von Kristoffer Leitgeb, 13.06.2020
Das Album danach und also zunehmende Vielfalt und abnehmende Stärke.
Es kann schon ganz schön schwierig sein, auf einen überwältigenden kommerziellen Höhepunkt etwas folgen zu lassen. Immerhin weiß ja keiner, ob das wirklich der Höhepunkt war, weswegen dann doch immer diese potenziell erdrückende Erwartung im Raum steht, dass da noch mehr kommen könnte. Adele lässt grüßen. Wenn allerdings das schon Schwierigkeiten mit sich bringt, wie muss das dann erst sein, wenn man nicht nur kommerziell den Gipfel erreicht hat, sondern gleichzeitig noch dem Rock ein Denkmal in Albumform gesetzt und sich auch qualitativ an die Spitze des Genres gearbeitet hat? Da mir selbiges erst noch bevorsteht, kann ich es momentan noch nicht eindeutig beurteilen, schätze es jedoch als relativ herausfordernd ein. Insofern waren diese vier Briten vielleicht doch nicht nur zu beneiden, als ihnen 1972 die Welt zu Füßen lag, selbst ein Album ohne Titel und ohne Bandnamen am Cover mit schwindelerregenden Verkaufszahlen aufwarten konnte und die Größe des Namens Led Zeppelin nur noch von der ihres Konzertpublikums überflügelt wurde. Gestellt hat man sich trotzdem und dabei nicht etwa den einfachen Weg gewählt, sondern einmal mehr selbstbewusst neue Wege beschritten.
In diesem Sinne ähnelt "Houses Of The Holy" ein wenig "Led Zeppelin III", als dass beide einem kommerziellen Hoch folgten - hier dank des untitled Albums, dort dank Whole Lotta Love und dem zweiten Streich einer legendären Trilogie - und sodann gekonnt mit Erwartungen brachen. Denn auf den bluesinfizierten Hard Rock von "Led Zeppelin II" folgte großteils ein ruhigerer, plötzlich dem Folk zugewandter Sound und dem göttlichen vierten Album begegnete man mit.... D'yer Mak'er? Nun ist das nicht die Leadsingle gewesen und doch war es der nennenswerteste Hit des Albums, was in vielerlei Hinsicht bizarr ist. Nicht nur, dass man es mit dem merkwürdigen, immerhin nicht ernst gemeinten Ausritt in Richtung Reggae mit etwas zu tun hat, das der DNA der Band komplett zuwiderläuft. Es ist auch schlicht und einfach der eindeutig schlechteste Track, der sich hier finden lässt. Der Song ist klanglich schlicht komplett daneben und mag wohl quasi als musikalischer Scherz akzeptabel sein, allzu gern hören will man dieses Trumm deswegen aber trotzdem nicht. In diesem störrischen, trägen Gebilde kommt kein Gefühl für die jamaikanische Kunst des Reggae auf und es geht blöderweise auch jede der herausragenden Qualitäten, die man normalerweise mit den Briten verbindet, komplett verloren. Nicht einmal Bonham, der eindeutig tonangebend ist, klingt an seinen Drums so wirklich anziehend. Über den Rest sollte der Mantel des Schweigens gehüllt werden, weil Plant zwar wie gewohnt klingt, aber auf tonarmen Nonsens reduziert ist, Page sich kaum entfalten kann und John Paul Jones eigentlich überhaupt nicht nennenswert vorkommt. Das ist bitter, insbesondere nach einer LP, die nie enttäuscht hat.
Immerhin wird einem mit der anderen Single aber auch gleich der Höhepunkt des Albums geboten. Over The Hills And Far Away ist dabei konzeptionell irgendwo zwischen Stairway To Heaven und Gallow's Pole angesiedelt und entsprechend stark. Zwei übereinander gelegte akustische Gitarren sorgen für das passende, stimmungsvolle Intro, münden jedoch nicht in einem glorreichen, atmosphärischen Epos, sondern in einem straighteren Rockauftritt, der im positiven Sinne an den zweiten und dritten Part der self-titled Trilogie erinnert. Ein gewohnt großartiger, mehrstimmiger Auftritt von Page, prägnante Bassparts quer über den Song verstreut und Plant nahe dran an seiner Bestform aus alten Tagen. So will man das!
In dieser geradlinigen Form bekommt man das höchst selten vorgesetzt, genau so klingen allerdings die besten Minuten des Albums. Closer The Ocean ist die direkteste Rückbesinnung auf die erdig-harten Anfänge im Blues Rock, nimmt sich zwar textlich eindeutig nicht zu ernst, rockt aber immerhin ordentlich, auch wenn das gewisse Etwas ein bisschen fehlt. Dancing Days wiederum ist für die Ansprüche an Post-Untitled-Led-Zeppelin fast schon zu direkt und einfach gestrickt, kann aber mit diesem Riff und Bonhams entspannt-groovender Performance einfach nicht verlieren und bietet Page wieder mal die ideale Bühne für einige Kunststückchen an seiner Gitarre.
