Music To Draw To: Io
Kid Koala feat. Trixie Whitley
Veröffentlichungsdatum: 25.01.2019
Rating: 6 / 10
von Kristoffer Leitgeb, 04.05.2019
Klanglandschaften, so minimalistisch wie das Artwork. Ein schwieriges Erlebnis, aber ein Erlebnis.
Hin und wieder stolpert man über Alben, die mehr eine Aufgabe als einen Genuss darstellen. Das könnte man jetzt so deuten, dass das besonders schlimme Machwerke sind, die man eher durchstehen muss, als dass man sie einfach anhören könnte. Dem ist aber nicht so. Es sind viel eher Arbeiten, die sich nicht nur dem Schema schnöder Unterhaltungsmusik entziehen, sondern gleich überhaupt auf angestammte Formen oder Intentionen pfeifen und entweder ins Terra incognita des Musikalischen abwandern oder aber bekanntes Gelände beschreiten, sich aber da ausgerechnet die am schwersten zu verarbeitenden aussuchen. Vielleicht sind das auch für jeden andere, was hinreichend wahrscheinlich ist, weil wahrscheinlich einige bei Noise Punk ihre Schläfen pochen spüren, während andere bei Trance aus dem Fenster zu springen drohen. Manchmal sind sich aber so ziemlich alle einig, dass etwas zwar definitiv nicht schlecht sein muss, aber als ziemlich schwierig anzusehen ist. Das kann umso mehr so sein, wenn einem nicht nur ein Album, sondern mit dem Titel auch noch die beim Hören bevorzugte Beschäftigung aufgetischt wird. Und da sind wir also angekommen bei "Music To Draw To: Io", dem letzten Ausritt Kid Koalas.
Der mag einigen bekannt sein als wegweisender Turntablist, ist seiner Domäne allerdings in den letzten Jahren untreu geworden und hat sich stattdessen der minimalistischen Elektronik mit Hang zur meditativen Ruhe zugewandt. 2017 mit "Music To Draw To: Satellite" eröffnet, findet genau das hier, wenn auch in etwas gesetzterer, düsterer Version ihre Fortsetzung. Und was beim ersten Anlauf mit der Isländerin mit nicht-isländischem Namen, Emiliana Torrini, passiert ist, wird jetzt mit einer Belgierin mit nicht-belgischem Namen gemacht, nämlich Trixie Whitley. Deren tiefere, eher dem Soul zugewandte Stimme passt auch weit besser zu den noch einmal abgespeckten Arrangements, die Kid Koala hier versammelt hat. Nur das detailverliebte Auge erkennt unter ihnen wirklich markante Unterschiede, spart man die Gesangsparts, die ein Drittel der Songs ausfüllen, aus. Was allerdings mit Circle Of Clouds und damit mäanderndem Drone zwischen erleuchtender Feierlichkeit und unheilvoll schleppender Schwere beginnt, findet schon einmal den Weg zum sphärischen Gitarrenminimalismus oder sogar beinahe zu einer reduzierten Form des Synth-Pop.
All dem wohnt allerdings eine bewusst gewählte, kontemplative Monotonie inne, die erhebliche Schwierigkeiten hat, ihre Magie zu entfalten. Tatsächlich ist, folgt man dem Titel, dieses Album ein Gewinn für jeden, der kognitiv fordernde Tätigkeiten nicht ohne musikalischen Hintergrund angehen will. Der findet nämlich hier eine Ansammlung an Tracks, die sich nicht aufdrängen, die sich nicht notwendigerweise aus einem dahinfließenden Ganzen abheben wollen und die nicht um Aufmerksamkeit betteln. Das ist lobenswert und bringt eine verführerische klangliche Zurückhaltung mit sich, die jedoch auch ein paar Probleme macht, begegnet man der LP anders. Hört man sie nämlich mit voller Aufmerksamkeit oder versucht das zumindest, muss man feststellen, dass hier mit Liebe zum Detail und Präzision gearbeitet wurde, dass daraus aber eine statische Klanglandschaft entstanden ist, die auch atmosphärisch oft gar nicht eindeutig genug ist, um einen wirklich einzufangen. Deswegen ziehen Tracks an einem vorüber, ohne dass man ihren Anfang oder ihr Ende wirklich mitbekommen hätte. Während das insbesondere kürzere Stücke trifft, steht dem so manche Komposition gegenüber, die ihre Länge kaum rechtfertigt, einfach weil hier Monotonie auf eine Art interpretiert wird, die einen eher fragend zurücklässt.
