von Kristoffer Leitgeb, 26.07.2019
Wenig Leben und noch weniger Killerinstinkt auf ihrem bisher synthestischsten Longplayer.
Bescheinigt man Künstlern, sie hätten Potenzial, bedeutet das im Umkehrschluss unweigerlich, dass man eine mögliche Qualität vermutet, die allerdings noch nicht erreicht ist. Je nach Niveau des Gebotenen ist es ein großes Lob oder auch einfach nur ein Strohhalm zum Festhalten, wenn einem Potenzial nachgesagt wird. In jedem Fall ist aber eine gewisse Erwartungshaltung mit dieser Zuschreibung verbunden. Wenn man Verbesserungsmöglichkeiten und die Chance auf etwas Großes sieht, dann will man das gefälligst auch erfüllt haben. Möglicherweise gehen an diesem Punkt die Meinungen auseinander, doch Neuseelands Beitrag zum Artpop-Mikrokosmos in der Form von Kimbra war eigentlich schon vor der ersten LP einer mit Potenzial. Als Amalgam so mancher weiblichen Genrekollegin mit künstlerischen Ecken und Kanten schien der Weg dafür auch eigentlich vorgezeichnet, zumal das Debüt so manches zu bieten hatte. Jahre später bleibt dagegen nur die Wahl, ob man immer noch auf die Zukunft hoffen will oder einfach Ernüchterung Einzug halten soll. "Primal Heart" verleitet zu letzterem.
Denn das dritte Album ist auf bemerkenswerte Weise keine und eine negative Entwicklung für die Neuseeländerin. Natürlich ist eine gewisse kompositorische Verschrobenheit immer noch Trumpf, weswegen manch Rhythmus störrisch, manch Songstruktur eher verworren daherkommt. Das war immer schon Stärke und Schwäche gleichermaßen, weil es Kimbra natürlich zur musikalischen Eigenständigkeit verholfen und für diverse interessante Facetten in ihrer Musik gesorgt hat, gleichzeitig aber vor allem auf Albumlänge elendiglich anstrengend sein konnte. Abhängig war das zumindest damals auf "Vows" von zwei Aspekten, nämlich dem Tempo des Songs und der Lebhaftigkeit, um einen möglichst flapsigen Begriff zu wählen. Und da zeigt sich, dass im Falle Kimbras nur ein sehr schmaler Grat existiert, auf dem sie wirklich großartig klingt. Kaum bewegt sie sich aus dem Mid-Tempo-Bereich weg, klingt sie fast unweigerlich schleppend und zäh, kaum tauscht sie eine klangliche Sortiertheit ein für groß angelegte, kontrolliert chaotische Extravaganz, wird sie mühsam.
Insofern kann man ihr nicht vorwerfen, dass sich das alles spätestens jetzt nicht mehr ausgeht. In Maßen hat das auch mit der erwähnten negativen Entwicklung zu tun. Tatsächlich ist die dritte LP nämlich musikalisch weniger weitläufig als die Vorgänger, orientiert sich dagegen in etwas uniformer Manier an Urban Music, Hip-Hop und auch zunehmend am elektronischen Sektor. Jetzt kann Kimbra das auch und beweist das auch sogleich auf einer der vielen Singles, Top Of The World. Dieser dezente World-Music-Touch tut verdammt gut, der synthetische Beat stört nicht, sondern bringt eine gute Härte mit und unterlegt nicht nur geschmeidigen Gesangs, sondern auch einen Quasi-Rap, der weit weniger fehlgeleitet klingt, als man vermuten würde. Dass rundherum nicht nur starke Background Chants eingestreut werden, sondern eigentlich ausschließlich elektronisch ausgeholfen wird, vielleicht der einzige wirkliche Kritikpunkt, weil so zumindest der Refrain eine schwierige Lautstärke abbekommt.
