von Kristoffer Leitgeb, 04.10.2020
Eine Stimme zum Niederknien federt ab, was liebevolle, aber unpassende Arrangements verspielen.
So eine Trennung ist hart. Das trifft im persönlichen Leben zwar ganz besonders zu, auch in der Welt künstlerischer Kooperation ist aber das Auseinandergehen nicht immer eine leichte Sache. Wohl umso zutreffender ist das, wenn man mitten während einer Tour kurz vor einem Konzert gesagt bekommt, man würde nicht mehr gebraucht. Dass Damien Rice dereinst seine jahrelange Wegbegleiterin Lisa Hannigan so abserviert hat, macht ihn nicht sympathischer und lässt an seiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln, war es doch neben seinem Sinn für brüchige Emotionalität und textliche Hoffnungslosigkeit vor allem auch ihre unfassbar starke, ausdrucksstarke Stimme, die seine Musik geprägt hat. Nicht umsonst war der einzige Höhepunkt des zweiten, gemeinsamen Albums "9" die Leadsingle 9 Crimes, deren erste, von Hannigan gesungene Strophe in der Studioversion und mehr noch live zu Tränen rührt. Dass der Rest der LP bescheiden war und auch Hannigan daran nichts zu ändern wusste oder auch einfach nicht durfte, legt allerdings nahe, dass der Ertrag der gemeinsamen Arbeit im Schwinden inbegriffen war. Und so passt die Trennung wohl und führt sogar zu dem paradoxen Zustand, dass die Rausgeschmissene am aufsteigenden Ast war, während der eigentlich Mann am Steuer nicht mehr wirklich etwas zu sagen hatte für ganze acht Jahre. Hannigan brachte in der gleichen Zeit drei Alben zusammen, von denen die mittlere am ehesten verdeutlicht, was man sich wünscht und was man nicht bekommt.
Gleich vorweg sei gesagt, dass jegliche dahingehende Kritik kein Verriss sein kann und soll, weil Hannigan als Singer-Songwriterin beide Teile dieses Jobs zu gut beherrscht. Zwar sind ihre Songs musikalisch keine großen Abenteuer, der Spannungsbogen rundum ein überschaubarer, aber in der Disziplin des melancholisch-verletzlichen, mitunter auch verträumten Indie-Folk-Pop ist sie beschlagen genug, um harmonische und verspielte bis dramatische Arrangements zu zaubern. Gleichzeitig hat die Irin eine Stimme zur Verfügung, mit der sie alles zum Schmelzen bringen, was sich ihr in den Weg stellt. In Hannigans Musik ist also sie selbst das schillernde Zentrum und Gravitationspunkt alles Umgebenden, sei es auch noch so dynamisch gehalten. Zwischen seidenweichem, elegantem Dahinschwebem, gefühlvoller, brüchiger Trauer und der schlichten charmanten Schönheit geschmeidiger Akzente lauteren Schlags bringt sie alles mit, um das Mikro auch wirklich in allen möglichen Varianten auszunutzen.
Umso schwieriger ist es mit der Tatsache umzugehen, dass sie das hier zwar oft beweist, aber selten so in Szene setzt, dass man wirklich ins Schwelgen geraten würde. Das qualitativ und stilistisch Herausragende Knots ist als getriebener Country-Stomper der einsame leuchtende Stern der Tracklist, vermengt ungewöhnlicherweise die Ukulele mit Klavier, erdig winselnden Streichern, hell galoppierenden Drums und stampfendem Bass. Daraus wird ein grandioser Dreieinhalbminüter, der wenig Wünsche offen lässt. Außer die, dass doch bitte die übrigen Songs auch ein bisschen so sein sollten. Lediglich mit What'll I Do tut einem Hannigan einigermaßen den Gefallen, bleibt bei einer exzentrischen Soundmischung und prominentem Antrieb durch Kontrabass und Drums. Dass dabei dennoch etwas weniger herausschaut, liegt wohl am leichtfüßigeren, süßlich-romantischen Touch des Songs, der auch Hannigans leicht rauchigen Gesang nicht ideal komplimentiert.
