von Mathias Haden, 23.10.2013
Mit drückenden Beats und Elektronikexzessen auf zu neuen Horizonten!
Lady Gaga zählt mit Sicherheit zu den stilprägenden Musikern der letzten 5-6 Jahre, das muss auch der größte Kritiker neidlos anerkennen. Mit ihrem einzigartigen Gaga-Charme und ein paar knackigen Ohrwürmern eroberte die unter dem klingenden Namen Stefani Joanne Angelina Germanotta geborene Italo-Amerikanerin in kürzester Zeit die Herzen abertausender Menschen und gewann so ein riesiges Publikum. Mit ihrem Debüt The Fame lieferte sie 2008 eines der solidesten Pop-Alben des Jahrzehnts und stieg vom Promi zum allgegenwärtigen Superstar auf. In der Musikgesellschaft darf man sich allerdings nie auf seinen Lorbeeren ausruhen, und so lieferte Gaga noch eine EP ab und machte sich danach an die Arbeiten zu ihrem zweiten Studioalbum, das im Mai 2011 veröffentlicht werden sollte.
Obwohl man das Gesamtwerk natürlich unter dem breit definierten 'Pop'-Genre kategorisieren kann, ist es irgendwie gar nicht so einfach das zu tun. Vor allem mit dem Vorgänger lässt es sich nicht mehr wirklich vergleichen. Ging das Debüt noch in die Richtung einer aufgeweckten Dance-Pop-Mischung ist es hier ungleich schwerer mit der Einschätzung. Sowohl Einflüsse von 80er-Jahre Synth-Pop als auch Techno, Oper und sogar Heavy Metal lassen sich entdecken. Was hier als lustiger Mix beschrieben wird, muss allerdings nicht zwingend Spaß und Freude bereiten.
Den hat man primär schon beim Cover nicht. Bei allem Respekt für Fräulein Germanotta und ihrem polarisierenden Geschmack, aber das muss wirklich nicht sein.
Einen besseren ersten Eindruck gibt dann der Inhalt. Mit Titeltrack und Lead-Single Born This Way startet das Album planmäßig. Praktisch überall an der Spitze der Charts und zumindest mal ein Pop-Song, mit einer gewissen Tiefe und Aussagekraft. Nicht umsonst eine ihrer erfolgreichsten Bemühungen und irgendwie auch als Signatursong zu verstehen. Auch Opener Marry the Night schlägt sich mit seinem Einsatz von Kirchenglocken und der düsteren Thematik ganz wacker.
Lady Gaga besitzt mit Sicherheit nicht das beeindruckendste Stimmwerk. So bietet sie gesanglich zwar auf allen ihren Alben eine anspruchsvolle Performance, aber trotzdem fehlt nicht so wenig auf Stimmgewalten wie Beyoncé oder Adele. Dafür beherrscht sie etwas, das den meisten anderen weiblichen Entertainern fehlt: Das Händchen für gelungene, mitreißende Pop-Kompositionen. Diese Karte spielt sie natürlich auch auf ihrem zweiten Album aus. Das wunderbare Hair z.B., das ganz klar als leuchtender Stern vom Rest des Albums hervorragt und auch mit 5 Minuten nicht zu lang ist. Dieses bildet eine tolle Mischung aus Disco, drückenden Dance-Vibes und dem großartigen Saxophon von Bruce Springsteens E-Street Band-Kollegen Clarence Clemons.
Aber auch sonst finden sich ein paar schöne Momente auf Born This Way. Allen voran die bekannte Single The Edge Of Glory oder Highway Unicorn (Road To Love). Die beiden, die Einflüsse von Bruce Springsteen beinhalten, überzeugen besonders durch ihre beschwingten und aufopfernd vorgetragenen Refrains. Auch das mit Tausendsassa und Queen-Gitarrist eingespielte, countryfizierte You and I klingt ganz brav und hat seine Momente, auch wenn es ein bisschen langatmig daherkommt.
Wo die Sonne erstrahlt, ist aber immer auch mit Schatten zu rechnen. Während Gaga nämlich einige wirklich lohnende Kompositionen zustande bringt und den Pop phasenweise eindrucksvoll mit Dubstep und anderen Genres vermählt, überspannt sie den Bogen zum Teil maßlos. Die heftigen Techno-Beats sind auf zahlreiche Tracks verteilt und auf Dauer nicht mehr tragbar. So kann man Songs wie Scheiße (ja, der heißt echt so) oder das von den deutschen Electropop-Legenden von Kraftwerk beeinflusste Government Hooker kaum am Stück hören, so anstrengend die drückenden Schläge. Mit 'Good Vibrations' hat das wirklich nichts mehr zu tun. Und während das mit Latino- und Mariachi-Einflüssen geschwängerte Americano mit seinem spezifischen Klängen und einem halbwegs brauchbaren Text über gleichgeschlechtliche Ehen trotz neuerlichen Elektronikexzessen ein bisschen Abwechslung birgt, verschwindet etwa Heavy Metal Lover in einem unschönen Sumpf aus Synthesizern und Auto-Tune-Effekten. An dieser Stelle darf auch die Single Judas nicht unerwähnt bleiben. Dieser ambitionierte Track ist an sich eine perfekte Repräsentation für das gesamte Album. Der catchy Refrain, clevere Zeilen (Religion ist ohnedies ein wiederkehrendes Element auf Born This Way) und ein gelungener Vortrag wecken ein wohlwollendes Interesse, nur um von pochenden Electro-House-Rhythmen wieder zerstört zu werden.
Grundsätzlich hat beinahe jeder Song seine Momente. Entweder ist es ein packender Refrain oder der Einsatz von diversen Hilfsmitteln, beispielsweise der harte Gitarrenriff in Electric Chapel. Über die Gesamtlänge von einer Stunde dominieren diese beengenden House-Beats aber einen Tick zu sehr und verschlechtern das Bild grundlegend. Wer mit den wunderbaren Begriffen Techno, Dubstep oder House nicht zu viel anfangen kann, der ist hier ohnehin am falschen Dampfer.
Und so ist die Summe in diesem Fall bezeichnend weniger als die einzelnen Teile. Kaum einer der 14 Tracks fällt im Einzeltest komplett durch, auf eine Stunde gesehen ist das aber einfach nur mühsam. Man muss Germanotta aber zu Gute halten, dass sie in ihrer Entwicklung nicht stehen bleibt, und sich an vielen verschiedenen Einflüssen bedient, um ihren Sound auch anno 2011 vom sonstigen Mainstream abzugrenzen. Das gelingt auch partiell. Mit namhaften Musikern, ein paar fähigen Produzenten und sich selbst als engagierte Songwriterin klingt sie tatsächlich noch immer erfrischend einzigartig.
Im Endeffekt verschmelzen die guten Ideen aber leider allesamt zu einem quälend elektronikdurchzogenen Gesamtbrei. Folglich kreiert Lady Gaga ihren besten Song (Hair) und ihr schwächstes Album bis dato. Wohin sich der exzentrische Sonderling als nächstes hinbewegt, bleibt mit Spannung abzuwarten.