von Mathias Haden, 27.10.2014
Brave Achtziger-LP, welche die Protagonistin mit einigen starken Balladen und viel Hingabe am Leben erhält.
So schnell kann es gehen. Vor kurzem noch für ihren beherzten Harmoniegesang gelobt (Emmylou Harris' Evangeline), heute selbst im Rampenlicht. Damit hatte die wohl erfolgreichste Sängerin der 70er Jahre freilich nie ein Problem, einige tolle Beiträge zur Pop-, Rock-, Country-, aber auch Jazz-, Punk- und Latinmusik sprechen da eine deutliche Sprache, denen die kommerziellen Entlohnungen nicht widersprechen zu vermögen.
Dennoch kann auch sie von der Vergänglichkeit des Ruhmes und der Kurzlebigkeit der Popkultur ein Liedchen singen. Mit ihrer zwölften LP Get Closer sollte der bereits gewohnte Erfolg, den sechs mit Platin ausgezeichnete Alben in Serie naturgemäß zutage förderten, erstmals nach knapp zehn Jahren wieder ins Wanken geraten. Letztlich schaute zumindest Gold und ein Grammy für Best Recording Package heraus.
Während Ronstadt ab Mitte der Siebziger vorwiegend die Songs jüngerer Singer-Songwriter wie J.D. Souther oder Warren Zevon vertonte und 1980 mit Mad Love einen verspäteten Kommentar zur Punk Rock-Bewegung abgegeben hatte, war es endlich wieder Zeit, sich älterer, vertrauter Musik anzunehmen. Dieser Umstand zahlt sich bereits früh aus, denn auf die berührende Adaption von Jimmy Webb's The Moon Is A Harsh Mistress möchte man nach dem ersten Kontakt nicht mehr verzichten. Bei dieser emotionalen Ballade steht einmal mehr Ronstadts starke stimmliche Performance im Fokus, während die Backingband ihr diesen zurückhaltend zierlich überlässt und gekonnt in Szene setzt.
"Once the sun did shine
And lord it felt so fine
The moon a phantom rose
Through the mountains and the pine
And then the darkness fell
The moon's a harsh mistress
It's hard to love her well…"
Bleiben wir beim großen Pluspunkt: Die Ballade. Gerade diese Disziplin beherrscht die Protagonistin ja wie keine andere, zumindest ohne dabei nicht völlig unglaubwürdig zu wirken. Die zweite Webb-Nummer, das bittersüße Easy For You To Say, gehört auch zu den stärkeren Tracks, ebenso das kapitulierende Sometimes You Just Can't Win (mit J.D. Souther) und besonders der grandiose Abschluss My Blue Tears. Dieser ergreifende Dolly Parton-Song stammt noch aus den Sessions zum gemeinsamen Trio-Album mit Parton und Emmylou Harris und glänzt mit tollem Harmoniegesang der beiden Freundinnen. Das von Kate McGarrigle geschriebene Talk To Me Of Mendecino gerät in ihren Händen und schönem, zu dieser Zeit im Mainstream recht untypischen Arrangement mit Cello, Mandoline und Akkordeon zu einem weiteren Triumphzug durch Emotion und Hingebung, vor allem aber zu einer gelungenen Abwechslung zum kommerziellen Sound des Albums.
Dabei muss man klarerweise aufpassen, Begriffe wie 'kommerziell' oder 'Mainstream' schrecken erfahrungsgemäß eher ab. Nicht alles, was hier die Anforderungen für Radio-Airplay erfüllt, ist aber gleich eine Klasse schlechter. Leider fällt im MusicManiac'schen TÜV dann doch der eine oder andere Track durch. Was uns auch schon zum größten Manko der LP bringt: der straighten 80er-Rocknummer. In diese Kategorie fällt bereits die Single, das Aushängeschild der LP, der Titeltrack, auf dem Ronstadt zwar kraftvoll auftritt, aber welcher einfach zu wenig hergibt um zu überzeugen. Immerhin reichte es für eine Verwendung in einer Zahnpastawerbung mit kolossalem Wortspiel ('Get Close Up'). Lies ist nicht viel besser, ein banaler, eindimensionaler Rocker ohne Höhepunkt, der fast schon an eine schwächere Version des gleichnamigen Rolling Stones-Track (auf Some Girls) erinnert, mit diesem aber nichts am Hut hat.
Die letzte Kategorie auf Get Closer sind die obligatorischen mid-tempo Pop-Songs. Auch hier findet sich einiges an Mittelmaß, beispielsweise der lauwarme Aufguss des Sechziger-Hits Tell Him ("Tell him that you're never gonna leave him / Tell him that you're always gonna love him / Tell him tell him tell him tell him right now"), auf dem außer Ronstadts Gesang nicht allzu viel zusammenläuft. Die andere Seite der Medaille heißt I Knew You When, auf dem Ronstadt die Vielseitigkeit ihres Stimmumfangs zur Schau stellt und dem nächsten rührenden Oldie einen neuen Anstrich verpasst.
Zwischen diesen beiden liegen dann der Vollständigkeit halber noch das unspektakuläre Mr. Radio und das verheißungsvolle Duett mit James Taylor, der Ike & Tina Turner-Klassiker I Think It’s Gonna Work Out Fine, der genau eine Minute lang verheißungsvoll bleibt und dann in fade Monotonie übergeht, da wäre wesentlich mehr drin gewesen.
Nach knappen 37 Minuten ist das Urteil schließlich ein wenig gespalten. Linda Ronstadt liefert viele Argumente, um ihr zwölftes Soloalbum in die schier unergründliche Schublade der braven, aber irgendwie belanglosen 80er-Alben einzuordnen. Die Rocknummern funktionieren nicht wirklich, die Produktion ist zu großen Teilen zu sehr an den gängigen Pop-Rock der frühen Achtziger angepasst. Andererseits klingt die Protagonistin wieder einmal fabelhaft, ist bei bester Stimme und Leidenschaft. Dieser Umstand, in Verbindung mit einigen ihrer schönsten Balladen machen Get Closer letzten Endes doch zu einem positiven Erlebnis, wenn auch zu einem - vergleichsweise - kommerziellen Flop. Also nur Mut, get closer!