von Mathias Haden & Kristoffer Leitgeb, 04.10.2014
Vielfältigere Gestaltung und geglückte Soundexperimente machen die zweite LP erträglicher als gedacht.
Man kennt das ja von uns, diese 'Guter Cop, böser Cop'-Nummer. Heute schlüpfe ich mal wieder in die Rolle des garstigen Griesgrams. Im Visier: Linkin Park. Lange Jahre bevor uns diese Möchtegern-Metaler das ehrlich verdiente Geld mit kolossalem Müll in Form von Minutes To Midnight oder A Thousand Suns aus der Tasche ziehen konnten, stand hinter den Initialen L.P. tatsächlich eine Kapelle, bei der man nicht gänzlich hasserfüllt in seinem Musiksessel neben dem Lautsprecher zu verharren vermochte. Wobei das eigentlich noch untertrieben ist, denn der zweite Longplayer Meteora ist gar nicht mal so schlecht wie der Ruf, den die Band abseits von Fan-Foren genießt. Und wem kann man vertrauen, wenn nicht mir… Geben wir den Kaliforniern also die Chance, sich vorerst selbst zu verteidigen, bis der Zeuge in Form meines Kollegen für zusätzliche Entlastung sorgt.
Dabei hat uns das Sextett um Sänger Chester Bennington und Rapper Mike Shinoda gar nicht so viel zu sagen, das wird schon im kurzen, von Wörtern gänzlich befreiten Foreword klar. Was hier als kleines Witzchen über ein dreizehnsekündiges Intro harmlos beginnt, gipfelt schließlich im biederen Hit The Floor, hinter dem Shinoda wohl die treibende Kraft war: "One minute you're on top, the next you're not, watch it drop".
Aber Spaß beiseite, textlich ist das Gebotene (Stories über die weniger erfreulichen Momente im Leben) schon ganz okay.
Besser läuft's trotzdem musikalisch. Vor allem im direkten Vergleich mit Vorgänger und Blaupause Hybrid Theory besticht das Album durch seine vielfältigere Gestaltung. Neben den gewohnten, aber besser als zuvor platzierten Härteeinlagen gibt es diesmal auch ruhigere Minuten und einige geglückte Experimente am Sound. Zu letzterem darf man beispielsweise das abgezockte Faint zählen, das sich durch wundervoll in Szene gesetzte Streicher von anderen seiner Zunft abhebt. Die positivste Überraschung ist die andere mit String-Arrangement und starken Samples unterlegte Nummer, Breaking The Habit, die als genreuntypische Mischung aus zurückhaltenden Vocals und viel Elektronik mit Nu-Metal nicht mehr viel gemein hat, vielleicht gerade deswegen so gut funktioniert. Das letzte große Highlight einer angenehm kurzweiligen LP ist dann aber ein bandtypisches: Das kraftvolle Bennington-Pfund From The Inside. Hart, aber niemals herzlich.
Nicht verwunderlich, dass sich da aber auch einige Nieten ausmachen lassen. Das eingangs besprochene Hit The Floor leidet schwer unter Benningtons mühsamen Gejaule, bei Figure.09 braucht man sich überhaupt keinen Illusionen hingeben, der erschließt sich auch nach einem Dutzend Hördurchgängen nicht, bleibt trotz gesunder Härte ungesund fade.
Nobody’s Listening ist gut produziert, bietet abgesehen von smoothem Beat und der interessanten klanglichen Unterstützung japanischer Shakuhachi-Flöten aber auch nur eine unterdurchschnittliche Routinenummer mit besonders mäßigem Refrain.
Der Angeklagte hat gesprochen, der Griesgram zieht sich zurück und überlässt (zuerst dem Kollegen und schließlich) den Geschworenen im guten Gewissen das Urteil. Mit Meteora beweisen Linkin Park nämlich, dass mehr in ihnen steckt, als nur eine durchschnittliche Band in der bemitleidenswerten Position, die Werbetrommel für ein zu Recht längst verrecktes Genre zu rühren. So böse war das diesmal ja gar nicht, darum in diesem Sinne: Have mercy on the criminal!
M-Rating: 6.5 / 10
Der Abgesang auf ein versunkenes Genre wird auch zu einem seiner absoluten Höhepunkte.
