songs zu Singles zu machen, während der Rest netterweise Rest geblieben ist. Laut Adam Riese geht sich damit nur so ziemlich kein großartiges Album aus, weswegen die weniger rühmliche Facette des Phänomens Madonna die ist, dass selbst ihr Status als musikalisches Chamäleon einen Haufen halbgarer Alben nicht hat verhindern können. "Bedtime Stories" reiht sich da pflichtbewusst ein.
Und das passiert natürlich trotzdem mit einer komplett neuen Madonna, die es so im Albumformat noch nie gegeben hat. So zumindest der Tenor, der aus ihrer sechsten LP ein gefühlvolles, smoothes, sogar autobiografisches R&B-Werk machen will. Ich unterschreibe den R&B-Part. Alles andere ist diskussionswürdig, wobei man zumindest auch unterstützen kann, dass nach der abweisenden Aura des überlangen Vorgängers und dem zwischen Funk, Rock und Gospel herumsträunenden "Like A Prayer" wirklich ein geschmeidiges und rein stilistisch leicht verdauliches Album herausgekommen ist. Nur ist die ordentliche Verdaulichkeit im Pop eigentlich ohnehin Standard und zum anderen verträgt sie sich vom Wesen her nur sehr bedingt mit einer Musikerin, die die Grenzen ihrer eigenen Kreativität immer wieder neu ziehen wollte und konnte. Insofern liegt der Verdacht nahe, das Album könnte einfach langweilig sein, was durch Opener Survival auch einigermaßen bestätigt wird. Gleich vorweg, rein handwerklich ist das gute Arbeit. Madonna hat zusammen mit Produzenten wie Nellee Hooper, Dallas Austin oder Dave Hall die überall entgegenspringenden Anleihen an R&B und Hip-Hop schon im Griff. Nur kommt damit aufgrund der etwas sterilen Machart und der lahmenden Beats, gepaart mit dem sanftmütigen, aus Soul, Gospel und Motown geborenen Gesang nicht wahnsinnig viel Anziehungskraft zusammen.
Dementsprechend hat man mit der Eröffnung zwar einen passablen Popsong, aber zum einen keinen Reißer und zum anderen auch nur den ersten Schritt auf dem Weg durch ein schleppendes Ganzes getan. Daran ändern Schritte vor oder zurück in der Musikgeschichte nichts. Sowohl das mit entbehrlichem Gastrap versüßte, am New Jack Swing angelehnte I'd Rather Be Your Lover als auch der nach Alanis Morissette und Madonnas eigenem 80er-Material klingende Synth-Pop von Don't Stop überleben ihre Laufzeit wirklich und stagnieren in einer Mid-Tempo-Gemächlichkeit, die es einem verdammt schwer macht, wirklich gefallen an den in Wahrheit guten Hooks zu finden. Man spürt einfach weder Energie noch Emotion in diesen Songs, sondern hört bestenfalls gefälligen Pop, der sich zwar mit jedem Song ein wenig anders definiert, dafür aber über eine Länge von vier bis fünf Minuten kaum Spannung aufzubauen weiß.
Entsprechende Tiefpunkte erreicht das in gewohnter Manier mit den kitschigen, trägen Balladen. Ob jetzt R. Kelly an Inside Me mitschreibt und für den weniger nötigen Schlafzimmer-R&B auf der LP sorgt oder aber der mit Forbidden Love auf Hochglanz sterilisierter Soul-Minimalismus gelebt wird, ist dabei kaum relevant. Die Krux an der Sache ist, dass die Songs wirken wie die Auftragsporträts eines zweitklassigen Malers: Austauschbar, gefühllos und ultimativ eher wie eine Übung in makelloser technischer Umsetzung als in emotionalem Musizieren. Möglicherweise verkenne ich damit auch einfach den Tiefgang dieser Songs, allerdings lassen weder die austauschbaren und/oder absurden Zeilen und die mit gemächlichen Beats, verweichlicht kantigen Synths oder aber schwülstigen Streichern ausgestattete musikalische Umrahmung nicht darauf schließen.
Ein anderer Umstand, der darauf hinweist, wie bescheiden der Output hier vielfach ist, ist die hohe Qualität der Singles. Zumindest von dreien, die der Königin des Pop alle Ehre machen und noch dazu sehr erfolgreich in drei unterschiedliche stilistische Pfade einschlagen. Da wäre auf einem respektablen dritten Platz der offensive Umgang mit der Kritik an Madonnas zunehmend laszivem Auftreten und ähnlich gearteter Musik auf dem Vorgänger. Nennt sich Human Nature und ist der markanteste Vertreter der für die 90er klassischen R&B-Tracks mit Hip-Hop-Unterboden. Dass der Beat gemütlich genug für Trip-Hop ist, gleichzeitig aber mitsamt der Snare kantig genug daherkommt, dass man wiederum an New Jack Swing denken will, schadet dabei gar nicht. Genauso wenig tut das das nasal-hohe Stimmchen von Madonna, das sich ein wenig durch die Zeilen jault und in der Zeile "I'm not your bitch / Don't hang your shit on me" ein Höchstmaß an Direktheit findet. Mit Respektabstand enteilen dem die Leadsingle Secret und das hypnotisierende Electronica-Stück Bedtime Story. Ein bipolares Duo, das hier mit folkigen Zupfern an der Gitarre und tatsächlich gefühlvollem, samtweichem Gesang aufwartet, dort wiederum mit einem unterkühlten, rhythmisch komplexen Synth- und Percussion-Mosaik, für das Björk als Songwriterin hauptverantwortlich zeichnet. Das Ergebnis sind zwei Songs, die ideal das Potenzial von Madonna in den 90ern einfangen. Ohne Kitsch, ohne melodramatische Balladen, sondern dafür mit einer Gegenüberstellung souveräner Zurückgenommenheit und gleichermaßen abweisender wie verführerischer mysteriöser Aura.
Der Rest ist und bleibt einfach nur der Rest. Nicht etwa, weil er so mies wäre. Könnte man sowas über die übrigen Songs sagen, es wäre schon mehr, als man so zusammenbringt. Stilistisch mag
"Bedtime Stories" durchaus interessante Seiten haben und dem weitläufigen musikalischen Gesamtwerks Madonnas die eine oder andere Facette hinzufügen. Doch bei aller Souveränität, mit der Madonnas
Ausflüge in Richtung R&B und Soul hier an der Produzentenfront begegnet wird, kreiert genau diese auch einen Gutteil der sterilen, offensichtlich unerwünscht unnahbaren Qualität einiger
Songs. Wenige Songs widerstehen der Durchschnittlichkeit, die der glatte Sound verursacht. Der Großteil versandet entsprechend irgendwo zwischen durchaus gutem Songwriting, das allerdings auch
genug gestreckt wird, um oft genug repetitiv zu wirken, und einer ungemütlich kantenlosen Umsetzung. Herausstechen kann daraus wenig, das dafür auf bemerkenswerte Art und mit einem Fingerzeig,
wie das Album eigentlich hätte klingen sollen. Dass nichts daraus geworden ist, sorgt nur für einen von vielen mittelmäßigen Einträgen in die Diskographie der US-Amerikanerin.