von Kristoffer Leitgeb, 21.11.2020
Kesha oder Ke$ha? Der schwierige Versuch einer Stilversöhnung zwischen damals und heute.
Ein Blick in die eigene Vergangenheit wird verdammt viel offenbaren, das sehr schnell als peinlich oder zumindest auf amüsante Art hinterfragenswert identifiziert werden kann. Kleidungsstile, Haarschnitte, vom früheren Selbst verfasste Texte oder gezeichnete Meisterwerke, den Ausformungen des Fragwürdigen sind da beinahe keine Grenzen gesetzt. Nun kann man das verschämt von sich schieben, todesmutig und wortreich zu erklären versuchen oder aber es unter dem realistischen Gesichtspunkt sehen, dass auch das Hier und Jetzt bald eine ziemlich peinliche Vergangenheit sein kann. So ist das Leben. Und weil das so ist, kann man natürlich die eigenen Verbrechen von anno dazumal auch einfach feiern, sich herzlichst darüber lustig machen, sie schulterzuckend hinnehmen oder aber sie sogar tatsächlich wieder aufleben lassen und so tun, als wäre das eh großartig gewesen, damals, in den guten alten Zeiten. Letzteres verlangt aber neben einer gehörigen Portion Mut schon auch meistens ein gewisses Maß an Geschmacksverirrung und einem etwas verklärenden Blick auf das, was war. Ist man als Musikerin erfolgreich genug, kann man es sich aber zumindest leisten, weswegen auch Kesha nicht widerstehen konnte, nach einer der imposantesten stilistischen Neuerfindungen des vergangen Jahrzehnts das neue mit einer Rückbesinnung zu beginnen, nach der niemand gefragt hat.
"High Road" ist jedoch immerhin nur teilweise in einer unheilvollen Retrospektive gefangen. In einem bewussten Anschlag auf alle eventuellen Erwartungen hat sich die US-Amerikanerin dafür entschieden, weder den ungewohnt persönlichen und ernsten, musikalisch dazu verdammt vielseitigen und atmosphärischen Weg des Vorgängers weiterzugehen noch komplett zum hyperhedonistischen, oft hohlen Dance-Pop von viel früher zurückzukehren. Stattdessen existiert ihre vierte LP in einer Zwischendimension, zelebriert so manch elektronische Breitseite, spielt sich wieder mehr mit EDM und Hip-Hop, während dem noch immer dezente Balladen, R&B, Rock und allerlei einfallsreiche Genresprünge gegen überstehen. Heraus kommt dabei eine LP von unfassbarer Zerrissenheit, die auf jede Einheit, jeden Flow und in Wahrheit jede Genießbarkeit pfeift und stattdessen ziemlich kompromissfrei alles zusammenpantscht, was sich finden lässt. Schon die Eröffnung wird mit Tonight zum Trick, startet als kitschige Piano-Ballade, nur um schnellstmöglich zum synthetischen, dröhnenden Party-Track mit wuchtig-tiefem Beat zu werden. Weil das dank Spielereien mit der Stimme, zwischenzeitlichem Abdriften in alkoholgetränkte Mehrstimmigkeit und dann doch wieder Anflügen hymnischer Gospelklänge ein heilloses, penetrantes Durcheinander ist, wird man gleich einmal veritabel enttäuscht.
Worauf man sich im restlichen Verlauf des Albums jedoch einstellen muss. Der Titeltrack mag zwar geordneter klingen, die Mischung aus melodisch-beschwingtem Pop und kantigen Elektro-Rap-Passagen kommt aber gleichermaßen nervig und harmlos an. Little Bit Of Love versucht sich mit sehr durchschnittlichem Ergebnis an Avancen in Richtung des Vaudeville Pop von Panic! At The Disco, kann zwar auf Keshas starke Stimme bauen, macht aber abseits davon weder in Form tänzelnder Klavier-Parts noch mit den drückend schweren Beats im Refrain und dessen Synth-Bläsern sonderlich Eindruck, der über ziemlich Austauschbarkeit hinausgeht. Zugegebenermaßen weniger austauschbar, dafür aber als merkwürdiger, glitzernder Elektro-Pop mit schillernden Synths im 80er-Stil und vereinzelten Scratches wirkt auch Kinky nebst uninteressanten Zeilen unerwartet leblos und inhaltslos. Der Song mag einen Writing Credit an Ke$ha, also ihr eigenes altes Selbst aus den schlimmsten Party-Elektro-Trash-Zeiten, vergeben. Er ist aber weder ähnlich nervtötend noch ähnlich energiegeladen und angriffig wie irgendwas, was sie damals fabriziert hat. Dass es nicht unbedingt am Wiederaufleben der elektronischen Seite Keshas liegt, beweist einem bald das mit dem Co-Songwriter fast jeden Songs hier, Wrabel, aufgenommene BFF. Da regiert die Fadesse, egal ob in den minimalistischen, nur vom synthetischen Beat und leichten Gitarrenakkorden bestimmten Passagen oder in den wiederum 80er-Flair versprühenden Refrains, die sich trotz pochenden Synths unglaublich zahm geben.
