von Mathias Haden, 15.10.2015
Berührendes Übergangswerk, dessen unbestrittene Vorzüge sich nicht immer sofort offenbaren.
Ach, was würde der Kollege jetzt wieder ablästern. Über die großartigen 70er, mit ihren modischen Charakterzügen, ihren in seinen Augen fragwürdigen Idealen und in erster Linie den durchaus bemerkenswerten Artworks dieser Ära. Eine, die in dieser Zeit ganz groß wurde, ist Linda Ronstadt. Mit großer Stimme, äußerst begabten Begleitmusikern und einer Palette an famosen Fremdkompositionen wurde die Dekade im Handumdrehen zu eigen gemacht und die Staaten, Mitte der 70er noch im festen Griff des Country- und Soft-Rocks der Eagles und James Taylor, erobert. Warum von ihrer Diskographie dann lediglich das 1974 veröffentlichte Heart Like A Wheel zum Klassiker heranreifen durfte, der Rest ihres durchwegs starken Outputs dieser Epoche sporadisch und nur mit starkem Widerwillen in vereinzelten Bestenlisten auftaucht, oh ja, es ist mir nach wie vor ein Rätsel.
Kommen wir zurück zu den 'bemerkenswerten Artworks', um die Handlungsstränge endlich miteinander verbinden zu können. Zugegeben, Ronstadts siebte Soloscheibe nach ihrer Emanzipation von den Stone Poneys, Hasten Down The Wind, wirft mit seiner bizarren Inszenierung auf den ersten Blick die eine oder andere Frage auf, bleibt mit seinem mysteriösen Reiter und der absenten Unterwäsche für Freunde gelungener Front-Covers aber ein origineller Leckerbissen. Noch wichtiger ist eigentlich nur, dass auch die Sängerin nach einem wahren Run an starken Alben, der bis zum Solo-Debüt Hand Sown ... Home Grown von 1969 zurückreicht, immer noch bei Trost und voll im Saft ist, das nächste Feuerwerk zu zünden. Dabei gerät gerade diese LP ein wenig zum feurigen Übergang vom countryesken Classic-Rock der letzten Jahre zur mutigen Genre-Wanderung, die sie in den folgenden noch Zwischenstopps, u.a. im Jazz und im Mariachi, unternehmen ließ.
Ein bisschen jazzig wird es hier allerdings auch schon, kurz vor Ende, bei Willie Nelsons Crazy, dem sie mit beseelter, fast lasziver Stimme eine neue Dimension verleiht, freilich aber vor der zurecht berühmtesten Version von Patsy Cline den Hut ziehen muss. Was haben wir noch anzubieten im Ronstadt'schen Sammelsurium an unterschiedlichen Musikrichtungen? Darf's vielleicht ein bisschen Reggae in Form von Give One Heart sein, das mit seinen lässigen Percussions weit souveräner anläuft, als man von der Beschreibung her vermuten könnte? Oder doch eine Portion Gospel, mit himmlischer Inbrunst vorgetragen, wie am schönen, indes vielleicht doch dezent unpassenden Down So Low? Zum Zeitpunkt dieser drei Kompositionen, also knapp vor Abpfiff, ist das Album aber ohnedies schon sicher über den Berg, sind die bemühten Ausflüge in unerforschte Hemisphären fast schon als Zubrot zu betrachten. Denn die besten Minuten liegen wie so oft auf der ersten Seite der LP, auf der sie noch auf vertrautem Boden wandelt und zwischen Pop, Rock und einer Prise Country ihre beste Seite zeigt. Die erste von drei Karla Bonoff-Kompositionen, Opener Lose Again, begeistert als mitreißende Midtempo-Ballade einmal mehr mit der Harmonie zwischen Sängerin, der zu dieser Zeit gesanglich nicht viele etwas vormachen konnten, und ihrer Backingband, von denen sich auf Hasten Down The Wind besonders Multiinstrumentalist Andrew Gold für so manchen brauchbaren Impuls auszeichnen darf. Zum ersten Mal darf sich Ronstadt hier übrigens (zwei Mal) einen Credit als Songschreiberin verbuchen lassen, wenn auch nur unter Mithilfe ihrer Kollegen. Besonders Lo Siento Mi Vida, dem man mit ihrer herzhaften Performance auch ohne jegliche Spanischkenntnisse jedes Wort bedenkenlos abnimmt, rührt zu Tränen, überflügelt in seinem spärlich instrumentierten Arrangement jede große Darbietung der Bandkollegen. Noch eine kleine Lanze möchte ich auch für den von Warren Zevon geschriebenen Titeltrack brechen, das in seiner intimen, melancholischen Atmosphäre eine fast schon unbehagliche Intensität aufbaut. Lediglich ihre ach so goutierte Adaption vom ach so gefeierten Buddy Holly-Klassiker That'll Be The Day entwickelt sich mit seiner laschen Performance zum sprichwörtlichen Schuss ins eigene Knie, das gelang ihr kein Jahr später mit Hollys It's So Easy schon wesentlich besser, wenn auch nicht mit weltbewegendem Ergebnis - dem Urheber wird's freilich egal sein.
Hasten Down The Wind ist schon ein merkwürdiges Album. Da fehlt die luftig arrangierte Schönheit früherer Aufnahmen, da entbehren sich potenzielle Hitaufnahmen mit technischer Finesse wie Blue Bayou und Poor Poor Pitiful Me vom Nachfolger Simple Dreams, ja, da kommt noch nicht einmal die Trumpfkarte in Form vom alles in den Schatten stellenden Selbstvertrauen auf. Und doch ist Lindas siebter Streich einfach nur wundervoll. Der Sängerin geht vielleicht nicht jedes Experiment auf (That'll Be The Day, Try Me Again), die Band spielt sich nicht in den gewohnten Rausch und der Produktion fehlt die Leichtfüßigkeit anderer Aufnahmen dieser Dekade. Stattdessen gewinnt die anfangs womöglich spröde anmutende Angelegenheit mit jedem Spin, geht mit seinen zurückgeschraubten Arrangements und seinen mutigen Genre-Diskursen auch gerne mal den schwierigen Weg, nimmt Fettnäpfchen mit, reißt Wände ein - bleibt sich und seinem charakteristischen Ronstadt-Style trotz Heterogenität aber treu und bildet nicht nur eine willkommene Ergänzung in ihrem Kanon, sondern auch in jedem Plattenregal.