von Kristoffer Leitgeb, 12.01.2016
Blues- und Country-Rock mit starken Momenten und dem finalen Fazit umfassender Fadesse.
Kid Rock ist nicht Johnny Cash. Das bedeutet für den belächelten US-Amerikaner zwar, dass er im Gegensatz zum 'Man in Black' weder bereits Bekanntschaft mit dem Sensenmann gemacht hat, noch zwecks karmischer Gerechtigkeit für seine Egozentrik und Eskapaden einen Schicksalsschlag nach dem anderen hinnehmen musste, diese positiven Umstände kann er aber wohl wegen seiner miserablen künstlerischen Ausbeute nicht ganz so genießen. Wobei, warum eigentlich nicht? Immerhin verkauft sich das Zeug. Denn egal, ob er sich als Rap-Ungetüm in Szene setzt oder mit infinit schnulzigem Chart-Rock dem Heartland huldigt, seine Landsleute fressen im zuhauf aus der Hand. So sehr sogar, dass er mit "Born Free" 2010 zum fünften Mal in Serie für eine Studio-LP Platin einheimste. Das tat er ruhiger und unaufdringlicher denn je, was trotz ausbaufähiger Ausbeute für einen seiner angenehmsten Auftritte sorgt.
Und das mit einer solch kitschigen Geschmacksverirrung als Cover! Das hat aber auch mit der Lizenz zum Wegschauen zumindest den Vorteil, dass es bezüglich des musikalisch Dargebotenen doch eine ziemliche Aussagekraft hat. Man erahnt schrecklich kitschigen Südstaaten-Rock mit großem Ego, selbiges bekommt man zumindest mit dem Titeltrack auch in passender Manier vorgesetzt. Der begibt sich, seinem Namen entsprechend, in textlich schwierige Fahrwässer, die auch vom krächzenden Mann am Mikro nicht unbedingt positiv akzentuiert werden. Allerdings taugt die instrumentale Untermalung durchaus als lohnende Ablenkung. Inmitten des Rubin'schen Produktions-Paradigmas unglaublicher Glattheit ergeben sich nämlich durchaus nette Melodien an den stark bespielten Gitarren und dazu gut eingesetzte Klavier-Passagen, die vor allem für einen zündenden Refrain sorgen. Der macht fehlgeleitete Zeilen bald zum durchaus kleinen Übel, nur die unsympathische Stimme wird man nicht und nicht los.
Und doch leitet diese Eröffnung die wohl beste Albumhälfte ein, die Kid Rock im neuen Jahrtausend und eigentlich überhaupt zusammengebastelt hat. Blendend illustriert vom lockeren Up-Tempo-Rocker Slow My Roll, dessen Gesang auch dank starker Background-Hilfe gleich viel ergiebiger wirkt. Doch nicht nur das, die Rock-Maschinerie läuft auf hohen Touren, sorgt für griffige Piano-Ergüsse, ein passend kerniges Solo und ein locker dahingespieltes Gesamtpaket, das sogar den Schritt zum Ohrwurm schaffen darf. Es ändert sich auch nicht wirklich viel. Nach dem Motto 'Was passt, wird passend gelassen' ist es sicher kein großer Variantenreichtum, der eine LP auszeichnet, die hauptsächlich im relativ engen Kosmos zwischen bluesigem Heartland-Sound und bedächtigem Country-Rock herumgeistert. Macht aber nichts, denn das melancholisch-ruhige When It Rains überzeugt als beinahe nachdenklicher Moment mit seinem bedächtigen Beat und den stark akzentuierten Riffs. Purple Sky ergibt sich dagegen fast zu sehr dem Kitsch, überlebt aber vor allem musikalisch bestens, während sogar der bedenkliche Hedonismus von God Bless Saturday dank der unverbesserlichen Bar-Romantik der rustikalen Gitarrenarbeit nur bedingt negativ auffällt.
Nur das miserable Care zeigt früh auf, wie schlecht die Sache auch ausschauen beziehungsweise klingen kann. In einer Mischung aus faden Keyboard-Klängen und apathischen Performances an allen Fronten sticht nicht nur der komplett schwachsinnige Auftritt von T.I. negativ heraus, sondern vor allem auch die bedenklich schlechten Lyrics. Man kommt nicht daran vorbei, Zeilen wie
"I can't change the world and make things fair
The least that I can do, the least that I can do, the least that I can do
Is care"
mit einem inbrünstigen "Geh, geh doch scheiß'n" zu quittieren.
Ansonsten ist das aber moderat souverän, was einem bis dahin entgegentönt. Ja, gibt's denn sowas? Nein, keine Sorge, Schnee fällt noch nicht von unten nach oben. Also muss auch ein Kid Rock-Album ziemlich ordentlich abstürzen, was pflichtbewusst ab Halbzeit passiert. Mit dem Beweis der absoluten Unmöglichkeit eines tiefemotionalen Kid Rock-Songs beschäftigt, schleicht bald alles in einem lethalen Tempo dahin, das neben dem abgetöteten Momentum auch gleich die positiven Beiträge der vielen Gastmusiker mitnimmt und in dunklen Ecken verstaut. Dank Sheryl Crows stimmgewaltigem Auftritt fällt das im süßlichen Duett Collide noch weniger auf. Doch bald entkommt man weder den trägen, pathetischen Gitarrenklänge des elendslangen Times Like These, noch der peinlichen Drama-Performance von Rock On, die bestenfalls bei promillegeschwängerten Hörern für große Gefühle sorgen könnte.
Nur kurz erwacht er mit dem banalen Stampfer-Beat und den rotzigen Riffs von Rock Bottom Blues noch einmal, auch wenn man die Inhalts- und Richtungslosigkeit des Songs nur schwer ignorieren kann. Viel mysteriöser mutet allerdings der Closer an, dessen Eunuchen-Gesang ins komplett Lächerliche abdriftet, was vor allem deswegen fragwürdig ist, weil ansonsten eine durchaus passable Country-Ballade herausschauen hätte können.
Allerdings auch wiederum symptomatisch für ihn, den einzigen Rocker unter den Rockern, wie allein der Name verrät. Er kann's nicht lassen, seine eigene Arbeit auf unterschiedlichste Art zu sabotieren und jedem Hörvergnügen einen ordentlichen Strich durch die Rechnung zu machen. Bei "Born Free" kann selbiges phasenweise trotzdem aufkommen, man braucht nur eine partielle Taubheit für die beiden großen Hemmschuhe der Songs, die Texte und den Gesang. Ignoriert man beides gekonnt, bleiben einem zeitweise musikalisch ansprechende, stark in Szene gesetzte Songs, die authentisch und im besseren Fall noch nicht einmal zu klischeehaft daherkommen. Den großen Rest hätte er sich tunlichst sparen können, aber bei den runtergeschraubten Erwartungen ist selbst diese durchwachsene Leistung noch eine Steigerung zu dem, was auf früheren LPs geboten wurde.