von Kristoffer Leitgeb, 15.09.2017
Der unwürdigste Abschied, den ein Frontmann bekommen kann, wären da nicht diese drei Minuten.
Theoretisch wäre es möglich gewesen, dieses Album oder vielleicht gar "Hybrid Theory" als direkte Reaktion auf Chester Benningtons Selbstmord zu schreiben. Nur hätte er sich beides nicht verdient gehabt, so prägend - wenn auch nicht nur im Positiven - er für die Kinder der späten 80er und frühen 90er war. Denn die letzte LP mit seiner Beteiligung wird in ihrer miserablen Qualität nicht dem gerecht, was er konnte, und das von vielen so innig geliebte Debüt wäre in umgehend reviewter Form einem Maß an lächerlicher Sentimentalität und unfairer Nostalgie gleich gekommen, dass zumindest mein Magen das nicht reaktionslos hingenommen hätte. Deswegen also erst jetzt und doch mit "One More Light", diesem höchst unrühmlichen finalen Auftritt. Ehrlich gesagt, einfach weil es gerade reinpasst, dreckige Opportunisten, die wir sind. Ansonsten gäbe es nämlich noch immer keinen Grund, einen fähigen Sänger mit so einem Machwerk noch einmal aufleben zu lassen.
Begründet liegt das aber durchaus auch darin, dass sich niemand wirklich vorstellen kann, dass dieses Ding in seiner miserablen Ausrichtung irgendwie dem gerecht wird, was Chester Bennington wollte. Der Mann, der Grunge-Helden zu seinen größten Idolen und besten Freunden gezählt, einer Metal- und einer Hard-Rock-Band seine Stimme geliehen hat, soll plötzlich ein fast komplett dem Pop verfallenes Album absegnen, sogar mitkreieren? Geht sich nicht aus, deswegen ist wohl für ihn in den Writing Credits auch kaum einmal Platz. Eigentlich - und das ist im Lichte der folgenden Geschehnisse ziemlich schade - war Bennington bei seinen letzten Aufnahmen zum Sänger degradiert. An nur zwei Songs maßgeblich schreibbeteiligt, an einem anderen emotional fast zerbrochen, ansonsten ist es eine LP, die vermeintlich der ganzen Band ihren Platz einräumt, effektiv aber Mike Shinodas Spielzeug geworden ist. Der hat einen Haufen externer Songwriter beschafft und so entstehen dann schnell einmal Dinge wie Opener Nobody Can Save Me. Der ist kein Rock, er ist auch kein Hip-Hop. Und beides wäre irrelevant, würde diese müde, gefühllos instrumentierte und nur alibihalber von Gitarren durchzogene Vorstellung mehr in Erinnerung rufen als Justin Biebers letzte LP. Diese und ähnliche Reminiszenen gehen so weit, dass man sich sogar der unsäglichen, allerdings immer schwerer zu entrinnenden High-Pitched-Vocals direkt aus dem Computer bedient, deren Penetranz wohl dem schwächlichen Beat unter die Arme greifen soll.
Oder auch nicht, glaubt man der Songentstehung. Angeblich immer zuerst die Vocals aufgenommen, dann den Song drumherum komponiert und eingespielt. Dass das geht, ist realistisch. Dass das geht, wenn man einen im wahrsten Sinne des Wortes vielschichtigen Sound und vermeintliche Genremixturen im Kopf hat, ist unrealistisch. Diese Herangehensweise und nur die, so mutig unkonventionell sie für die Band auch sein mag, kann für den defensiven, poplastigen und komplett von in jeglicher Weise berührender Aggressivität und Authentizität befreiten Klang des gesamten Albums verantwortlich gemacht werden. Zusammen allerdings mit der Songwriter-Armada und Shinoda, der bereits "A Thousand Suns" stilistisch dominiert und in Grabesnähe getragen hat. So gut er als Produzent, so ordentlich er als Rapper und so bemüht er als Texter und Sänger sein mag, die stilistische Marschrichtung der ganzen LP darf man ihm nicht überlassen. Zumal ihm der Hip-Hop immer ferner sein dürfte. Stattdessen dominieren weichgespülte Anleihen an R&B, Synth-Pop und Electronica, die dann so etwas Lethargisches und Glattes wie Heavy zur Leadsingle werden lassen. Die ist jetzt nicht schlecht im eigentlichen Sinn, immerhin singen da im Duett mit Gastsängerin Kiiara zwei fähige Leute. Aber so undefiniert und ohne jede Abgrenzung von allem, was gerade die Charts auf und ab schwebt, bleibt diesem Song weder Seele noch Nachhall, vom atmosphärischen Gewicht, um wirklich Emotionen auszulösen, gar nicht zu reden.
