von Kristoffer Leitgeb, 10.10.2020
Eintöniger, gelassener Synth-Funk, der nur durch spannungsfreie Durchschnittlichkeit besticht.
Es scheint mittlerweile nicht mehr so, als würde die allumfassende elektronische Dominanz im Musikbusiness noch wirklich verschwinden, auch wenn sie sich im vergangenen Jahrzehnt doch durchaus variabel präsentiert und gewandelt hat, mal in Richtung Trip-Hop und Dream Pop gedriftet ist, mal die Disco-Ära wieder hat aufleben lassen, mal direkt an den härteren Ecken des Hip-Hop angedockt hat und dann wieder den Pet Shop Boys nachgelaufen ist. Auf alle Fälle ist sie nun einmal da und es geht beinahe nichts ohne Synthesizer, Autotune, elaboriertes Programming und mehr Verbeugungen vor den 80ern als man bei einem Besuch der Queen zu verrichten hat. Selbst da, wo man gemeinhin von kommerzielleren Spielarten des Rock zu reden versucht. Und wer nicht relativ indizienlos davon träumt, dass die 20er bald einmal ein neues Smells Like Teen Spirit anbieten, wird sich damit abfinden müssen, dass sich das auch kaum ändern wird. Insofern: Embrace it! Oder sei gelangweilt davon...
Elly Jackson, die visuell David Bowie channelnde Britin mit dem leuchtend orangeroten Haar, arbeitet eifrig daran, mit ihrem Karriereverlauf und ihrer musikalischen Entwicklung genau jene Reaktionen aus einem herauszukitzeln, die die immerwährende Revivalwut, die Disco- und Funk-Rückbesinnungen und die Synthetisierung der Musik auch im großen Maßstab hervorrufen. Und das bedeutet, dass sie 2020 endgültig dort angelangt ist, wo man ihre Darbietungen fast nur mehr mit Schulterzucken oder Gähnen quittiert.
Und das war nicht immer so. Ihr angriffiges selbstbetiteltes Debüt, das damals noch in Zusammenarbeit mit dem Produzenten und Elektroniker Ihres Vertrauens, Ben Langmaid, entstand, konnte einen zwar in voller Länge wunderbar mit der elektronischen Retro-Breitseite überfordern, hatte aber auch eine schillernde erste Albumhälfte anzubieten, die die agilsten, dynamischsten und charakterstärksten Seiten des Synth Pop verkörpern konnte. Es folgte nicht nur die Trennung vom künstlerischen Kompagnon, sondern auch eine stilistische Wandlung, die sich ultimativ organischer und mit einigem an Platz für funkige Gitarrenriffs, Klavier und Drums statt elektronischer Beats präsentierte. Aber damit ging auch viel an Esprit verloren, die Mischung aus Disco, Funk, Reggae und Synth Pop geriet zahmer, vermeintlich sinnlicher, hauptsächlich aber unspektakulärer. Jetzt sieht man sich auf "Supervision" mit der finalisierten Form genau dessen konfrontiert. Es ist ein geschmeidiges, gleichermaßen relaxtes und cooles Album, mit Rhythmen zwischen Funk und Reggae, funkigen Gitarrenlicks, pulsierenden Basslines und Synthesizerklängen, die erfolgreich eine Brücke zwischen prägnant schrillen Tönen und warmen, sphärischen Passagen schlagen. Das ist zumindest die eine Seite der Medaille, wie man sie im überzeugenden Opener 21st Century erlebt. Der groovt, geht mit seinem elektronischen Refrain ins Ohr, baut auf leichtgewichtige Percussion neben den Elektronikwänden und Jacksons markante, hohe Stimme, die weniger denn je Gefahr läuft, in schrilles Terrain abzurutschen.