Hakt man diese Momente gewohnter Stärke ab, lässt sich der Fokus auf das richten, was "Houses Of The Holy" einzigartig im Kanon der Briten macht, wenn auch nicht nur im Positiven. The Rain Song ist als Ruhepol des Albums eine behände ausstaffierte Ballade, die zwar mit einem anstrengenden, übermäßig präsenten Mellotronpart leben muss, gleichzeitig aber Page auf einem Höhepunkt gefühlvoller, vielschichtiger Arbeit an seiner Gitarre zeigt. The Song Remains The Same macht als erst spät zu einem vollständigen, mit Text garnierten Song ausgestattetes Instrumental zu Albumbeginn noch weniger Hehl daraus, dass Page hier das Um und Auf ist. Der gibt sich seiner Gitarrenkunst einmal mehr in vollen Zügen hin und hat auf fünfeinhalb Minuten verteilt genügend Gelegenheiten, um sich durch diverse Spielarten und effektvolle Einlagen durchzuarbeiten. Dessen wird man zwar irgendwann ein bisschen müde, ähnlich wie man wenige Jahre später des schier endlosen Galopps von Achilles' Last Stand im Laufe des Songs überdrüssig wird, starke, unterhaltsame Arbeit ist es aber dennoch.
Auf der anderen Seite steht dafür etwas wie The Crunge, das sich sehr deutlich und direkt an James Browns Funk orientiert, nur dass nicht so ganz zu erörtern ist, ob es sich nun um eine Hommage oder Parodie handeln soll. Jedenfalls ist dieser stilistische Ausritt wesentlich besser als der von D'yer Mak'er, deswegen aber trotzdem noch nicht annähernd großartig. Der Song ist einigermaßen unterhaltsam, wirkt aber klobiger und undynamischer, als es eine Hommage an James Brown sein dürfte, ist damit reduziert auf Jones' starke Arbeit am Bass, während Page mit seinem Funkriff wenig zur Geltung kommt und man Jones nicht auch noch unbedingt synthetisiert an den Tasten hätte hören müssen. Psychedelisch, wie es No Quarter ist, sollte das eigentlich besser hinhauen. Entsprechend stark ist der Track auch arrangiert, sodass man reibungslos zwischen dichten Gitarren- und Synthesizerschwaden hier, ruhigen Gesangs- und Klavierpassagen dort und dann wiederum bluesiger Finesse in einem langgezogenen Solo wechselt. Die damit verbundene schleppende Schwere und fehlende Dynamik nimmt all dem jedoch den Nachdruck, den man sich wünschen würde und der daraus etwas Großartiges werden lassen könnte.
Was man darüber hinaus nicht außer Acht lassen sollte, ist die Tatsache, dass man hier auf nichts stößt, das sich anschicken würde, zu einem der besten Songs von Led Zeppelin gezählt zu werden. Das soll nicht bedeuten, dass man es nicht fast durchwegs mit kompetenter, teils großartiger und spannender Arbeit zu tun hätte. "Houses Of The Holy" ist kompromisslos vielseitig, einmal mehr herausragend produziert, lässt aber die präzise Treff- und Geschmackssicherheit des Vorgängers sowie dessen atmosphärisches Gewicht vermissen. Deswegen hat man es mit vielen starken Songs zu tun, einem soliden und einem Reinfall. Ein neues atmosphärisches Meisterwerk wie Stairway To Heaven, ein mächtiger Blues-Triumph wie When The Levee Breaks, rohe, dramatische Emotionalität wie jene von Babe, I'm Gonna Leave You oder die ihresgleichen suchenden, unterhaltsamen Soundmanipulationen von Whole Lotta Love sucht man dennoch vergebens.
Ultimativ macht das aber nicht allzu viel, weil man immer noch oft genug mit Rock versorgt wird, dem es nicht an Vorzügen mangelt. All die klangliche Finesse, die sich die Briten erarbeitet haben, schlägt auch hier voll durch und macht mit dem damit verbundenen Gefühl für makellose Arrangements großartige Minuten möglich. Fehlerfrei ist man dennoch nicht unterwegs, weil die waghalsigsten Abstecher in anderes musikalisches Terrain nicht aufgehen und der letzte Funke, der ein künstlerisches Feuer entfachen könnte, auch in den vielen überzeugenden Songs fehlt. Das bedeutet zwangsläufig einen Abstieg für Led Zeppelin, allerdings von so weit oben, dass auch mit etwas Abstand dazu immer noch verdammt gut unterwegs ist.