von Kristoffer Leitgeb, 15.08.2018
Mäßige musikalische Ideen und lyrische Fadesse, die kein zoologischer Streifzug ausbügeln kann.
Ohne eine Antwort darauf geben zu können, sei an dieser Stelle einmal die Frage in den Raum geworfen, ob es denn für einen Musiker schwieriger ist, bei der Musik oder doch eher den Texten die Kreativität und damit die Qualität hoch zu halten. Vielleicht ist beides ähnlich mühsam. Allerdings dürften milieubedingt Schwächen in einem der beiden Bereiche eher verziehen werden als andere. Nachdem Musik für viele doch Musik ist, werden Abstriche bei Inhalt und lyrischer Form wohl eher in Kauf genommen als bei der klanglichen Umsetzung. Andererseits hat der archetypische Singer-Songwriter nach alter Prägung, der oft so ziemlich im Alleingang musiziert und sein Heil in der Poesie sucht, relativ wenig Spielraum auf textlicher Ebene. Kompliziert ist das, weil man gut und gerne in regelmäßigen Abständen Geistesblitze haben kann, die zur nächsten großartigen Melodie führen, das mit den genialen Zeilen dafür schwieriger und zeitaufwändiger wirkt. Und es erfordert gehaltvollere Inspiration und thematische Tiefe. Sowas ist nicht endlos verfügbar oder reproduzierbar. Insofern musste Ludwig Hirsch irgendwann an seine Grenzen stoßen und die 90er waren anscheinend das passendste Jahrzehnt dafür.
Es war auch immerhin die Ära des Abgesangs auf Austropop und genuin österreichische Musik. Außer sie kam in Schlagerform, hochdeutsch oder mit ordentlich Elektronik daher. Schwierige Tage also schon ganz generell für die Helden von damals, gepaart mit einer kreativen Trockenperiode noch viel mehr. Nachdem Ludwig Hirsch per se kein kommerzieller Riese war und mit Hits sparsam umgegangen ist, trifft ihn eigentlich hauptsächlich die eigene Schwäche. Die ist im ersten Moment subtil, entsprechend dem, was er im Laufe seiner Karriere so komponiert hat. Das hat auch an und für sich keine Paradigmenwechsel erlebt. Die musikalische Domäne ist immer noch das klassische Liedermachertum mit dem traditionellen Folk-Fundament, einem Hauch Wienerlied-Charme und präzisen Arrangements mitsamt instrumentaler Spielereien. Das klingt gut, sowohl in der Beschreibung als auch in wirklicher Songform. Was Hirsch allerdings vom ersten Ton an schadet, ist der allzu bekannte und breitgetretene Stil, der zelebriert und in mitunter müdester Form präsentiert wird. Aufgekochte Melodien und Stilausflüge, schleppende Hooks und wenig Zauber sowohl in den Kompositionen als auch in der Interpretation durch den ewigen Weggefährten Johann M. Bertl, der sich weder an der Gitarre noch bei den Arrangements sonderlich frisch anhört.
Die Frische allein macht allerdings nicht viel aus. Selbst so angestaubter Blues-Einfluss wie der vom eröffnenden Wolf Und Mond kann einen mitunter überzeugen, wenn er mit E- und Akustikgitarre, Klavier und Backgroundchor entsprechend souverän ausstaffiert wird. Nur weint man auch keiner Sekunde nach in diesem netten kleinen Stückchen, das sich als charmantes Verführungslamento erweist. Problematisch ist in dem Sinne nie und nimmer allein der angesetzte Staub, sondern eher die relative Leblosigkeit der Musik, die sich weder mit den sparsamen afrikanischen Percussioneinflüssen von Der Elefant, dem synthetisiert swingenden Pop von Nicht Küssen und schon gar nicht mit dem trägsten Wienerlied-Schmalz wie in Die Gang wirksam bekämpfen ließe. Viel eher schläfert einen Hirsch unfreiwillig ein mit wohl romantisch angedachten, allerdings langweilig geratenen Songs, die als gitarrenlastiger oder vom Saxophon verstärkter Blues kaum animierenden Charakter haben. Vielleicht ist ein solcher auch eine verfehlte Erwartung, zumindest eine atmosphärische oder berührende, eine nachdenkliche oder hintergründig humorvolle Qualität sollte man doch von Hirsch bekommen.
