Glamour und Starallüren als Highway-Maut auf dem Weg nach Hollywood.
Ich vermisse diese Frau, das gebe ich gerne zu. Obwohl Stefani Joanne Angelina Germanotta auch heute noch relativ umtriebig ist, weiterhin höchst eigenwillige Alben veröffentlicht, mit einer steinalten Jazz-Legende performt oder kurzzeitig sogar als Gast für einen Track von Kendrick Lamars Good Kid, M.A.A.D. City-Meisterstück in Erwägung gezogen wurde, ist es doch ziemlich ruhig geworden um die US-Amerikanerin. Kein Vergleich jedenfalls zu 2008, als die Exzentrikerin wie aus dem Nichts mit Just Dance die ultimative Partynummer und aktuell einen der zwanzig erfolgreichsten Hits der Billboard Charts aus dem Hut zauberte, sich schließlich mit dem Video der nächsten Bestseller-Single Poker Face kurzzeitig zum feuchtesten Traum seit Brigitte Bardot mauserte. Der ganze Triumphzug, so perfide durchdacht und strategisch umgesetzt, wirkte auch dank seiner überwältigenden Geschwindigkeit (ganz so schnell war es dann doch nicht, das lief aber noch unter dem Radar der Öffentlichkeit) mit einer Einfachheit gesegnet, die der Künstlerin in den letzten Jahren irgendwie abhanden gekommen scheint. Klar, damals war man im Hause Germanotta weniger auf Authentizität bedacht und hatte als Kunstfigur Lady Gaga leichteres Spiel, Aufmerksamkeit und vor allem offene Ohren zu erreichen. So strahlt The Fame mit über 15 Millionen verkauften Einheiten und Multi-Platin da wie dort als ihre wohl unerreicht erfolgreichste LP.
Zu Recht könnte man meinen, lässt man sich allein von der unendlichen catchiness ihrer Millionen generierenden Singles davontragen. Gerade der oben benannte, fulminante Synthpop-Banger ist so unfassbar eingängig, dass selbst Tanzflächen-Neurotiker ein penetrantes Zucken in den Schenkeln verspüren. Den Gastauftritt von Colby O'Donis, den wir wohl seinem Buddy und Co-Songwriter Akon zu verdanken haben, hätte es nicht gebraucht, immerhin gibt er der Nummer mit seinem aalglatten Gesang eine dezente R&B-Note mit auf den Weg. Poker Face bedarf keines Gastauftritts und ist wohl allein deshalb schon überlegen. Besagte hochinfektiöse Europop-Hymne mit ihrem simplen, gleichzeitig effizienten Beat ist es jedenfalls, die diese erste und wahre Lady Gaga-Inkarnation bestens zusammenfasst und mit deren Zeilen sie auf ewig verbunden bleiben wird: "Can't read my, can't read my / No he can't read my poker face / She's got to love nobody". Anno dazumal konnte das wirklich niemand.
Weswegen auf dem ersten Album für ein Dance-Pop-Album rein theoretisch auch genug Abwechslung geboten wird. Auch vergleichsweise spärliche Balladen finden sich, wie etwa das solide, insgesamt unspektakuläre Brown Eyes, das ohne wuchtige Synthesizer und dröhnendem Bass auskommt. Bisschen was aus dem Dunstkreis Hip Hop gibt es auch, nämlich auf dem entgegen jeder einzigen Erwartung tatsächlich funktionierenden Auto Tune-Gezeter Starstruck mit dem Schwachkopf-Partyaffen Flo Rida. Nicht alles funktioniert sonst, besonders auf der zweiten LP-Hälfte wird The Fame häufig von latenter Durchschnittlichkeit eingeholt. Aus ihrem zu diesem Zeitpunkt ihrer Karriere wohl nur angestrebten Lebensstil macht die US-Amerikanerin zu keiner Zeit einen Hehl, Titel wie das nervige, aber ordentlich produzierte Beautiful, Dirty, Rich, die handzahme Dance-Routinenummer Money Honey oder der rockinfizierte Titeltrack leben den Hollywood-Traum jedenfalls bereits in vollen Zügen. Oder auch Paparazzi, einer der besseren unter den Glamour-affinen Tracks hier, der sich von einer hübschen Melodie tragen lässt. Gegen jene des besten Stücks kann diese aber nur wenig ausrichten. Eh, Eh (Nothing Else I Can Say) hat sich im Vergleich zu den anderen vier Singles zwar skandalös bescheiden verkauft, charmiert als unbeholfener Liebessong aber mit einer süßlich naiven Natur, sommerlichen Synth-Vibes und einer unaufdringlichen Spieldauer von unter 3 Minuten aber wie kein anderer der versammelten vierzehn Tracks. Vor allem im Vergleich zur einzigen bislang noch nicht abgehandelten Single LoveGame. Diese vereint so ziemlich alles, was ich an der Gaga nicht ausstehen kann. Dreckiger Elektro-Beat trifft auf die uninteressanteste, monotonste Trash-Hook, nebenbei schauen noch clever zweideutige Zeilen raus wie: "Let's have some fun, this beat is sick / I wanna take a ride on your disco stick". Na, wer's cool findet.
Ich jedenfalls nicht, weswegen auch der unsägliche Quatsch von Paper Gangsta auf taube Ohren stößt. Der Rest der Platte ist einigermaßen okay, trägt aber nicht viel dazu bei, der Ehre gerecht zu werden, unter den vom Rolling Stone (kein Kommentar diesmal) geadelten, besten 100 Debütalben aller Zeit zu stehen. Vielmehr überzeugt The Fame als Ansammlung einiger der eingängigsten Minuten, die das letzte Jahrzehnt zu bieten hatte. Ein klassisches Pop-Album also, das mitunter den schmalen Grat nur knapp halten kann, nicht zu bemüht künstlich zu wirken. Auch wenn die verfrühten Star-Allüren und Tonnen an Glam und Glimmer über weite Strecken im Vordergrund und fast vor der gebotenen Musik stehen, nimmt man Germanotta die Kunstfigur Lady Gaga tatsächlich ab. Und das heute noch, bald zehn Jahre nach ihrem plötzlichen Eroberungszug. Ich denke, das allein reicht beinahe als Rechtfertigung für eine positive Endabrechnung. Und ja, ich vermisse diesen kleinen Quälgeist wirklich. Und die Prä-Streaming-Charts. Und meine Milchzähne...