Linkin Park - Reanimation

 

Reanimation

 

Linkin Park

Veröffentlichungsdatum: 30.07.2002

 

Rating: 6 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 17.10.2015


Aus alt mach neu oder Warum Recycling nicht immer die beste Antwort auf alles ist.

 

Die Umwelt ist unser Freund, liebe Kinder. Und zu Freunden muss man immer nett sein, sogar wenn man nicht wirklich weiß warum. Also sind auch wir zur Umwelt nett. Rationale Begründungen sind da eher rar gesät, aber wer unschlüssig ist, der macht es eben für die Generation, die nach der Generation kommt, die der Generation nachfolgt, die die nächste Generation beerben wird. Verstanden? Nein, eh klar. Den bestenfalls in Wunschträumen existierenden Ururenkeln ein wunderbares Leben zu sichern, das ist als Argument eher gaga. Wie wär's damit: Alle räumen mittlerweile verständlicherweise die Ausscheidungen ihrer Hunde aus dem Weg anderer, da kann man doch auch drauf schauen, dass das eigene Hundstrümmerl, das man der Welt hinterlässt, nicht so groß ist. Einfach um der Ethik Willen. Recycling wäre da ein Weg. Einfach mal aus alten Hosen neue nähen, das Badewasser für den nächsten Abwasch aufheben oder die Zeitung nach - je nach Schmierblatt auch vor - dem Lesen als Klopapier verwenden. Verlockend, nicht? Ungefähr genauso wie eine Remix-LP mit dem ganzen Material des Debütalbums...

 

Man kann's aber natürlich trotzdem machen und einfach mal schauen, was daraus wird, genauso wie mit den Hosen. Es braucht aber doch erheblich größere Fähigkeiten, die gleichen Songs so durch die bandeigene Aufbereitungsanlage zu schleusen, dass der Hörer nicht das Gefühl bekommt, über den Tisch gezogen worden zu sein. Beim musikalischen Recycling spart sich ja nur die Band was, bezahlt werden muss der Spaß trotzdem noch. Verändert werden sollte also möglichst alles, damit bei großteils gleichen Texten noch irgendwas Brauchbares rausschaut, was Mike Shinoda auf den Plan ruft, der dem ganzen Album einen dicken Hip-Hop-Anstrich verpasst. Darauf lässt sich natürlich aufbauen, allein weil Shinodas Talent als Produzent nicht zu leugnen ist. Und trotzdem fragt man sich, braucht es mit Rappern und kantigen Beats und Scratches gespickte Remixes von den eigentlich persönlichen und relativ harten "Hybrid Theory"-Minuten?

 

Kurze Antwort: Nein. Lange Antwort: Manchmal ein bisschen. Die Aufgabe aus den Originalen so viel rauszuquetschen, dass sie sogar verbessert wirken, gelingt aber wirklich nur, wenn dem Charakter der Tracks auch weiterhin treu geblieben wird. Pts.OF.Athrty, die einzige Single, schafft das, weil Jay Gordon seinem Remix fast nichts von der Aggressivität und Härte nimmt, dafür aber mit seinen kühlen Scratches und Beats die Ideen mitbringt, die auf dem Original noch gefehlt haben. Auch abseits davon muss man auf die Momente bauen, die offensichtlich weniger angetastet wurden. Rnw@y, WTH>You oder By_myslf können ihren Ursprungssongs allesamt deswegen Paroli bieten, weil die Riffs weiterhin klar rauszuhören sind, Benningtons Gesang nicht komplett in Stücke gerissen wird und klare Brüche klugerweise nur phasenweise gesetzt werden. In mundgerechten Happen geraten nämlich auch die gerappten Gastauftritte besser, können sich wie bei WTH>You in einer starken, elektronischen Bridge voll entfalten, ohne das Momentum abzutöten.

 

An anderer Stelle wird man mutiger und sorgt schon mal für fragende Gesichter. Der quasi komplett dem Rap geopferte In The End-Remix stellt sich als Enth E ND zwar mit wirklich starkem Beat und smoothem Loop des Klavierparts vor, wirkt aber im Vergleich so viel ziel- und letztlich sinnloser, dass er nur unterliegen kann. Es ist eine reine Spielerei, wirklich gut umgesetzt, aber eben doch ohne Substanz abseits der Musik. Solcherlei Verlusthappen finden sich öfter. FRGT/10, PLC. 4 Mie Hæd oder PPR:Kut verenden mit ihrem Fokus auf Beats und Guest Spots als Durchschnittsmaterial, das "Reanimation" die Konstanz raubt, die "Hybrid Theory" noch ausgezeichnet hat. Zwischen über einem Dutzend verschiedener Remixer und ebensovielen unbekannten Rappern ist kein Platz für eine LP, deren roter Faden mehr als das Metal-goes-Hip-Hop-Konzept ist. Dass Joe Hahns Selbstremix von Cure For The Itch (hier: Kyur4 TH Ich) in seinem fast psychedelisch wirkenden neuen Gewand zu den produktivsten Arbeiten gehört, sagt da schon einiges aus.

 

In diesem Gemisch verlorener Botschaften und oft lauwarmen Neuinterpretationen zeigt sich, wie es ganz anders geht, einmal mehr dort, wo Emotionen auch weiter ihren Platz haben dürfen und nicht zu sehr an der Formel herumgedoktert wird. Pluspunkte gibt's ohnehin schon, weil es sich um einen Bonustrack des Debüts handelt, doch auch abseits davon ist die Ballade My>DSMBR das konkurrenzlose Prunkstück des Albums und eine der besten Arbeiten Linkin Parks überhaupt. Während die alte Version als komplett abgespeckte Klavier-Nummer mit Benningtons eher mäßigem Gesang nicht vollends überzeugen konnte, bringen die kalten, abgehackten Beats, die präzise eingeflochtenen Elektronik-Bits und die Stimme von Kelli Ali eine Dynamik mit, die den Song nicht nur musikalisch ordentlich aufwertet, sondern auch in puncto Tiefenwirkung ein Gewinn ist.

 

Das lässt aber "Reanimation" insgesamt nur noch zerfranster und uneinheitlicher wirken als ohnehin schon. Natürlich liegt der Gedanke eines simplen Cash-Ins der Band nahe, so ganz erschließt sich die Aufgabe des Albums nämlich einfach nicht. Nur Spielwiese für Mike Shinoda? Freundschaftsdienst für einen Haufen Kollegen, von denen sonst kein Schwein gehört hätte? Oder doch Lückenfüller, damit man auch nicht ganz so eindimensional daherkommt? Wahrscheinlich ein bisschen von allem. Es wäre ohnehin falsch zu sagen, hier hätte sich zu wenig geändert, denn durchzogen von Hip-Hop-Beats und elektronischer Manipulation ist die zweite LP von LP meist ziemlich weit weg vom Nu-Metal. Bizarrerweise ist aber gerade das offenbar nicht so gar super, die besten Minuten findet man nämlich überall dort, wo eigentlich das Original noch um die Ecke schaut. Betrachtet man es also für sich, kann "Reanimation" gar nicht so wenig, gebraucht hätte es aber wohl auch keiner wirklich. So wie die selbst genähten Hosen...

 

Anspiel-Tipps:

- Pts.OF.Athrty

- Rnw@y

- My<DSMBR


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