von Kristoffer Leitgeb, 28.01.2017
Eine Rundreise zwischen Volksmusik, Balkan-Charme und der angedeuteten Vielfalt eines Kontinents.
Die Sache mit dem Bandnamen kann eine durchaus heikle sein. Zwischen Fettnäpfchen, schlichter Peinlichkeit und unbegreiflicher Kryptik finden sich nur recht wenige Pfade, auf denen wirklich passende Namen zu finden sind. Manche lassen diese Wege gleich links liegen und nennen sich dann The xx, The Band oder der für mich noch immer ziemlich mysteriöse Schwachsinn The The. In Bayern weiß man dagegen, wie das wirklich geht und nennt sich kurzerhand LaBrassBanda. Warum das gut ist? Weil es den notwendigen Hauch von Internationalität versprüht, den die vielseitige Bläsertruppe für sich beanspruchen darf, und weil man gleich zweisprachig ausdrückt, dass man eine Blaskapelle ist, ohne diesen mit grässlichen Bildern vorbelasteten Begriff auch wirklich verwenden zu müssen. Der Imageverlust wäre gigantisch, würde man das vor sich hertragen und sich so a priori in eine ungemütliche Nähe zu Volksmusik und Schlager bringen. Ist nicht passiert und deswegen sind die Berührungsängste kaum vorhanden, wenn man sich an eine musikalische Rundreise durch Europa herantraut.
Außerdem findet die sowieso nicht so wirklich statt. Zwar suggerieren die Songtitel oft genug anderes, doch die musikalische Bandbreite entspringt jetzt nicht zwingend den Regionen, in die sie formal hinführen sollte. Macht aber nichts, denn der Ersteindruck ist ein rundum starker, geprägt von einem Soundgemenge, das sich Dance-Anleihen genauso hingibt wie Jazz und insbesondere osteuropäischen Klängen. Was einem dabei schnell allzu klar wird, ist, dass sich die Bayern gerne öfter dem hohen Tempo hingeben könnten. Denn gerade die Hochgeschwindigkeitsauftritte von Holland und Z'spat Dro versprühen die lockere Stimmung, die man sich bei dem Stil erwartet, denken einen noch dazu mit genialen Rhythmen und einem nie versiegenden Quell an Energie ein. Der Verzicht auf die sonst in der Musik so allgegenwärtige Gitarre wird dabei zum Volltreffer, da sich auf diese Art die Bläser gegenseitig zu Höchstleistungen pushen und um die Vormachtstellung kämpfen können. Zumindest entwickelt sich der Eindruck, wenn man das hyperaktive Gewirr aus Trompeten, Posaune und Tuba hört. Gleichzeitig ist die Harmonie nicht zu leugnen, insbesondere dann, wenn durch Manuel Da Coll und dessen Drums pochende Beats die Szenerie dominieren. Dann heißt es urplötzlich Blaskapelle meets Dancefloor und man findet sich in der mit unfassbarem Abstand sympathischsten Bauerndisco aller Zeiten wieder. Nicht umsonst deklamiert Stefan Dettl im antriebsstarken Holland gehetzt:
"I gspia an Bass in meim Mågn
Fang å zum Wippn, kauns ned sågn
Gspia die Heandl in de Fiaß
Deut zum DJ scheene Griaß"
Und keine Frage, das Bayrische, es hilft. Immer auch wegen des Hintergedankens, dass Millionen - mehr oder weniger - Deutschsprechender mit fragenden Gesichtern zurückbleiben, wenn Dettl seine Zeilen zum Besten gibt. Hauptsächlich aber wegen der Melodie und Ausdrucksstärke, die unsere so heiß geliebte Sprache in ihrer standardisierten Form nie hergeben könnte.
