Das Übergangsalbum zwischen softem Hard-Rock und hartem Soft-Pop kann nur phasenweise überzeugen.
Bühne frei für unsere heutigen Protagonisten: The Starchild, the Demon, the Spaceman und the Cat. Klingt ja, als hätten Walt Disney und Lucasfilm für den siebten 'Star Wars' Teil schon die nötigen Charaktere entworfen, damit es Ende des Jahres zum unvergesslichen Kinoerlebnis kommen kann und… einen Moment bitte, aus dem Redaktionsraum vernehme ich lautstarkes Räuspern, im nächsten Augenblick tritt ein Page mit einer Nachricht ins Zimmer… ich verstehe. Hinter den Masken der vier spacigen Charaktere handelt es sich nicht um Harrison Ford und Co., sondern um Paul Stanley, Gene Simmons, Ace Frehley und - wer auch immer gerade die Katze am Drumset spielt - Peter Criss von Kiss.
So humorvoll wir MusicManiac'er auch sein mögen, so geschmackvoll zelebriert das amerikanische Quartett nunmehr seit über vierzig Jahren ihr extravagantes Promileben hinter der Maske. Bei uns gibt es heute jedenfalls das erfolgreiche, siebte Studioalbum Dynasty unter der Linse der absoluten Objektivität.
Durch diese betrachtet, haben es die vier Kunstfiguren nicht immer leicht bei uns Kritikern: Zu viel Wert aufs Optische gelegt, zu glatt und massenkompatibel abgemischt, die Platten der Jungs, und so weiter. Immerhin gibt es gleich zum Auftakt den größten Hit der Band, I Was Made For Lovin' You, serviert. Zugegeben, der gehört nicht zum Besten, was die späten 70er uns hinterlassen haben, noch nicht einmal zum Besten der seit jeher unterschätzten (Hard)-Rocker, sofern man sich diesen aber nicht vom Radio totnudeln hat lassen, könnte man dieser Power-Ballade mit starkem Disco-Einfluss unter Umständen schon etwas abgewinnen. Besser sieht es trotzdem in der Folge aus: Zuerst das grundsolide Stones-Cover 2,000 Man, das auch schon auf deren Their Satanic Majesties Request zu den Gewinnern gehörte, danach gibt es mit Sure Know Something einen der besten Kiss-Tracks nachgeliefert. Mit seiner souligen Ausrichtung und dem mächtigen Bass von Gene Simmons macht die Nummer einiges, um der LP einen äußerst gelungenen Auftakt zu bescheren. Dennoch ist es eigentlich Ace Frehley, der auf dieser den konstantesten Eindruck hinterlässt. Ist bei näherer Betrachtung aber gar nicht so schwer: Simmons setzt abseits dieses einen starken Auftritts nur gelegentlich Akzente, hat mit Charisma und dem unglaublich stupiden X-Ray Eyes einen mäßigen und einen der schwächsten Albumtracks auf der Visitenkarte. Paul Stanley kann man für seine geschriebenen und vorgetragenen Stücke nicht ganz so viel vorwerfen, ist es aber doch er, der Kiss schließlich vom Rock zum Pop hin verleitete und dafür von späteren Verbrechen nicht freizusprechen ist. Und Criss, naja, der ist eigentlich nur auf einem Track (das ordentliche Dirty Livin') und am Albumcover vertreten, auf den anderen trommelte Session-Musiker Anton Fig, der auch am folgenden Album Unmasked ohne Credit spielen würde.
Bleiben wir aber lieber kurz bei Frehley. Während Dynasty auf der zweiten Seite ungemein abflacht, ist er es, der mit seiner Lead-Gitarre die LP irgendwie am Leben erhält. Und obwohl sich sein Hard Times vom kreativen Unvermögen seiner umliegenden Tracks anstecken lässt, zumindest sein Gitarrensolo aber ansprechend bleibt, kann er mit Save Your Love und dem besten Gitarrenpart des Albums noch einen würdigen Schlusspunkt setzen.
Fassen wir zusammen: Die knapp vierzig Minuten Spielzeit werden mit dem größten Hit und zwei starken Stücken ordentlich eingeleitet, zum Schluss gibt es auch noch einen adäquaten Abschied. Dazwischen tummelt sich aber allerlei Gesocks, das man nicht so außer Acht lassen darf. Stanleys Magic Touch fällt nach gutem Beginn merklich ab, zieht sich mit seinen knapp fünf Minuten wie ein alter Kaugummi. Simmons' Charisma punktet mit seinem eingängigen Refrain, scheitert aber an mangelnder Kreativität zwischendrin und seinem wenig sympathischen Gesang, sein zweiter Auftritt mit X-Ray Eyes bleibt überhaupt besser unkommentiert und nur mit einem kleinen Auszug in Erinnerung:
"I've got x-ray eyes (x-ray eyes)
And I can see right through your lies (ahh) yeah"
Dynasty, das siebte Album der amerikanischen Kultband Kiss, wird nicht ganz umsonst unterschätzt. Die musikalischen Parts sind zwar souverän eingespielt, die glatte Produktion beraubt sie aber jeglicher Ecken und Kanten, die ein Hard-Rock-Album benötigt, um wirklich zu fesseln. Zudem scheint Paul Stanleys Einfluss, die Band in ein zeitgenössischeres und kommerzielleres Pop- und Disco-Licht zu rücken, hier erstmals richtig ausgeprägt, der Nachfolger kann davon ein Liedchen singen.
Wie auch immer, mit seinen besten Tracks und der erträglichen Spieldauer bewegt sich das Quartett die meiste Zeit über im Rahmen, auch wenn man nie das Gefühl bekommt, die Jungs könnten im nächsten Moment einen draufsetzen und mal einen richtigen Kracher raushauen. Dennoch bleibt das Gesamturteil zwar nicht positiv, aber auch nicht gänzlich negativ. Die besten Zeiten der Band waren nun mal vorbei, wirklich gute sollten nicht mehr kommen; da nimmt Dynasty schon einen soliden Platz in der besseren Hälfte der Veröffentlichungen ein - und weiß zumindest phasenweise zu überzeugen.