Die andere Seite der Medaille ist jedoch, dass "Supervision" durch und durch spannungsbefreit wirkt und einen nie beeindruckt oder vereinnahmt, sondern in seiner beinahe zurückhaltenden Gleichförmigkeit über 40 Minuten an einem vorbeiläuft. Man fühlt sich durchgehend dem gleichen Beat, dem gleichen Stilmix und der gleichen, beinahe unbequemen Atmosphäre irgendwo zwischen An- und Entspannung, Lockerheit und emotionaler Schwere ausgesetzt. Daraus ergibt sich ein Album, das so banal und middle of the road anmutet, dass man sich nur dank der Stimme daran erinnern kann, dass von ihr auch mal Bulletproof kam. Die dritte LP der Britin scheut sich, etwas ähnlich Prägnantes und meinetwegen auch Aufdringliches anzubieten, und ergeht sich stattdessen lieber in minutenlangem, statischem, energiearmem Synth-Pop-Trab. In Kombination mit dem stilistischen Fundament irgendwo zwischen Funk und Reggae ist das äußerst steril und unnahbar, ohne dabei die unterkühlte, harte Atmosphäre des Debüts wiederzufinden. Stattdessen dominieren beinahe gemütliche Minuten, die aber nie in die Verlegenheit kommen, etwas Markantes auszusagen oder zu repräsentieren.
Am ehesten entgeht dem neben dem Opener noch Leadsingle International Woman Of Leisure, das sich als beschwerdefreier Pop-Track ein bisschen der Coolness zurückholt, die die Britin dereinst ausgemacht hat. Die wohl auf irgendeiner Ebene als gefühlvoll angelegten Songs gefallen ausschließlich, wenn sie Do You Feel heißen. Der Verdacht liegt nahe, dass das damit zu tun hat, dass wir uns noch immer zu Beginn des Albums befinden, der klangliche Minimalismus des Songs wird aber wenigstens dadurch ausgeglichen, dass Jackson hier ihre bisher wohl beste gesangliche Vorstellung bietet.
Abseits davon sind ultimative Mäßigkeit und Anflüge von Langeweile angesagt. Nichts schützt die Automatic Driver oder Everything I Live For davor, über mehr als fünf Minuten Laufzeit an ihrer banalen Monotonie zu scheitern und in einem unvorteilhaften Stadium zwischen gefühlvollem Synth-Pop und schlichter Schlafwagenmusik zu landen. Überhaupt ist es in diesem Sinne ein Rätsel, warum gerade einmal acht Songs die ganze Tracklist formen und dementsprechend genügend Songs die Fünf-Minuten-Marke knacken, Gullible Fool sogar mehr als sieben Minuten unmotiviert vor sich hin läuft. Was für eine große Überraschung, dass da ausgerechnet die beiden kürzesten Songs auch die effektivsten und gewinnendsten sind. Es rechtfertigt schlicht nichts, was einem hier musikalisch vorgesetzt wird, diese Kompositionen dermaßen in die Länge zu strecken und sie damit zu schwer verdaulichen, ereignislosen Brocken zu machen.
Natürlich bleibt im Hinterkopf die erste Seite der Medaille: Ein geschmeidiger, in Ansätzen cooler Sound, der letztlich doch so wirkt wie die finalisierte Vision dessen, was Elly Jackson spätestens nach ihrem Debüt machen wollte. Es ist nur etwas blöd, dass diese Vision ziemlich unspektakulär und unspezifisch zu sein scheint. Zumindest vermittelt "Supervision" keinen konkreten Eindruck, bringt es nicht zu einer deutlich einzuordnenden Atmosphäre oder Gefühlslage. Stattdessen prallen die meisten Songs gekonnt an einem ab, so stilsicher, präzise und smooth sie auch klingen mögen. Die LP umwabert ein Hauch von Unnahbarkeit, allerdings weniger in der guten Form des komplexen Experimentalismus, der verschlungenen Botschaften oder der eisigen Attitüde - die Jackson dereinst selbst drauf hatte -, sondern einfach nur aufgrund latenten Mangels konkreter Eindrücke, die man aus diesen Songs mitnehmen kann. Paart man das mit einer generellen Stilmüdigkeit, die mittlerweile unweigerlich einsetzt, wenn man mit Erinnerungen an die 80er, die Glanzzeit der Disco-Musik oder synthetisierten Funk konfrontiert wird, ist das leider ziemlich mager.