Austauschbarer Pop-Metal, dem es nebst brauchbarem Songwriting auch an Durchschlagskraft (und vielem mehr) fehlt.
Der Herbst bricht an und man sieht sich nicht nur seiner gewohnten Nebeneffekte wie dem allmählichen Absterben der Pflanzen wegen mit leicht melancholischen Gefühlen konfrontiert. Ein Blick auf die aktuellen Schlagzeilen, ob in Richtung Flüchtlingsproblematik, diverser Massaker oder einfach nur dem politischen Treiben in der Hauptstadt, hat feuchte Augen zur Konsequenz, sollte dementsprechend nur in homöopathischen Dosen vollzogen werden. Natürlich sind das alles keine neuen Erkenntnisse, war unsere Welt schon in der Bronzezeit mehr schlecht als recht, sind negative Stories für den sensationsgeilen Leser ungleich spannender als positive. Immerhin weiß man sich auch in der betrübtesten Jahreszeit und unter den hoffnungslosesten Bedingungen mit den richtigen Maßnahmen zu helfen. Oft wirkt da schon ein Hauch von Liebe, eine wärmende Geste der Affektion oder auch ein kleiner, liebevoll aufgetragener Schmatz.
Was selbst als Durchhalteparole im unbedeutendsten Konflikt schon mehr als fehl am Platz wäre, funktioniert wenigstens annähernd brauchbar als Einleitung zur heute wieder einmal unter die Lupe genommenen Band Kiss. In den 70ern mit einem Mix aus Glam-, Hard- und Pop-Rock und ihren einzigartigen, explosiven Bühnenshows viel zu erfolgreich, versuchten die es in der darauffolgenden Dekade mit angezogener Härte, was sich bei den Amerikanern in nicht minder glatterem Heavy Metal manifestieren sollte. Lead-Gitarrist Ace Frehley, der einzige der Truppe, den man in musikalischen Belangen ernst nehmen konnte, war anno 1985, als Gott uns Cristiano Ronaldo dos Santos Aveiro sandte und nebenbei ihr dreizehntes Album Asylum erschien, längst über alle Berge, vom ursprünglichen Quartett nur noch die Achse Gene Simmons/Paul Stanley vertreten.
Mit Asylum schien die Phase der härteren Töne allerdings wieder etwas abzuklingen, besann sich die Truppe wieder vermehrt auf ihre erfolgreichen, längst vergangenen Tage zurück - das Ergebnis darf durchaus als austauschbarer Pop-Metal bezeichnet werden. Klar, Stanley und Simmons heben sich mit ihren Stimmen vom Einheitsbrei des Mainstreams Mitte der 80er ein wenig ab, bessere Songs konnten sie zu dieser Zeit aber auch nicht schreiben. Simmons' Trial By Fire ist mit seinem poppigen Sound, seinem sinnbefreiten Text und dem banalen Refrain die klassische Kiss-Füllnummer aus der Feder der Langzunge. Besser macht es das prominenteste Mitglied der Band aber auch in der Folge nicht. Love's A Deadly Weapon wird seinem peinlichen Titel ziemlich gerecht, kann auch mit polternden Drums nicht über potente Zeilen wie "Love's a deadly weapon / And murder's on my mind / I'm burnin' up with fever / I'm gonna love you this time" und seine müden Gitarrensoli hinwegtäuschen, das ist schon ziemlicher Mist. Marginal besser ist aus seiner Richtung nur das halbwegs auf die Tube drückende Any Way You Slice It mit angriffigem Riff und reißender Hook, während Secretly Cruel in all seiner widerlichen Selbstverliebtheit und aufdringlichem Hedonismus wieder alle Bedingungen erfüllt, um auch auf einem 50 Cent-Album nicht fehl am Platz zu wirken.
Gemein haben sie nur, dass sie alle unglaublich verzichtbar anmuten. Somit bleibt es wieder am Kollegen Paul Stanley hängen, dessen Dominanz sich auch im Songverhältnis 6:4 widerspiegelt. Aber auch er erwischt nicht seinen besten Tag, sofern man das nicht für beinahe jeden Tag nach 1978 behaupten könnte. Nein, so hart wollen wir freilich auch nicht mit ihm ins Gericht gehen – aber die großen Kompositionen sucht man auch im Hause Starchild vergeblich. Dennoch sind es zwei, drei Stücke aus seiner Feder, die Asylum vorm kreativen Bankrott bewahren. Opener King Of The Mountain vereint die besseren Momente ihrer 80er, startet mit einer rotzigen Drumsequenz und bietet auch in der Folge zwischen starken Drums und fetzigen Gitarren fast schon so etwas wie Rock 'n' Roll. Lead-Single Tears Are Falling, zur erfreulichen Abwechslung in gedrosseltem Midtempo, erinnert mit seiner Pop-affinen Melodie und seinem massenkompatiblen Refrain an die großen Hits der Band, bietet auf jeden Fall aber einen der wenigen essenziellen Momente der LP und auch Who Wants To Lonely nimmt man die rockende Prämisse unter all der Pop-Bravheit mit seinen nimmermüden Gitarren und dem explosiven Harmoniegesang in der Hook gerne ab.
Mit dem Rest bekleckert sich der Anführer, der seine Pflichten immerhin erfüllt hat, auch nicht so recht mit Ruhm. Erwähnenswert ist eigentlich nur eine Nummer - und die nicht einmal im Guten. Denn mit dem wahrscheinlich dümmsten Stück, dass die Band je geschrieben hat, mit Uh! All Night auch passend betitelt, schließt ein Album, das man trotz seiner kurzen Befreiungsschläge so bald nicht mehr hören möchte. Die Songs sind überwiegend zum Vergessen, die Produktion erstickt die erwünschte Härte bereits im Keim und die einzelnen Mitglieder wirken wie so oft in den letzten fünfunddreißig Jahren, als würden sie lediglich ihren vertraglichen Pflichten nachkommen. Asylum ist einer dieser Longplayer, den man nicht einmal als treuer Fan - sofern es diese überhaupt geben kann - braucht, alle anderen sollten sowieso einen riesigen Bogen um die Scheibe machen und stattdessen ein bisschen gute Stimmung verbreiten!