Das Kunststück ist nun, all das auf einem Album zu haben und dieses doch noch ganz gut wirken zu lassen. Es gelingt in zweierlei Form. Zum einen wären da natürlich jene Momente, die einen im positivsten Sinne an das Vorgängeralbum und dessen gefühlvolle Minuten zurückdenken lassen. Die Ballade Honey wäre so ein Moment, der den Refrain fast gänzlich den großartigen souligen Backgroundstimmen überlässt, Kesha stattdessen hauptsächlich die Abrechnung mit einer früheren Freundin rappen lässt, während den zurückhaltenden Drums lediglich drückend spärliche Blues-Riffs zur Seite stellt. Zu 100 Prozent geht die Rechnung nicht auf, weil die Balance aus wütender emotionaler Schwere und dem mitunter humorvoll-lockeren Sound nicht ganz gelingt. Ein positiver Ausreißer ist es aber allemal. Genauso wie die mit Brian Wilson und Sturgill Simpson aufgenommene, akustische, an Country und Gospel andockende Ballade Resentment. Die dortige musikalische Zurückhaltung bietet viel Raum für ein unerwartet harmonisches Duett, das Erinnerungen an die gemeinsamen Songs von Bradley Cooper und Lady Gaga in " A Star Is Born" weckt und entsprechend weder mit Gefühl noch atmosphärischer Stärke geizt. Mit Streichern und Klavier schwermütiger und textlich intimer, trifft auch Father Daughter Dance als Song an Keshas unbekannten Vater emotional den richtigen Ton, versteigt sich nur gegen Ende in melodramatischer Übergröße, die wenig hergibt.
Die andere Seite positiver Eindrücke wird bestimmt von all den vielfältigen Songs, die sich weniger dem Balladesken und der Ruhe hingeben und dennoch auf der Gewinnerseite landen. Klanglich schwierig, aber wegen der schrill-kantigen Kompromisslosigkeit dennoch dort zu finden, ist My Own Dance ein früher Anhaltspunkt dafür, dass die erratischen, angriffigeren Anwandlungen Keshas hier doch funktionieren können. Mit harten Brüchen zwischen luftigem Gitarren-Pop und wuchtigen Hip-Hop-Beats, die mit abgehackten Vocals verstärkt werden, vereint der Song die beiden Welt der LP, zeigt textlich allen Erwartungen an die US-Amerikanerin einen Mittelfinger und ist genauso schwierig und anstrengend wie majestätisch schräg. In puncto Schrägheit definitiv noch einige Stufen darüber ist der Potato Song (Cuz I Want To), der sich mit Tuba, Saxophon, Trompete und störrischer Polka-Gangart als Ode an die kindischen Seiten des Lebens versteht und eine Bewertung zwischen gut und schlecht in Wahrheit hinter sich lässt, auch wenn man das Schauspiel schwerlich unsympathisch finden kann. Der Daumen geht auf jeden Fall nach oben.
Die poppige Up-Tempo-Seite ist aber wohl doch dann am stärksten, wenn die US-Amerikaner sich auf melodische Hymnen besinnt, mit den Beats nicht schüchtern, aber auch nicht zu angriffig umgeht, ihrer Stimme genauso wie ihren vielfältigen Einflüssen genug Platz lässt. Leadsingle Raising Hell bedient auf dem Feld die elektronische, Hip-Hop-lastige Seite ihrer Karriere nicht überragend, aber mehr als solide und kann sich auf einen beinahe den ganzen Song ausmachen, ziemlich mächtigen Refrain verlassen. Zum krönenden Abschluss der LP und Höhepunkt dieses wirren Spektakels wird dann aber Chasing Thunder, das mit luftig-lockeren Gitarrenstrophen, leichten Country-Tendenzen und den wuchtigen Drums eine verdammt stimmige Mischung aus Florence + The Machine und Mumford & Sons zusammenbekommt.
Das bringt einen insgesamt an einen Punkt des fundamentalen Zwiespalts. "High Road" ist an und für sich enttäuschend, weil davor "Rainbow" kam und die verbliebenen Spuren von dessen großartigem Ganzen hier auf wiederauferstandene musikalische Untaten aus vergessen geglaubten Tagen und zwischen ungenießbar und schlicht fad steckenden Pop-Anwandlungen treffen. Deswegen ist es aber noch kein schlechtes Album. Nicht nur, dass noch genug von dem da ist, was an der Neuerfindung von Kesha so überzeugend war. Selbst die eindeutig eher dem lockeren Spaß und der Provokation all jener, die unbedingt eine Fortsetzung des Vorgängers erwartet hatten, verpflichteten Songs sind nicht zwingend Reinfälle. Dennoch ist die LP eine zerrissene, unförmige Angelegenheit, die keine Balance findet und einen mit jedem neuen Song, manchmal sogar innerhalb eines Songs, immer wieder in eine andere Richtung zerren will. Da kann man nicht so ganz mit. Genauso muss man feststellen, dass die Singer-Songwriter zwar durchaus das Zeug hat, ein verdammt vielseitiges Pop-Album zu kreieren, dass auf jeden erfolgreichen musikalischen Ausritt aber auch eine stilistische Abzweigung kommt, die es nicht gebraucht hätte oder die unfassbar durchschnittlich daherkommt. Und so ist sicher für jeden, der irgendwann auch nur für ein paar Sekunden etwas mit Kesha in welcher Form auch immer anfangen konnte, auf diesem Album etwas dabei. Aber für niemanden genug, um daraus ein wirklich starkes Album zu machen.