von Kristoffer Leitgeb, 29.02.2020
Geerdete Neuerfindung als Mann der poetischen Kryptik und des bluesigen Mundart-Folk.
Namen sind prägend. Kaum jemand wird mir da widersprechen, am allerwenigsten die Kevins und Jacquelines da draußen. Im Idealfall wird einem zur Geburt ein Name geschenkt, der möglichst gar keine Reaktion hervorruft. Lisa, Manuel, Oliver, Julia. Wunderbare Beispiele. Klingen gut, klingen schön, gehen gut von der Zunge, machen aber kaum speziellen Eindruck. Und das sollte das Wunschszenario sein, weil der Name ja letztlich doch wieder wertlos ist, nichts weiter aussagt, weshalb er möglichst wohlklingend, aber latent neutral ausfallen sollte. All jene, die planen, etwaigen Nachkommen irgendwann einmal extravagante, vielleicht gar einzigartige Namen zu geben, sei das hinter die Ohren geschrieben: Der Name sollte wurscht sein, mehr nicht! Vielleicht aber nicht so wurscht, dass man endet wie ich und dann auf jede pflichtgemäß erfolgende Nachfrage, was es denn mit dem eigenwilligen Namen auf sich hat, auf die Nebenwirkungen des Alkoholkonsums verweisen muss. Wobei man auch dann immer noch einen gesprächstechnischen Eisbrecher zur Verfügung hat, der immer funktioniert.
So oder so ist es schon, auch hierzulande einmal einen - zumindest partiellen - Namensvettern zu finden. Im Falle von Kristoff a.k.a. Christoph Jarmer ist das mit dem Namen allerdings wieder etwas bedeutungsvoller, ist es doch ein selbstgewählter, ein Künstlername. Und der verrät, dass der gebürtige Burgendländer ein wenig zu sich gefunden nach, nachdem er über zwei Jahrzehnte als Teil von Garish, als Esteban's, als Oberst Stern verbracht hat. Als Kristoff werden offensichtlich die persönlichen Wurzeln in den Fokus gerückt, musikalisch wie textlich, was "Aus Da Haut" zu einer stimmigen und stimmungsvollen Vorstellung werden lässt.
Der Titel verrät es womöglich bereits, dieses unterschwellig spürbare Motto "Zurück zum Ursprung" führt letztlich zu einem erdigen Dialektgesang, der den Singer-Songwriter nach den früheren Expeditionen in den Welten des Indie Pop und Indie Folk persönlich und direkt wie nie wirken lässt. Genauso treibt es einen, der sich durchaus mal experimentierfreudig und ausschweifend geben konnte, zu einem reduzierten, gefühlvollen musikalischen Setting, das im traditionellen Singer-Songwriter-Folk und im Blues seinen Ursprung hat. Das von Kristoff und seinen Mitmusikern daraus Geformte ist von einer authentischen Wärme, einer poetisch angehauchten Friedfertigkeit und Harmonie geprägt, dass man gar nicht mehr annehmen will, dass der Albumtitel womöglich irgendwann einmal dem Aus-der-Haut-Fahren gewidmet gewesen sein könnte. Das heißt jetzt nicht, dass Jarmer nicht den einen oder anderen Anlass für kritische Worte findet. In seiner charakteristisch kryptischen, metaphernreichen und emotiven Lyrik verbirgt sich schon auch phasenweise ein Hauch von Wut, ein bisschen Ärger und Unverständnis. Nichts davon durchdringt aber einen Song so sehr, dass man nicht immer noch den romantisch-friedlichen Charakter der Musik als Um und Auf wahrnehmen würde. Prägend ist der gleich zu Beginn, wenn mit Du Bliatst bereits erste Fragezeichen auftauchen, was einem Kristoff denn nun genau mit seinen Zeilen sagen will. Liebeslied oder nicht? Wehmütige Trennungsgeschichte vielleicht? Man weiß es nicht so wirklich, was es wohl umso bemerkenswerter macht, dass es dem Sänger nichtsdestotrotz gelingt, den Song mit so viel spürbarem Gefühl zu füllen.
Den Höhepunkt dessen sollte wenig später das dezente Mei Herz Es Tropft bilden. Von kaum mehr als einer zurückhaltenden, gesetzten Drumperformance unterlegt, ist es ein emotionaler Paarlauf der großartig atmosphärischen Gitarren und Jarmers sanft-kernigem Gesang, aus dem schwermütiger Schmerz spricht. Dieser Eindruck wird auch nicht weniger, widmet man sich dem großartigen Text:
"I hob ka Feia in mir
Und kräu auf olle Vier
Und I woat, wos si riaht
Wos hot mi niedergfiaht
[...]
