von Kristoffer Leitgeb & Mathias Haden, 07.07.2015
Wenn das Gimmick zum Programm wird, ist die Synthetik nicht weit. Verdammt starke Popsongs bleiben aber auch in der Nähe.
Auffallen um jeden Preis, das ist heute angesagt. Nicht so sehr, weil die Exzentrik unglaublich schick geworden wäre. Aber da sich gerade immer mehr Leute online und sonstwo - wo auch immer sonstwo heutzutage noch sein kann - der Öffentlichkeit präsentieren, braucht es schon etwas Außergewöhnliches, um aufzufallen. Diese Entwicklung hat vor der Musik nicht zurückgeschreckt und fordert Damen, die I Kissed A Girl singen, oder Herren, die Bart und Kleid stylisch kombinieren. Elly Jacksons androgynes Auftreten sollte in Zeiten von Transgenderdebatten ja auch helfen, davon bekommt aber in der Musik keiner was mit. Deswegen gibt es zur Charakterstimme auch einen fähigen Synthie-Dompteur, der dafür sorgt, dass aus La Roux auf ihrem Debüt dann doch noch ein Schuh wird.
Sonst sähe so ein 80s-Revival-Act ja auch nichts gleich, so ohne männliche Unterstützung hinter der starken Frau. Wo kämen dann die Vergleiche zu Eurythmics oder Yazoo her? Und schnell gewinnt man den Eindruck, das britische Duo bräuchte ebendiese nicht zu scheuen. Denn Ben Langmaid hat sein Handwerk eindeutig verstanden und zimmert komplett elektronische Songs, die mit ihrer kühlen, unmelodischen Art und unglaublicher Eingängigkeit durch die Bank Hitpotenzial beweisen. Bulletproof und In For The Kill taten das auch in den Charts, leben von den abgehackten High-Energy-Rhythmen und der Verbeugung vor der Vergangenheit, die mit schrillen Retro-Synthies ganz offen passiert. Um nicht auf die Hauptdarstellerin zu vergessen, sei gesagt, dass auch Jackson mit ihrer hohen Sopran-Stimme ihren Teil beitragt, allein schon wegen der abgehobenen Coolness, die sie in ihrer Abrechnung mit der Männerwelt unentwegt auszustrahlen bereit ist. Grazil und klangvoll, aber eben doch so, dass man die kalte Schulter ganz klar vor der Nase sieht. Am besten trifft sie diesen Ton im thematisch leicht gespenstischen und musikalisch aggressiveren Tigerlily, das mehr als alles andere ein genialer Beat und Elektronikwirrwarr ist. Irgendwann findet man sich bei Colourless Colour und I'm Not Your Toy wieder und merkt, dass die Schwächen bisweilen ausgeblieben sind. Auch hier kommen sie nicht, der beste Refrain der LP und schräges Sommerfeeling mit Gameboy-Sound lassen dafür keinen Raum.
Erst die zweite Hälfte wird zum großen Straucheln, in dem Jackson eindrucksvoll beweist, dass die Synthie-Ära nicht jene großer Emotion war. Es sind zu viele Versuche, urplötzlich die kühle Maskerade bleiben zu lassen und Gefühle zu zeigen, die da passieren. In Cover My Eyes rettet noch die starke Gesangsperformance mit dem begleitenden Chor die dezente, aber eben doch sterile Geschichte. Spätestens mit dem zwischen den Welten verlorenen Reflections Are Protection und dem melodramatischen Missgeschick Armour Love zeigt sich dann aber die Eindimensionalität des Debüts, die durch den ordentlichen Disco-Stomper Fascination da mittendrin nur noch deutlicher gemacht wird.
Es haben aber auch schon andere bewiesen, dass aus einförmigen Performances große Sternstunden werden können. Vielleicht hätte das britische Duo mit dem Hang zur musikalischen Wiederaufbereitung der 80er gut daran getan, nicht extra noch mehr hinzuzufügen. Denn die Facette, die einem zu Beginn präsentiert wird, meldet sich mit ohrenbetäubender Penetranz, aber auch poppiger Güte höherer Ordnung. Da wird für alles gesorgt, was das Synthie-Herz begehrt. Blöd nur, dass die zweite Hälfte auch da ist. Egal, ob die Ideen ausgehen oder zu viele werden, sie rauben "La Roux" dort jede Chance auf das Debüt, das es hätte sein können.
