Was soll man mit dieser Welt auch anfangen, außer ihr zu sagen, wie scheiße sie ist?
Es ist schon interessant, dass die 90er zwar die Musikwelt befreit haben von der Bürde der drogenverseuchten 80er - wobei jetzt die Drogen nicht so ein wahnsinniges Unterscheidungsmerkmal in der Musikgeschichte wären -, gleichzeitig aber anstatt Feierlaune allzu oft Depression und Weltschmerz im Angebot hatten. Kurt Cobain wurde zur gequälten Seele des Jahrzehnts, Thom Yorke wollte den anderen gequälten Seelen ein Album basteln, dazwischen waren ein paar erschossene Hip-Hopper, ein paar sentimentale Dream-Popper und, tada, der Nu-Metal. Für viele das schwarze Schaf der 90er-Familie, das sich aus einem nervigen, um Aufmerksamkeit bettelnden Bengel zu einem wenigstens mittlerweile zu belächelnden Totalversager entwickelt hat. Was irgendwie unfair ist, aber die Welt ist nicht fair. Darin liegt dann auch die Daseinsberechtigung ebendieser Bands, deren gemeinsamer Vorfahr angeblich auch KoRn sein soll. Und all das begann 1994.
Beziehungsweise im Jahr davor und weil eben damals noch nichts quintessenziell Nu-Metal sein konnte, liegt es vielleicht nahe, den Kaliforniern zumindest einen Semi-Pionierstatus zuzugestehen. In Wahrheit ist es aber auch egal, wer zuerst und wer danach und wer vielleicht noch dazwischen, nicht? KoRn waren da und das mit einer LP, die textlich und musikalisch verstört genug geklungen hat, dass man sich nicht gar lange um Fragen der Authentizität zu kümmern hat. Aus dem self-titled Werk spricht bei allem Respekt vor dem Sound insbesondere Jonathan Davis' problembeladene Person, die sich in einer knappen Stunde all dem zu entledigen versucht, was sich da über die Jahre aufgestaut hat. Das dürfte unter anderem ziemlich viel Wut sein, die sich mitunter auf eher banale und kindische Art und Weise im dafür passend betitelten Faget entlädt, dann aber auch wieder die Gelegenheiten findet, mit sich selbst und umso mehr allem, dem man im Leben unfreiwillig über den Weg laufen musste, abzurechnen.
Das verführt einen durchaus auch exzentrisch angehauchten Frontmann natürlich dazu, sich stimmlich auszutoben. Was im Grunde Gesänge hergibt, die einem Eddie Vedder passiert sein könnten, entwickelt durch hemmungslos überakzentuierte Monologe, gequältes Jaulen und beklemmende Growls die notwendige Atmosphäre in den ansonsten leicht lächerlich anmutenden Erzählungen von den Übeln dieser Welt. Doch man kommt in diesem Fall nicht ohne Kontext aus und mit diesem wiederum fällt so manch kritische Bemerkung flach. Sollte einem Davis hier die Wahrheit auftischen, dann hat er auch jedes Recht dazu, ein Album rund um Missbrauch, Mobbing und Gewalt zu formen.
Ohne Musik wäre solcherlei wohl trotzdem schwer zu goutieren und da hilft es natürlich sehr, dass dieses Amalgam aus Metal, Funk und Hip-Hop gewisse Qualitäten mitbringt. Keine überwältigenden zwar, dafür mangelt es dem Trupp an der Fähigkeit, ihre Fixierung auf atmosphärischen Sound mit wirklich funktionierenden Songstrukturen zu vereinen. Ein bissl chaotisch mutet das Ganze an, ohne dass man darin hier eine Tugend sehen oder gar dahinter einen großen Plan vermuten würde. Stattdessen rattern wuchtige Riffs dahin, ohne sich zu wirklichen Hooks hinreißen zu lassen oder den Tracks einen Fluss selbst der kantigsten Art zu geben. Vielleicht, ja, vielleicht braucht es aber auch genau das, um der starken Rhythm Section der Band etwas aufzusetzen, das Davis' Texte akzentuieren kann. Da macht es dann wenig, dass der Stakkato-Riff von Divine oder diese einzige große Gitarrenwand in Fake keinen Langzeiteffekt erzielen. Denn einerseits sorgen David Silverias Drums auf ihrem Hip-Hop-Trip und der tiefe Funk-Bass von "Fieldy" Arvizu für Schwingungen, die der LP auch abseits schwelender Depression etwas Luft geben, andererseits ist es letztlich die schwelende Depression, um die sich hier viel drehen soll und muss.
Und in diesem Sinne ist es zwar nicht gerade eine Stärke, dass man sich bei Tracks wie dem in Ansätzen großspurigen Blind oder Helmet In The Bush nicht gerade zum Repeat aufgefordert fühlt, dank der eindringlichen Natur anderer Songs wird das aber auch nicht zum Beinbruch. Während man nämlich oftmals nur diesen Anflug von Emotion verspürt, damit irgendwie in einem Zwiespalt zurückbleibt, sind mit Shoots And Ladders oder Lies die Grundsteine dafür gelegt, dass einen zumindest die zweite Hälfte der LP nicht kalt lässt. Beginnend mit dem aus der Ferne anschwellenden Dudelsack-Intro von Shoots And Ladders entfaltet sich zuerst die düstere Aura der von Davis aufgesagten Nursery Rhymes, seines gepressten Gesangs und der rundherum geqäulten Gitarren, wenig später die für den Nu-Metal bald charakteristisch gewordenen semibrachialen Riffs, hier noch verstärkt durch die zurückhaltende Produktion und die Tatsache, dass die Instrumente gleichzeitig eingespielt wurden. Während das alles auf Lies den Höhepunkt auf der Härteskala erreicht, wird erst mit dem buchstäblich erschreckenden Closer Daddy klar, wie das Albumkonzept in seiner Vollendung aussieht. Nach einer kurzen A Cappella-Entschuldigung bei seiner eigenen Mutter folgt postwendend die brutal ungeschönte Erzählung der Missbrauchserfahrungen aus der Kindheit. Die Musik wird durch Davis' rastlosen Auftritt zur fast bedeutungslosen Nebensache, nur mehr die emotionalen Ausbrüche des Frontmanns nimmt man wirklich wahr, bis dieser sich zum Ende in einem Wutanfall und Schluchzen selbst auflöst, dabei vom unheimlichen Gastgesang Judith Kieners begleitet wird.
Und so wird tatsächlich ein Schuh draus - verdammt, ich kling schon wie ein Piefke -, wenn auch reichlich spät. Bis dahin bezieht das KoRn-Debüt seine Berechtigung eher daraus, dass es den später allzu gängigen Klischees dieses ihnen angedichteten, schwammigen Genres entgeht. Wenn auch hinter den 12 Tracks wenig Virtuosität steckt - Bass ausgenommen -, bleibt einem immerhin die nicht zu leugnende Glaubwürdigkeit dieser Abgründe. Und obwohl es der Band selten gelingt, einem diese Abgründe wirklich nahezubringen, tun die beängstigenden Ausnahmen genug dafür, dass man sich solcherlei auf Albumlänge auch nur bedingt wünscht. Ob es ganz generell jemanden braucht, der einem sagt, wie scheiße das Leben nicht sein kann, sei dahingestellt. Irgendwie weiß man es so auch, aus eigener Erfahrung oder mit Blick auf die Mitmenschen. Aber nichts spricht dagegen, selbiges in Musik zu gießen, vor allem dann nicht, wenn es auf Jonathan Davis' Art passiert.