Das fängt auch bereits mit Circle Of Clouds an. Da will man schnell mit Überzeugung positiv urteilen, weil die dröhnenden Elektronikwände einen ummanteln und hypnotische Wirkung entfalten, muss aber irgendwann erkennen, dass siebeneinhalb Minuten eines sich nur in Nuancen verändernden, melodiefreien Klanggebildes vielleicht doch zu wenig für großen Jubel sind. Aber es sind keine schlechte Minuten, soviel ist sicher. Das allein könnte das Urteil über die ganze LP sein, die sich zwar manchmal, beispielsweise mit den zunehmend formarm dahinschwimmenden und immer ruhiger werdenden Transmissions, in erschöpfender Form präsentiert, gleichzeitig aber Sounds bereithält, die zum Dahinschmelzen sind. Torus macht dahingehend wie Liminality fast alles richtig, wobei letzteres kurz genug ist, um gar nicht die Frage aufzuwerfen, warum aus diesen großartig produzierten und ideal in die klangliche Leere hineingeworfenen Gitarrrenzupfern nicht mehr gemacht wurde. Es sind spärlich gespielte Noten, die dank Kid Koalas beeindruckend penibler Arbeit auf beste Art im Nichts verhallen. Nicht mehr, definitiv aber nicht weniger.
Trotzdem fragt man sich irgendwann, ob es nicht mehr bräuchte. Gerade die zweite Albumhälfte verlangt nach geduldigeren Menschen und sucht vor allem mit verhaltener Elektronik nach Eigenheiten. In Allotropic findet man die dank prägnanten Keyboard-Loops sogar, gleichzeitig ist der aber zu plump, um einem zu gefallen. Auch da kristallisieren sich sporadisch gespielte Noten als die beste Methode heraus, um den Ambient-Schwaden einen überzeugenden Sound zu geben. Aphelion ist damit ein später Höhepunkt, kreiert mit den drückenden Klavieranschlägen eine gespenstische Aura, die schon von den langsam pulsierenden Bassnoten des vorangehenden Emuii vorbereitet wird. Der Rest ist nett, aber kaum nennenswert, hebt sich absichtlich oder auch nicht einfach auf keine Weise aus dem relativ langatmigen Ganzen ab.
Weswegen man relativ früh danach lechzt, Trixie Whitley zu hören. Den Whitley belebt die Szenerie, ohne sie ihrer atmosphärischen Ausrichtung zu berauben. Sie verlangt allein schon Kid Koala mehr Aktivität ab, damit er neben dem gewinnenden Gesang noch erkennbar bleibt. All For You beweist da zwar schon früh, dass stilistisch trotzdem am sphärischen Minimalismus festgehalten wird, unterlegt damit aber auch durchaus stark die ausdrucksstarke Stimme der Belgierin. Mit ihr gelingt auch sowohl der stilistische als auch der qualitative Ausreißer des Albums. Der musikalische Außenseiter heißt Lost At Sea und macht kurz vor dem Halt, was man schon als Synth-Pop bezeichnen könnte. Zumindest begegnen einem hier mehrspurige Synth-Loops, die zur Abwechslung ein melodisches Ganzes ergeben. Tatsächlich spießt sich das etwas mit dem ruhenden, langgezogenen Gesang, es ist aber definitiv das Maximum an Dynamik, das sich hier finden lässt. Allerdings deswegen noch lange nicht der beste Track. Nicht nur, dass einen die karge Ausstaffierung von Diamond Heart mitnimmt und dementsprechend eher nachwirkt, der eine Song, für den sich jede zähere Minute lohnt, ist in Wahrheit Hera's Song. Das liegt zu einem wirklich guten Teil an Whitley, die die im Hintergrund schwirrende, unwirtliche Elektronik mit ihrem dumpfen, wuchtigen Beat und dem zeitweisen Dröhnen zu etwas macht, das endzeitliche Stimmung erzeugt. Es ist anfänglich emotionslose Vorstellung, melodiearm, stimmlich im tieferen Terrain, die ein eisiges Gefühl vermittelt und erst zur Songhälfte in ein ausdruckstarkes, bedrückendes Flehen übergeht.
Während "Music To Draw To: Io" also vielleicht generell - um einmal kurz die heimische Musik als Vergleich heranzuziehen - atmosphärisch eher an "Cargo" von den Sofa Surfers als wie der Vorgänger an "Endless Summer" von Fennesz anschließen will, wird das nur in diesem einen, wirklich beeindruckenden Song deutlich. Der Rest ist geformt von einem Könner, allerdings so, dass dem Ganzen eine Ambivalenz innewohnt, die allein der Tatsache entspringt, dass zu wenig passiert, das man deuten oder interpretieren könnte. Und das ist nicht so einfach, weil man natürlich Musik auch einfach nur genießen darf, das aber nur begrenzt möglich ist, wenn sich so wenig tut. Kid Koala hinterlässt damit eher Fragezeichen, sofern man genau hinhört und sich nur der Musik widmet. Ob das das Ziel war, die LP ein bisschen zu einem Beiwagerl zu einer etwaigen anderen Beschäftigung zu machen, könnte man einfach klären, nimmt den Titel allzu ernst. Ansonsten muss man aber mit einem zwiespältigen Urteil verbleiben: "Music To Draw To: Io" ist starkes Handwerk, ein Inbegriff des Minimalismus und alles andere als gedankenlos oder leer, gleichzeitig sind die Songs allerdings bis zu einem Punkt reduziert worden, an dem man sich fragt, wo der Rest bleibt, und sonst nicht wahnsinnig viel an Eindruck da ist.