K-Rating: 6.5 / 10
Das Londoner Duo bringt sich um die Früchte eines überzeugenden Auftakts und verliert sich in belanglosem Synth-Kitsch.
Wie schnell es im Musikbusiness gehen kann, haben wir hier ja schon oft und laut genug gepredigt. Das weiß freilich auch Elly Jackson, die es mit der Ziggy Stardust'schen Androgynität über Nacht zu Weltruhm brachte, statt auf Glam und Backingband auf Synthpop und starke Beats vom Kollegen setzt und meinem Vorsprecher zumindest mit der ersten Halbzeit erfolgreich den Kopf verdreht. Mittlerweile ist besagter Kollege längst Geschichte, eine gute A-Seite bleibt dem selbstbetitelten Debüt aber nach wie vor erhalten.
Könnte man jedenfalls bestätigen, verliert man sich erst in den mitreißenden Beats von In For The Kill, die den Hörer am liebsten auf einer Sänfte direkt auf den Tanzflächen der angesagtesten Londoner Danceclubs abladen würden, mit einer Killerhook und der starken Gesangsperformance praktisch nichts anbrennen lassen. Auch die lobenden Worte für das nicht minder packende Bulletproof unterschreibe ich an dieser Stelle gern, darf sich dieser Mega-Hit auch die wohl sympathischsten Elektronikspielereien der LP auf die Visitenkarte drucken lassen. Überhaupt scheint's mit den flotten Nummern, die in ihrer unbeschwerten Natur über weite Strecken wirklich Spaß machen und den Fokus von Jacksons leicht dünnem Stimmchen gut ableiten, am besten zu funktionieren, insofern kann ich dem werten Kollegen nur erneut zustimmen, der die fallende Leistungskurve der zweiten, vergleichsweise ruhigen und gefühlvolleren Hälfte auf den Punkt bringt.
Überhaupt fängt La Roux schon recht früh an, Abnutzungserscheinungen vorzuweisen. Während man dem ersten Quintett, bestehend aus den beiden bereits erwähnten Tracks, dem kraftvollen Tigerlily, dem wiederum erquickend tanzbaren, pulsierenden Quicksand mit hübschen Synthies und eingängigem Refrain und natürlich dem dezent sphärischen Colourless Colour in all seiner synthetischen Farbenpracht, wenig vorwerfen kann, wird es mit jeder folgenden Minuten härter, bis zum Schluss durchzuhalten.
Immerhin kann ich hier mal ein kleines Veto reinschmettern, nostalgisches Gameboy-Feeling hin oder her, den insgesamt schwachen Song I'm Not Your Toy retten selbst ambitionierteste 8-Bit-reminiszente Sounds nicht aus dem Sumpf der gepflegten Langeweile. Was als Startschuss in ein immer düsterer werdendes Kapitel der LP noch einigermaßen glimpflich abläuft, gipfelt schließlich im kitschigen As If By Magic, lässt danach schließlich kein 80s-Klischee aus und platzt letztlich an der übersättigten Elektroniklandschaften, die Ben Langmaid hier nicht immer ganz liebevoll aus dem Ärmel schüttelt. Während sich das vor fiesem Kitsch triefende Cover My Eyes noch nicht einmal vom hingebungsvollsten Gospelchor aus der öden Tristesse befreien ließe, macht der arg sehnsüchtige Schlusspunkt Armour Love seinem Namen alle Ehre, frönt wenig spektakulärer Gefühlsduselei und verliert sich in weinerlichen Beschwerden: "You put on your armour / You put up defenses" - hier kommen wir wieder auf denselben Nenner!
Was mit angezogenem Tempo und schwungvoller Dynamik noch einigermaßen vielversprechend beginnt, endet also in überzuckerter Melodramatik. Nicht unbedingt der Verlauf, den man der charismatischen Jackson - oder irgendjemandem, vor allem nicht uns Hörern - gewünscht hätte. Das selbstbetitelte Debüt des Duos, das deren Stärken und Schwächen immerhin einwandfrei herauszufiltern vermag, pendelt sich somit ziemlich exakt im ungefährdeten Mittelmaß ein, bietet einige kurzweilige Stücke und würde keiner Sammlung wirklich abgehen - Elektronikmuffel und erklärte Synth-Widersacher sollten ohnedies einen großen Bogen um die LP machen.
M-Rating: 5.5 / 10