Mei Herz, es tropft
I hoit den Finger drauf, dass stoppt
Doch es tropft
A Herz, des tropft
Hoit no länger aus und klopft
Solaungs tropft"
Ganz diesem Beispiel folgend, gerät die LP als Ganzes zu einem melancholischen Erlebnis, nie wirklich niedergeschlagen, aber immer mit emotionaler Last im Gepäck, immer nachdenklich und im Raum zwischen Verunsicherung und dem Selbstbewusstsein eines, der schon ein bisschen was erlebt hat.
So klingt Jarmer so nebenbei auch, denn zu einer Lyrik, die einem im Kontemplieren und Fühlen geübten Geist zu entspringen scheinen, gesellt sich ein erdiger Gesang, der so nicht und nicht mit dem hohen, verträumt klingenden Stimmchen aus den als Tagen als Esteban's in Einklang zu bringen ist. Diese Wandlung stellt allerdings auch einen Quantensprung dar, mit dem Jarmer dem archetypischen Indie-Pop entflieht und stattdessen dem, was man aus dem Mundart-Eck so kennt und von einem gitarrenaffinen Folk-Musiker verlangen würde, alle Ehre macht. Das gelingt definitiv auch in den dynamischeren Minuten des Albums. Beispielsweise dem lockeren Moch Zua Die Augn, das zu einer vollen Bandperformance gerät, in der sich zu den bekannten, vom Blues durchzogenen Gitarrenakkorden - diesmal in verhältnismäßig hohem Tempo - und der lebhaftesten Percussion des Albums auch ein prägnanter Bass und vor allem das Keyboard in klanglichen Sphären einer Hammond-Orgel gesellen. Das funktioniert hier genauso gut wie etwas später in Wia Briada, das wohl die offensichtlichste Annäherung an direkte Gesellschaftskritik darstellt.
Am anderen Ende des Spektrums erlaubt sich Jarmer mit Weilst Ma Gfoist und Vor Gier unumwunden romantische Minuten, die vielleicht gerade deswegen - und weil sie damit ein wenig ins Melodramatische abdriften - eine weniger eindringlichen Wirkung entfalten. Andererseits ist damit generell etwas angerissen, was man nach den ersten drei Songs unweigerlich erleben wird. Nicht, dass die Luft draußen wäre. Andererseits könnte man es als symptomatisch betrachten, dass einem das finale Gib's Doch Zua als Schwachpunkt des Albums erscheint und der längliche, ein wenig dahinschunkelnde Instrumentalabschluss einfach zu viel des Guten ist. Was mit einem großartigen Triple an Kompositionen beginnt, findet danach eher den Weg in Richtung eines gesitteten Auftritts, durchaus atmosphärisch und fähig arrangiert, aber mitunter etwas flau. Daraus stechen dann schon noch Songs wie das selbstbewusste So Wia Du oder die Rückkehr der effektiv gefühlvollen Poesie in Foab Meina Sö heraus. Im Großen und Ganzen fehlt einem aber eine gelungene Fortsetzung von Mei Herz Es Tropft, was definitiv auch damit im Zusammenhang steht, dass die Liebe für Metaphern und vage Kryptik Fluch und Segen gleichzeitig ist. Jarmer erweist sich mit seiner Musik und auch diesen Text als beschlagen darin, die Melancholie in Songs einzufangen und generell emotional zu musizieren. Ein bisschen konkreter dürfte es aber sein, um einem wirklich nahezugehen, einen zu berühren. Das fehlt etwas, wenn man sich dem widmet, was nach den ersten zehn Minuten passiert.
Daraus ergibt sich jetzt nicht, dass das Kristoff-Debüt ein Fehler wäre. Eher ist das Gegenteil der Fall und Jarmer ist es erfolgreich gelungen, eine neue und wohl zukunftsträchtigere künstlerische Richtung einzuschlagen. Eine, die zwar sicher in der Tradition des heimischen Mundart-Pop der 70er steht, die aber nichtsdestoweniger weit mehr eigenen Charakter, weit weniger Austauschbarkeit vermittelt, als es auch die ambitioniertesten Übungen im altbekannten Indie-Pop-Gewand sein können. Als Kristoff klingt Jarmer authentischer denn je, scheint sich auch wohler zu fühlen und daraus den Mut zum facettenreichen emotionalen Auftritt zu ziehen. Er könnte es einem dabei durchaus leichter machen zu erkennen, was er denn jetzt an Gefühlen zum Ausdruck bringen oder wirklich sagen will. Gelingt ihm das, kommt schon einmal etwas unumwunden Berührendes wie eben Mei Herz Es Tropft heraus. An anderer Stelle ist man vielleicht eher darauf reduziert, die geschmeidige, behände zusammengestellte Musik und den kernigen Gesang Jarmers als alleinigen emotionalen Anker anzusehen. Das reicht oft genug für starke Momente, nutzt sich im Albumverlauf jedoch etwas ab. "Aus Da Haut" ist also ein starkes Erstwerk, eine überzeugende stilistische Neuorientierung, aber auch ein Auftrag, auf den Stärken und dem damit verbundenen Potenzial aufzubauen.