von Kristoffer Leitgeb, 26.12.2014
Fragwürdige Selbstfindung als Zeichen moderner musikalischer Problemzonen.
Also gut. Hands Up! Wer hat in seinem Leben jemals eine Neonkappe besessen? Keiner? Ok, wer ist schon mal am Release-Tag vor einem Apple Store gestanden, nur für's neue iPhone? Auch keiner? Wirklich schlechte Lemminge, ihr alle da draußen. Muss ich mir eben jemand anderen suchen, der jeden Scheiß mitmacht und den Trends nachrennt wie der Börsianer dem Geld. Wer suchet, der findet. Und so melden sich irgendwann von Euphorie getragen fünf Nu-Metal-Veteranen, um als miese Role Models dazustehen. Das Jahr ist 2011, die Lemminge heißen KoRn und der Trend nennt sich - wie könnte es anders sein - Dubstep. Auf dem Weg zu neuen Ufern spart man sich die Kreativität, macht stattdessen schon bei nächster Gelegenheit halt und produziert so eine elektronische Grausamkeit.
Und die kann dann auch gleich einmal als Sinnbild für die akustische Talsohle der letzten Jahre herhalten. Immerhin holt man sich eine Vielzahl erfolgreicher Elektronikgäste auf die LP, an deren Spitze der neue Liebling der Massen, Skrillex. Dementsprechend wirken die elf Tracks dann auch gleich als Abschreckung vor den Genres dieser Leuchten und markieren die absolute Spitze der fragwürdigen Erkundungstrips ehemaliger Nu-Metal-Bands, wie sie sich auch Linkin Park, Limp Bizkit oder Papa Roach erlaubt haben. Steigt man dank negativer Presse auch gleich in Erwartung großer Misstöne ein, wird man nicht enttäuscht. Chaos Lies In Everything präsentiert sich als fade Drum 'n' Bass-Nummer mit mühsamen Synthiewänden und fadem Gescratche, in dem sich irgendwo wohl auch ein paar Riffs wiederfinden sollten. Die sind unauffindbar, wie es auch Energie und Inhalt sind. Jonathan Davis' Performance ist gleichzeitig müde und sinnlos, wird nur gerade so nicht vom Drumherum erschlagen.
Ein milder Anfang, wie man bald merken sollte. Denn die Band und ihre tatkräftige Unterstützung steigern sich mitunter zu beeindruckend schmerzhaften Minuten. Das Duo My Wall und Narcissistic Cannibal macht sich da einen besonderen Namen. Dass der Zweite als Single veröffentlicht wurde, ist peinliche Randnotiz, viel schwerer wiegen die chaotisch aufeinander gestapelten Massen an elektronischen Dissonanzen. Die sollen offensichtlich für eine Art futuristische Beklemmung sorgen, das Ergebnis bleiben Ohrenschmerzen. Tatsächlich ist latentes Kopfweh eine direkte Folge dessen, was hier zusammengemischt wird, unterbrochen von einem miesen, gänzlich effektfreien Synthie-Rock-Refrain. My Wall versucht sich da fast schon gesittet, rammt einem wuchtige Drums und allerlei Computergeneriertes in bandtypischer, träger Härte entgegen. Wenig effektiv, sieht man vom nachhallenden Dröhnen in der Ohrengegend und der Verwunderung über die konstante Orientierungslosigkeit von Jonathan Davis ab. Inhalte werden bei der Furcht vor bleibenden Schäden ohnehin nebensächlich, fehlende Kraft und Ausstrahlung besserer Tage verwundert nichtsdestotrotz.
In dieser und keiner anderen Manier kämpft man sich hier lange durch, schraubt im Hinblick auf mögliche Klagen wegen Körperverletzung aber wenigstens etwas zurück auf dem Feld der unablässigen Elektronikfolter. Das bringt dem Hörer etwas erträglichere Langeweile, die sich wie im Falle von Burn The Obedient dank der Unterstützung von Noisia als pseudo-aggressiver Drum 'n' Bass-Metal entfaltet. Während an der eigentlich für eingängige Rhythmen zuständigen Schlagzeug-Front weiter nur platte Samples bleiben, darf sich 'Munky' Shaffer an seiner Gitarre weiter in Minimalausmaß austoben, muss aber hinnehmen, dass dank der werten Gäste nichts, wirklich nichts, ankommt. Riffs sind im Laufe dieses Albums praktisch inexistent, werden von Skrillex & Co ins Nirvana verbannt oder aber so weit manipuliert, dass man kaum noch das ursprüngliche Instrument vermuten würde. Von einem Bassisten will ich gar nicht reden, der zählt wohl wirklich nur alibihalber zum Personal.
Irgendwann schaffen es die Beteiligten aber tatsächlich noch Musik zu fabrizieren, die ihre Zeit schon fast wert ist. Let's Go, wiederum von Noisia 'verfeinert', ist eine kurze Erinnerung an frühere Zeiten, die von Beginn weg dann auch mit markanten, wenn auch wenig beeindruckenden Gitarrenwänden aufwartet. Davis wirkt zum ersten Mal so, als wüsste er wieder, was er da gerade macht, bringt zumindest in die Strophen mit seiner markanten Stimme etwas Charakter hinein. Zu guten Minuten kommt man aber erst ganz zum Schluss. Nachdem Way Too Far trotz zwischenzeitlichem, sinnentleertem Gegröle den bis dahin besten Refrain der LP bietet, ist es Bleeding Out, das als Closer in Maßen überzeugend wirkt. Zu dem Zeitpunkt wirklich eine komplette Überraschung und es lässt sich einigermaßen sicher sagen, dass ohne vorhergehende Sensibilisierung die elektronische Brachialkunst weit weniger Pluspunkte sammeln würde. Aber Feed Me macht als Gast-DJ einen besseren Job als die Kollegen und aus seiner eigenen Arbeit und der Band weit eher ein gemeinsames Ganzes. Was unter anderem zum einzigen starken Beat und dem einzigen halbwegs wertvollen Riff des Albums führt. Da verschmerzt man die schwierigen, weil zu lauten und aggressiven, Refrains gleich ein bisschen eher und gibt sich positiv überrascht.
Das wiederum ist wie so oft bei schlechtem Material viel eher Armutszeugnis denn großes Lob. Nur einmal kurz Got A Life angespielt und man weiß wieder, wie schlecht KoRn's 2011er-Version gegen die besten Tage der Band aussteigt. "The Path Of Totality" ist das Ergebnis einer Band, die sich vollkommen ahnungslos verlaufen hat in einer Gegend, in der sie aber sowas von nicht daheim ist, dass es schon wieder weh tut. Wobei sich nicht ganz erörtern lässt, ob das jetzt am Mitleid oder dem Endprodukt liegt. Denn diese LP ist tatsächlich auf aggressive Art schmerzhaft, eine wahrhaftige elektronische Grausamkeit. Jonathan Davis' inhaltsleeres Gejammere unterlegt von miserablem elektronischem Müll? Der eindeutige Rat: Der Fluchtinstinkt sollte halbwegs ausgeprägt sein.