Sie hätten genau das sehr gerne, das wird sehr schnell und sehr oft deutlich. Doch die Kitsch-Brocken Battle Symphony und Sorry For Now, beide im musikalischen Minimalismus inspirationsloser Elektronik untergehend, rücken mit der textlichen Banalität, die sich immer und unentwegt auf die Theatralik zubewegt, eine der schlimmsten Eigenschaften von Linkin Park in den Vordergrund. Dass dann Shinoda singt und Bennington auf einmal als Pseudo-Rapper auftreten soll, um Sorry For Now einen vermeintlich frischen Twist zu verpassen, ist da nur das Sahnehäubchen. Dabei soll man ihnen die Texte vielleicht weniger vorwerfen, es scheinen die persönlichsten zumindest seit "Meteora" zu sein, allesamt unmittelbar dem Leben der Bandmitglieder entnommen. Aber zu austauschbar und kraftlos ausgestaltet, um einen die in die Songs investierten Gefühle noch irgendwie heraushören zu lassen, selbst im Titeltrack, der Bennington nach dem Tod Chris Cornells unerwartet nahe gegangen war und für ihn unsingbar wurde. Doch "Aus dem Leben gegriffen" ist als Gütesiegel nicht ausreichend, um die Brustschwäche und Befremdlichkeit der Musik wettzumachen. Es mag viel Arbeit in die Songs geflossen sein, aber keine penible Produktion und kein noch so ausgetüfteltes Übereinanderstapeln verschiedenster Tonspuren kann rechtfertigen, wie glatt, unpersönlich und vor allem kraftlos alles hier klingt. Gitarrist Brad Delson hat viel beigetragen, aber selten das Richtige. Von harten, unbarmherzigen Riffs im Doppelpack mit drückenden Drums ist nichts zu hören, stattdessen regieren fünf und mehr Gitarrenspuren auf einmal, die allesamt gleich klingen und nirgendwo Nachdruck erkennen lassen.
Ein einziges Mal hört man Riffs und in der Folge auch einen tatsächlich guten Song, nämlich mit Talking To Myself, dessen Formel zwar seit elendiglich langer Zeit ausgelutscht ist, dem aber immerhin noch das rettende Ufer der LP aufgedruckt ist. Das liegt übrigens dort, wo "Minutes To Midnight" aufgehört hat. Gelächter allenthalben, es ist aber ernst gemeint. Der geschliffene Rock von damals ist beinahe die eindringlichste Formel, die man sich einfallen lässt, um noch irgendwie zu überleben. Zusammen mit dem genauso aus der Ära übriggebliebenen, allerdings elektronisch verunstalteten - kann einem doch keiner erzählen, dass Joe Hahn als DJ hier irgendwas mitzureden hatte - Hip-Hop-Track Good Goodbye, dessen rein dem mäßigen Beat und kaum greifbaren Synth-Wänden verpflichteten Refrain man kaum beachtet, weil drumherum gleich im Dreierpack ziemlich ordentlich gerappt wird.
Nur in einem verlassenen, eigentlich zu dem Zeitpunkt schon für komplett unmöglich gehaltenen Moment blitzt noch einmal so etwas wie großartige Musik, insbesondere aber die so bitter nötige Emotion auf. Ausgerechnet das Finale, der letzte von Bennington abgesegnete Song mit seiner Beteiligung, wird zu einer sehr späten Erinnerung vor allem an seine Qualitäten. Sharp Edges ist als rein akustischer Closer, verstärkt nur von Streichern und äußerst dezenten Elektronik-Bausteinen, zwar die Antithese zur Linkin-Park-Hochzeit, markiert aber eine der besten Darbietungen einer erwachsenen, zur Ruhe und schlichten gefühlvollen Performance fähigen Band. Ob das jetzt wirklich eine gültige Zuschreibung ist, sei dahingestellt, auf alle Fälle ist es ein gelungenes Finale für einen Mann: Chester Bennington. Der hat ohnehin schon Jahre vorher seine gesanglichen Fähigkeiten wiederentdeckt und reiht diese Performance in seine besten ein, irgendwo neben Blackbirds und Little Things Give You Away.
Das ist einerseits wenig, andererseits genug, um ihn einigermaßen reinzuwaschen von der Schuld, die andere auf sich nehmen müssen für dieses Etwas, das miserabel ist, gerade weil es nicht absonderlich sein will. Linkin Park waren zwar schon davor über ein Jahrzehnt lang immer nur auf der Suche nach einem anderen, nicht immer einem neuen Sound, aber es war nie so frustrierend, eigentlich eher noch langweilig, eine neue Reinkarnation von ihnen zu hören. Nicht per se, weil aus ihnen eine Pop-Band geworden ist, sondern weil diese Transformation so ohne jede Aggressivität oder jeden Mut zu wirklich originären musikalischen Pfaden vonstatten gegangen ist. Bennington scheint da noch relativ wenig dafür zu können und ist mit seiner Stimme klanglich ohnehin das Um und Auf des Albums. Was jetzt auch nicht für "One More Light" spricht, wenn man es nüchtern betrachtet. Auf alle Fälle wird da wenig bleiben, das ihm zu einer nachhaltig guten Nachrede verhelfen könnte. Immerhin bleibt aber, dass es an solchen Momenten bei ihm ohnehin nur bedingt mangelt, vor allem, wenn es um die Schattenseiten seines eigenen Lebens geht:
"With blackbirds following me
I'm digging out my grave
They close in, swallowing me
The pain, it comes in waves
I'm getting back what I gave"