Die übrigen Songs pfeifen gleich überhaupt auf diese musikalische Marschrichtung und zeichnen dagegen ein ruhigeres, mal schwerfällig melancholisches, mal gefühlvoll zerbrechliches Bild. Das kann ähnlich großartig klingen, wenn Hannigan so unpackbar singt wie in A Sail, in das sie alles an emotionaler Ausdrucksstärke packt und diese mit einer zurückhaltenden, aber prägnanten Gegenüberstellung von monotonem Klöppeln, zunehmend dominanteren Banjozupfern und dramatischen Streichern zwischen langgezogenem Winseln und hellem Stakkato unterlegt. Dann ist man begeistert, auch wenn im instrumentalen Ende deutlich wird, dass es auch gerne ruhiger hätte bleiben können. Selbiges kann ebenso überzeugend klingen, wenn sich Hannigan in Little Bird hauptsächlich der akustischen Gitarre und vereinzelten Streichereinsätzen verschreibt und ihren sanftesten Gesang zum Besten gibt. Dann liegt eine Mischung aus Zerbrechlichkeit und Friedlichkeit in der Luft, die er zu hören gilt.
Tendenziell ist die ruhigere und/oder dramatischere Seite des Albums jedoch nicht unbedingt dazu geeignet, einen zu begeistern. Die Eröffnung Home pfeift zwar auf die Zurückhaltung, zwängt aber als voluminöse Vorstellung Hannigans Stimme zwischen trägen Streicher- und Bläserparts ein, mischt dazu zu prominente Drums und das Klavier. Das Ergebnis ist weniger majestätisch, sondern eher dröhnend, auch weil Hannigan selbst dazu gezwungen ist, abseits ihrer doch so vielen stimmlichen Stärken unvorteilhaft laut und beinahe schrill zu klingen. Das ist am Ende noch besser als Langeweile, weswegen insbesondere mit dem Ende des Albums wenig anzufangen ist und sowohl das countryeske, dramatische Safe Travels (Don't Die) und der träge Closer Nowhere To Go nicht mehr tun, als einen mit Ihrer Schwerfälligkeit einzuschläfern. Ganz in diesem Sinne ist manches hier in seinem Potenzial limitiert, weil mit der Ruhe zu oft nicht die Emotionalität und Intimität einher geht, die man sich wünschen würde. Zumindest kommt sich im aufgeblasenen Opener genauso wenig an wie im undynamischen, antiklimatischen Duett O Sleep mit Ray LaMontagne, dessen effektivster Moment keine der beiden Stimmen braucht, sondern ausgerechnet die instrumentale Bridge ist. Derlei Songs existieren in einer unbequemen Zwischenwelt, in denen mit viel Sorgfalt und Liebe zur Harmonie Arrangements geformt werden, die dann aber zu viel vereinen und zu markant klingen wollen, um der gefühlvollen Stimme Hannigans die Bühne zu überlassen. Oder sie sind auch einfach nur zu undynamisch, um einen zu fesseln. Das kann es natürlich auch sein.
Jedenfalls ist ein bisschen Enttäuschung da, weil hier das, was zusammengehört, nicht zusammenfindet. "Passenger" ist weit weg davon, ein schlechtes Album zu sein, aber es ist eines, das einem ziemlich deutlich zeigt, dass das Potenzial weit größer wäre als das, was letztlich herausschaut. Lisa Hannigan macht stimmlich in gewohnter Manier viel richtig, kreiert eine melancholische Reise durch so manch kleine Geschichte vom Verlorensein und Wiederfinden. Die Emotion kommt nur aufgrund der oft nicht wirklich passenden Musik selten dort an, wo sie sollte. Diese Dissonanz macht die LP schwieriger, als sie sein müsste und führt einen dazu, dass man sich nach etwas Minimalismus sehnt, wie ihn Hannigan unter Damien Rice wohl aufgezwungen bekommen hat. Denn die Soloarbeit ist klanglich mutiger und ebnet den Weg für eine grandiose Leadsingle, versperrt aber gleichzeitig den, der zu den tiefen Gefühlen und herzzerreißenden Darbietungen führt. Natürlich wäre das verschmerzbar, wenn die Leadsingle nur ein Beispiel von vielen wäre. Nachdem sie aber allein an der Spitze steht und nur zaghaft von einzelnen, zumindest ähnlich gelungenen Tracks begleitet wird, ist das Ergebnis ein solides, das aber nichtsdestotrotz unterwältigend erscheint.