Ich als guter Cop, wie soll denn das gehen? Nicht gerade meine Paraderolle. Naja, versuchen wir's eben: Ich hab ja den Hass für die Nu-Metal-Brigade nie so ganz verstanden. Pop-getränkter Metal, eine Prise Hip-Hop und definitiv fast immer dem Motto 'keep it simple' gefrönt. Und doch steckt in dieser Einfachheit, der emotional seichten Intensität und ab und an doch auch einer gehörigen Portion Ehrlichkeit ja bei Zeiten so viel Gutes. So präsentiert in dem, was einem im Sterben liegenden, die letzte Ölung erwartenden Genre der Schwanengesang sein sollte: "Meteora".
Das auch nur, wenn man die Verkaufszahlen hernimmt, es gibt diese Spezies nämlich immer noch. Damals war aber ein letztes großes Aufbäumen in den Charts zu spüren, ein letzter Mega-Seller für Shinoda, Bennington & Co. Sinngemäß startet man, bietet nach dem kurz abgehandelten 'Vorwort' sogleich mit Don't Stay eine allzu wuchtige Erinnerung an das Debüt, bei der alles passt. Vielleicht der härteste Song der Band, der mit röhrenden Gitarren und einer - damals noch gewohnt - starken Darbietung von Bennington punktet, dazu perfekt eingearbeitete Scratches vorbringt. So gehört ein Plädoyer eröffnet, Kollege.
Die großartige Fortsetzung lässt nicht lange auf sich warten. Bietet doch Lying From You einmal mehr das tolle Zusammenspiel von Shinoda und Bennington, kombiniert Rap und Geschrei vor allem im Refrain perfekt. Und diese lauten Momente werden nicht sichtbar schwächer. Das zu Recht hervorgehobene Faint liefert den vielleicht stärksten Beat der Bandgeschichte, kann dazu die markanten Streicher und einen auf gute alte Art banalen Wutausbruch der besten Sorte für sich beanspruchen. Dem zur Seite steht das Filler-Material rund um das so gelobte From The Inside, Hit The Floor und Figure.09. Aufgeteilt auf einerseits eine balladesque Härteeinlage, die Quintessenz des Hip-Hop/Metal-Gemischs und einen in aller Monotonie ziemlich brachial-guten Anfall, zeigt sich alles brauchbar, wenn auch nie als wirklich zu genießende Großtat.
Als Kontrastprogramm finden sich die vom Kollegen hervorgehobenen Neuerungen. Zwar mit dem Schwächling Nobody's Listening, dessen unförmiger Japan-Touch nie wirklich Sinn zu machen scheint, von Shinoda nur notdürftig geflickt werden kann. Aber eben auch mit starken Balladen, die sich über Leadsingle Somewhere I Belong und das atmosphärische Easier To Run stetig verbessern und so letztlich in der vollkommenen Perfektion von Breaking The Habit münden. Eine wahrlich emotionale Performance - man muss wohl eine der frühen Live-Version kennen, um das voll zu erkennen - von Chester Bennington, die eingehüllt in eine geniale Joe Hahn-Session mit allem nötigen Drum und Dran zu einer bemerkenswerten Mischung aus großem Ohrwurm, viel mehr aber noch einer Riesenportion Gefühl wird. Das dazugehörige Video sollte man gesehen haben, die Backgroundstory rund um Mike Shinodas an den Drogen zu Grunde gegangenem Freund schadet ebenfalls nicht für die Tiefenwirkung. Ein Magic Moment vielleicht für niemanden außer mich, aber das soll für einen Review ja manchmal reichen.
So sitzt man letztlich vor einer wirklichen Machtdemonstration einer Band, die danach nie wieder in die Nähe von ebendieser gekommen ist. Facettenreichtum ist es wohl nur für dieses Genre, um zu gefallen reichen die produzierten Varianten aber allemal aus. So wird's in den ohnehin leider kurzen 36 Minuten nie langweilig, stattdessen kann man sich zwischenzeitlich zwischen Mitschreien, Air-Drummen oder einfach nur gebannt zuhören finden. Ich denke, wir belassen es bei einem klaren Freispruch.
K-Rating: 9 / 10