Während das ein durchaus positives Beispiel ist, ist das aber auch ganz eindeutig ein Minderheitenprogramm auf diesem Album. Nach dem ersten Drittel scheint die Luft großteils draußen zu sein und man muss sich mit einem Rest begnügen, der mehr Schwächen als Stärken offenbart. Wobei die Schwächen dabei selten wirklich aufdringlich sind. Falls es doch dazu kommt, fühlt man sich im durchaus negativen Sinne an die 80er und zwar deren kitschigsten Seite erinnert. Da ist Right Direction beispielsweise ein wunderbar träges, komplett synthetisches Gebilde, in dem auch Kimbra kompletter Lethargie verfällt und im Verbund mit so mancher Stimmmanipulation und mehrstimmiger Backgroundunterstützung den Gipfel der emotionalen Ineffektivität erklimmt. An anderer Stelle, wie beim finalen Real Life, schaut die Sache weniger dramatisch aus, der unnatürliche Klang tut allerdings insbesondere Kimbras Gesang nicht gut und beraubt der Musik als Ganzes ihres Lebens und jeglicher Dynamik. Auch ein Song wie Recovery, wenn auch zweifellos besser, kämpft mit ähnlichen Problem und findet mit dem schleppenden Beat abseits des durchaus ordentlichen Refrains nicht wirklich in die Spur.
Sucht man in der zweiten Hälfte nach positiven Ausreißern, wird man am ehesten bei Lightyears fündig. Das ist zwar untypisch für Kimbra, der glitzernde Synth Pop gerät aber gar nicht mal schlecht, auch wenn ihre stimmlichen Ausflüge teilweise eher schmerzhafter Natur sind und sie ungut schrill klingen lassen. Schwerer wiegt hier allerdings, dass man speziell an diesem Song erkennt, in was für einer schwierigen Lage sich die Neuseeländerin auf dem Album befindet. Tatsache ist nämlich, dass Lightyears wie eine klobige Version eines Chvrches-Songs klingt. Und das ist beispielhaft, weil hier so manches in eher mäßiger Form an Lorde, St. Vincent oder natürlich Björk erinnert. Natürlich stehen solche Vergleiche immer an der Tagesordnung, aber die ehemals so gewinnenden Eigenheiten Kimbras wirken blasser denn je und was bleibt, sind zumindest teilweise Songs, die zwar offensichtlich exzentrische, kreative Qualitäten haben, aber dabei einfach nicht interessant klingen. Und wenn es etwas gibt, was jemand, den man gemeinhin dem Art Pop zuordnet, schaffen muss, dann wäre das Interesse zu wecken und zu beeindrucken.
Das gelingt, wenn überhaupt, nur am Anfang. Leadsingle Everybody Knows schlägt erfolgreich die Brücke zwischen dem elektronischen Unterboden der LP, den zunehmenden Anleihen am R&B und schafft dabei mit einer schillernd synthetischen zweiten Songhälfte auch den Spagat zwischen atmosphärischer Ruhe und hooklastigem Popcharme. Während das immerhin ein moderater Gewinn ist, kann man eigentlich mit dem überzeugenden Top Of The World nur Like They Do On The TV in einem Atemzug nennen. Mit dem Hip-Hop-Beat als Antrieb und den in Dauerschleife dröhnenden Synths im Hintergrund zwar nicht gerade ein Heimspiel für die Singer-Songwriterin, nachdem aber vordergründig mit hellen Elektroniksounds nachgeholfen wird und auch Kimbra ihr sanftestes Stimmchen auspackt, ist der Song mehr als alles andere ein geschmeidiger Vierminüter, dem trotzdem nicht die Energie abgeht.
Das ist eine Kombination, nach der man auf "Primal Heart" sonst relativ lange suchen kann. Überhaupt ist die Vermählung positiver Eigenschaften nichts, was Kimbra auf ihrem dritten Album sonderlich gut gelingt. Dementsprechend ist vieles hier Stückwerk, das zu oft in den guten Ansätzen stecken bleibt und selten einmal zu einem wirklich interessanten und guten Ende findet. Bis zu einem gewissen Grad ist das die Geschichte ihrer gesamten bisherigen Karriere, andererseits ist diese LP ziemlich sicher ein bisheriger Tiefpunkt. Das heißt noch nicht, dass es wirklich schlecht ist, aber die Tendenz, die hier mittlerweile doch zu erkennen ist, lässt für die Zukunft kaum noch Großartiges erwarten. Allerdings ist noch nicht aller Tage Abend, solange noch die Ansätze stimmen und zumindest sporadisch daraus das Richtige gemacht wird. Das gelingt ihr definitiv noch, aber die Luft wird dünner.