Was er wirklich auftischt, ist ein Trip quer durch die Tierwelt, die ihren Humor in den animalischen Hauptdarstellern selbst sucht und dabei auf textliche Finessen größtenteils verzichtet. Zwar kann man Asta, der Geschichte vom Drogenhund, der selbst zum Dealer wird, ihre liebenswerten Charme nicht absprechen. Quälend dümmliche Tracks wie die in die Tierwelt verlegte, auf dumpfste Wortspiele reduzierte Neuauflage von Spuck Den Schnuller Aus, hier unter dem Titel Das Tier In Uns zu finden, oder das mit nervigem Gekrächze verunstaltete Dein Papagei machen allerdings jede Anwandlung von positivem Momentum zunichte. Wenn solche humoristischen Nullnummern auf Schmalspurpop wie Wunder oder den lethargischen, minderinstrumentierten Streicher-Schmalz von Winterschlaf treffen, wird die Sache schwierig.
Fast könnte man in dem Moment weich werden und das mühsam quirlige Nicht Küssen als positiven Ausreißer bezeichnen, würde man nicht doch irgendwann der nervigen, überfrachteten musikalischen Szenerie erliegen. Die Antithese dazu, das akustisch gezupfte und von romantischen Streichern zurückhaltend akzentuierte Schutzengerl, riecht schon eher nach lohnenden Minuten und schließt trotz mäßiger Textbausteine durchaus ordentlich an frühere Liebesserenaden wie die Schneeflockengeschichte an. Ein einziger Track ist es allerdings, der sich in die Sphären der stärksten Momente in Hirschs Karriere loben lässt. Der Rattenkönig generiert mit pochendem Beat, kaum hörbarer Ziehharmonika, Chor und spärlichen Gitarrenzupfern eine gespenstische Atmosphäre, die die düstere Verarbeitung der Geschichte vom Rattenfänger von Hameln ideal unterstützt. Zwar wäre auch da die feine Klinge noch zu schärfen gewesen, dass allerdings dem Rattenkönig anscheinend schlicht mit Gift beigekommen wird und auf der Flöte trotzdem tödliche Melodien erklingen können, sorgt für eine wenig erfreuliche Wendung im alten Märchen.
Und das bringt ein wenig der nachdenklichen, ernsten Eindringlichkeit zurück, die Hirsch anno dazumal zu bieten hatte. Für den Mann, dessen Lieder einmal dunkelgrau waren und der sich mit schwarzen Vögeln angefreundet hat, ist das allerdings eine reichlich magere Ausbeute. Ludwig Hirsch trifft auf "Tierisch" weder wirklich in die romantischen Herzen, noch lässt sich irgendwo der gesellschaftskritische, bissige Humor erkennen, der ihn bis in die frühen 80er ausgezeichnet hat. Dafür regieren platte Witze, fade Geschichten aus der Tierwelt, die selten einmal gut genug gelingen, um zumindest zur mit Moral behafteten Fabel zu werden. So schwächlich, wie sich hier die meisten Texte präsentieren, gerät die Musik allein wegen der professionellen Präzision beim Arrangieren nicht. Für die allein ist man aber immer schon selten zu ihm gepilgert und sie präsentiert sich durch die Bank wenig einfallsreich oder in irgendeiner Weise anziehend genug, um einen das thematische Vakuum zu vieler Track vergessen zu lassen. Das Gesamtergebnis ist einer der Tiefpunkte in der Karriere des Ludwig Hirsch.