Gleichzeitig ist der Umstieg auf die rein instrumentale Ebene unerwartet verlustarm. Sarajevo umwabert titelgerecht der Charme des Balkan, kombiniert mit einer unterschwelligen Erinnerung an diverse Soundtrackarbeiten vergangener Jahrzehnte. Frankreich wird dagegen zum weitesten Schritt weg vom angestammten Terrain der Band, gibt sich aber trotz elektronischer Hilfsmittel äußerst stimmig. Ein 80er-Retro-Touch dominiert die Synthesizer, während der Beat fast eurodancetauglich wäre und dem Bass wie Vocoder-Versatzstücken der direkte Draht zu Daft Punk anzuhören ist. Kombiniert man das jetzt mit den mal langgezogen-ruhigen, mal stakkatoartig daherkommenden Bläsereinsätzen, wird der Track zum kleinen musikalischen Abenteuer, in dem gefühlt unvereinbare Klänge problemlos ineinanderfließen. Ähnlich stark gibt sich der Trip nach Russland, dem ein wenig klassischer Einfluss anhaftet, der aber insbesondere die epische Größe eines Morricone-Soundtracks mitbringt. Das dadurch entstehende Bild ist eines verlassener Tundralandstriche und verfallender Monumente, Dettls zurückhaltend begleiteter Trompetenpart bringt einem Einsamkeit und den Gedanken an bestenfalls vergangenen Glanz. Spätestens in diesem Moment ist man von der Vielseitigkeit der Band überzeugt, die sich unter anderem aus dem verstärkten Line-Up mit zwei zusätzlichen Trompetern ergibt.
Dass gerade diese Stilwechsel, die der Trupp innerhalb weniger Songs durchmacht, ein zwischenzeitliches Schwächeln fast unumgänglich macht, versteht sich eigentlich von selbst. Western zum Beispiel kann weniger, erinnert einen auch weniger an John Wayne als viel an mehr ein Treffen einer altersmüden, dezimierten Brass-Kombo aus New Orleans mit dem Bullen von Tölz. Und man lechzt nicht nach sowas, also ich nicht. Genauso wie auch die finale Hymne nebst titelbedingter Unbequemlichkeit beinahe nur mehr zähe Fadesse mitbringt und Griechenland in langatmiger Monotonie vom netten, bassgesteuerten Harmonie-Trip unter Bläsern zu einer ziemlichen Schlafwagenpartie wird. Da mangelt es dann einfach an den notwendigen Songwriting-Ideen, um den professionell ausgebildeten Musikern mehr als Lethargie und unabänderliche Abfolgen zu spendieren. Deswegen gerät die zweite Hälfte zu einer zunehmend zähen Angelegenheit, die nur mehr von Opa belebt wird. Inhaltlich werden schnell Erinnerungen zum S.T.S.-Klassiver Großvater wach, auch wenn es dem bayrischen Pendant markant an der sentimentalen Schwere und damit an der nötigen Emotion fehlt. Andererseits gelingt der Rhythm Section immerhin die erfolgreiche Wiederbelebung eines totgeglaubten Sounds.
So wirklich - also wirklich wirklich jetzt - lebendig ist der vielleicht ohnehin seltener als manch lobendes Wort erahnen lassen würde. Zumindest glaubt man öfter großes Potenzial herauszuhören, als dass es verwirklicht würde. Es fehlt einfach meist der letzte Kick, um für ein Feuerwerk zu sorgen. Die qualitativen Gegensätze bringt ausgerechnet die erfolgreiche Single Nackert, 2013 beinahe zum Song Contest-Beitrag der Deutschen gekürt, auf den Punkt. Deftige Strophen mit drängenden Bläserstakkatos und hartem Beat machen Dettl ein bisschen Feuer unterm Hintern, während man mit jedem kitschigen, Almhüttenromantik versprühenden Refrain weniger Lob für den Track übrig hat.
Vielleicht ist "Europa" am Ende nur deswegen so aufgebaut, weil sich Gegensätze anziehen. Doch eine Seite muss letztlich siegen und das bayrische Gespann hat genug zu bieten, um Schwierigkeiten mit der Ausdauer nicht zu sehr ins Gewicht fallen zu lassen. Außerdem ist es ohnehin eine Wohltat, eine solche Melange aus konträren musikalischen Richtungen serviert zu bekommen, ohne dass dabei das Endprodukt lächerlich anmuten würde. Ein bisschen Schmunzeln, fast Kopfschütteln, muss man zwar mitunter, wenn man sich der Live-Energie hingibt oder aber genug Feingefühl für atmosphärische Minuten aufbringt, dann lohnen sich die Minuten ohne Zweifel.