von Mathias Haden, 17.09.2016
Ambivalentes Spätwerk, dessen träge Soundsphären dem ambitionierten Terminus "New Age" nur selten gerecht werden.
Um ganz gemäß des dieswöchigen Artist of the Week in den zumindest von mir skeptisch beäugten 90ern zu verweilen, ein kleiner Nachschlag. Von einer Künstlerin, die man im Gegensatz zur Band im Spotlight (Mazzy Star, für Spätleser) nicht gerade in diesem Jahrzehnt verorten würde. Nach zehn Jahren, in denen neben einem doppelten Hattrick an Jazz- bzw. Mariachi-Alben und einer Hit-Trio-LP mit Dolly Parton und Emmylou Harris nur ein einziger Schritt ins Pop-Terrain gewagt wurde, bedeutete das Jahr 1993 für Linda Ronstadt eine vermeintliche Rückkehr zu chartstauglichen Gefilden. Das gelang mit dem in Richtung New-Age - wieder so eine wundervolle Genre-Bezeichnung - ausschlagenden Winter Light allerdings nur bedingt, nach 1989 sollte es Solo für die Top 50 der US-Charts nur mehr mit einer späten Compilation (knapp) reichen.
Kommen wir aber kurz zu der Bezeichnung "New-Age" zurück, denn die dürfte lediglich Kennern und Genre-Puristen geläufig sein. Einige Begriffe, die man im Zusammenhang damit online lesen kann, möchte man hier gar nicht erst nennen - der Begriff Esoterik reicht stellvertretend vollkommen aus. Dieser Beigeschmack haftet der Ronstadt-LP Gott sei Dank nur gelegentlich an, eher liegen die anderen aufgeschnappten Termini wie Electronic oder Ambient nahe, wenn auch nur in ganz dezenter Form. Vielfach als bestes Album ihrer Spätphase und eines der besten in Ronstadts Karriere gerühmt, wird Winter Light dieser Rezeption aber nur selten gerecht. Der einzig magische Moment lässt überhaupt erst bis zum Schluss auf sich warten, findet im winterlich melancholischen Titeltrack einen würdigen Repräsentanten. Zu in positiver Hinsicht romantischen Klaviertönen gesellen sich gelegentlich unaufdringliche Streicher, die Trümpfe liegen allerdings in Ronstadts Gesang, der durch all die Marschrouten, Experimente und Sessions etlicher Jahre und Bemühungen nur wenig von seiner Kraft eingebüßt hat und hier eine ungewohnt engelsgleiche Färbung adaptiert.
Das Besondere an der neunzehnten Solo-LP in einem knappen Vierteljahrhundert dürfte neben der Brillanz der
Titelnummer aber dem bereits erwähnten New Age-Sound zukommen. Wie eine Nebelsuppe hängt der nämlich in der Luft, wird neben Synthesizern immer wieder von verschiedenen Stimmen aus dem
Hintergrund getragen und lässt auch Orgel, Bläser oder Mandoline mitwirken. Ein paar Nummern, die sich in dieser Atmosphäre verlieren, kennt man wie so oft bereits von anderen bekannten
Künstlern. Allen voran natürlich Don't Talk (Put Your Head On My Shoulder), von Beach
Boys-Mastermind Brian Wilson verfasst und einst Leistungsträger auf dem legendären Pet Sounds-Album, das hier leider ein bisschen gar heftig in
melodiebefreiten, Kirchenorgel-artigen Synthsphären schwelgt. Dazu selbstverständlich der Dusty Springfield-Klassiker I Just Don't Know What To Do With
Myself aus der Feder Burt Bacharachs, der indes unweigerlich Jack Whites krächzende Stimme in Erinnerungen ruft, hier aber in gewohnt solider Manier die altbekannte, titelgebende Problematik
aufwirft.
Es wäre wohl vermessen, dem Album Zerfahrenheit vorzuwerfen. Aber nur aus dem einfachen Grund, dass hier bis auf den Closer gar nicht erst viel Brillanz durchschimmert. Trotzdem will sich abseits
des samtenen Soundschleiers nicht so recht der rote Faden auffinden lassen, weder positiv noch negativ. Das ist aber auch dem Umstand geschuldet, dass zum ersten Mal seit 1972 nicht
Langzeitproduzent Peter Asher das Zepter schwingt, hier gar Ronstadt selbst ihr Debüt in Sachen Produktionsarbeit gibt. Dass dies nicht in die Hose geht, verdankt sie ihrem starken Organ und dem
Händchen für brauchbare Nummern. Heartbeats Accelerating der McGarrigle Schwestern fühlt sich in seinem synthetischen Klangbild sichtlich unwohl,
bleibt sich und seinem wehmütigen Charme allerdings treu genug, um hier zu den Favoriten gezählt werden zu dürfen. Auch das schöne A River For Him,
einer der wenigen von Emmylou Harris geschriebenen Songs, bewahrt sich seine schmeichelnden Avancen, wird indes auch weniger in ein unpassendes Soundkorsett gepresst.
Leider geschieht genau dies auf den restlichen Nummern des Albums das eine ums andere Mal zu oft. Nicht jedem der alten Gassenhauer steht sein neuer, gleichzeitig veraltet wirkender Klang. Gerade der Beach Boys-Song wird dadurch zum freudlosen Erlebnis und der Doo-Woop-Ballade It's Too Soon To Know bedarf es nicht einmal eines unpassend modernen Anstrichs, um auf der LP vollkommen fehl am Platz zu sein. Somit bleibt am Ende wieder eines dieser Alben übrig, die scheinbar für jedes Argument, ihnen Sympathie entgegenzubringen, exakt eines in petto hat, um just die gegenteilige Emotion zu wecken. Stimmlich kann man Ronstadt nicht viel vorwerfen, außer, dass sie ihre kraftvollsten Momente teilweise für die langweiligsten Songs verschwendet. Der Sound ist, vorsichtig formuliert, gewöhnungsbedürftig und träge, zeigt am hervorragenden Titeltrack aber, dass einiges hier durchaus anders hätte laufen können. Winter Light ist dementsprechend nicht nur Lichtjahre davon entfernt, zu den essenziellen Werken der Sängerin gezählt werden zu dürfen, sondern läuft zudem Gefahr, auch im Spätwerk in der belanglosen Hälfte zu landen. Zum Teufel mit New-Age. Dann doch lieber dröhnendes Mazzy Star-Geschrammel.