von Kristoffer Leitgeb, 05.05.2018
So fad, dass man schon fast nicht mehr merkt, wie qualitätsarm ihr Dance-Pop immer noch ist.
Es ist insgeheim doch zu bezweifeln, dass es wirklich ein so viel größeres Maß an schlechter Musik gibt als in früheren Dekaden. Das 21. Jahrhundert ist nicht so speziell, um solche Musikweltuntergangsszenarien angebracht erscheinen zu lassen. Natürlich gibt es mehr schlechte Musik, aber das hauptsächlich, weil es generell unfassbar viel mehr wahrnehmbare Musik gibt, sodass die schlechte genauso mehr werden muss und das realistischerweise stärker als die gute, denn die wird sich ja früher auch schon eher durchgesetzt haben. In Zeiten des Soundcloud-Accounts und von YouTube ist das mit dem Durchsetzen aber irgendwie für die Würscht, weswegen eben schlecht leichter überlebt und der musikalische Darwinismus ein immer schwereres Dasein fristet. Untergehen wird trotzdem nichts, was allerdings nichts daran ändert, dass eigentlich schon die 90er eine Kultur des extrem Generischen an den Spitzen der Charts etabliert haben. Das unverhohlen Mäßige, Kanten-, Überraschungs- und letzlich ziemlich Emotionsarme feiert einen beeindruckenden Siegeszug, der schmerzt, weil er an und für sich so gefahrlos wirkt und dann doch ganz drastisch den Spaß aus der Musik saugt. Spätestens da muss der Name Katy Perry fallen.
Und das, obwohl die doch fast drauf und dran war, Pop-Queen zu werden. Also acht Top-5-Singles, das ist schon beachtlich, ohne dass dem irgendein musikalischer Wert innewohnen würde. Es spricht für die Marketing- und Produktionsabteilung hinter Perry, es spricht auch für ihren Riecher, aber irgendwie a priori für niemandes musikalische Qualitäten. Aber die Allgegenwart war mit "Teenage Dream" so oder so Realität, ob man das jetzt mag oder nicht. Und während der Perry'sche Stern im steilen Sinkflug ist, kann man die Gründe dafür auch wunderbar am absoluten Höhepunkt suchen. Denn Katy Perry, das ist endgültig der kleinste gemeinsame Nenner des modernen Pop. Verträglich für die "mutigen" 12-jährigen Mädls, die "lebenslustigen" 17-jährigen und die ein bissl zurückgebliebenen 25-jährigen. Das dürfte eine ziemlich große Zielgruppe. Rechnet man dann noch mit ein, dass selbst ein 24-jähriger, dem Goth Rock nahestehender Zyniker falschen Geschlechts keinen Brechreiz bei den meisten Songs der US-Amerikanerin empfindet, ist der Erfolg schnell erklärt. Der Sound ist eben trotzdem bescheiden, weil mit plumpen Beats unterlegt, einer zwar vergleichsweise moderaten, aber eben doch merklichen Stimmmanipulation, die wirkungslos verpufft und mit den mal zum Rave tendierenden, mal dem kitschigen Soft-Rock entlehnten Synthesizern eher kollidiert als harmoniert. Alles, was Perry wirklich hat, ist ihr zugegebenermaßen als Charakteristikum durchgehender, dünner Sprechgesang und die passenden Pop-Hooks.
Am Haken hat sie einen aber verdammt selten, ganz egal, wie sehr da die größten Namen des modernen Dance an der Melodie gefeilt haben wollen. California Gurls ist als Leadsingle dahingehend extrem trügerisch, weil man sich immerhin das bestmögliche Tempo für den Beat ausgesucht hat, die Gitarrenspur Post-Disco-Charme mitbringt und das Stimmengewirr aus Perry, dem mäßig notwendigen Snoop Dogg und Daft-Punk-Gedenkvocoder tatsächlich nicht aneinander zerbricht. Dass die Synthies immer noch relativ billig sind, mag stimmen, passt aber irgendwie zu dem Hauch früher 80er, der unweigerlich mitschwingt. Das ist jetzt ein Song und der beschließt als dritter auf der Tracklist eigentlich schon den soliden Anfang, der mit Teenage Dream immerhin die unaufdringlichste aller Pop-Nummern dabei hat und in Form von Last Friday Night dank luftigem Arrangement das Möglichste aus den grenzdebilen Zeilen herausholt, sogar vergessen macht, wie sehr da an unnötige Machwerke wie I Gotta Feeling erinnert wird.
Wirklich konkurrieren will damit aber eben sehr wenig. Was schon auch damit zu tun hat, dass das vermeintlich persönliche "Teenage Dream" textlich noch einmal ein gutes Stück inhaltsärmer wirkt als das seinerseits schon diesbezüglich lahmende "One Of The Boys." Natürlich ist es schon so, dass Perry so manches einzubauen versucht. Da ist sie hier angriffig, dort verliebt wie ein Schulmädchen, wieder woanders vom Leben gepeinigt und im plattesten Liebeskitsch gefangen. Nur geht natürlich nichts davon irgendwie auf, was soll das auch für Gefühle hervorrufen außer dem Wunsch nach einer anderen Beschäftigung als dem Zuhören? Selbst ein Welthit wie Firework ist doch die absolute Schmalspur-Variante eines Motivationssongs. Und die sind schon ganz generell nicht gehaltvoll! Who Am I Living For?, Pearl, The One That Got Away, sowas zieht an einem vorbei wie Schäfchenwolken. Man findet auch keine Zeile, die im Gedächtnis bliebe, sofern sie dort nicht wegen ihres dumpfen Charakters Spuren des Schmerzes hinterlässt. Wenn das markanteste literarische Erzeugnis einer ganzen LP die Zeile "I wanna see your peacock, cock, cock" ist, läuft zu viel falsch, um die passende Superlative dafür finden zu können. Dass der dazugehörige Song Peacock heißt, versteht sich von selbst, dass er Hirne einfrieren lässt und sich einreiht in die lange Liste dümmlicher Verbrechen weiblicher Popstars - D.I.N.O.$.A.U.R. (Kesha), Birthday Cake (Rihanna), Hello Kitty (Avril Lavigne), ich mache aus Platzgründen mal nicht weiter -, eigentlich auch.
Was bleibt, ist die Suche nach der Melodie, die einen sowas verzeihen lässt. Die findet sowieso nie irgendwann irgendjemand, in puncto Schadensbegrenzung lässt sich aber immerhin noch die eine oder andere Minute herausheben. Da überrascht es dann zumindest mich weniger, dass ein paar davon Circle The Drain zu verdanken sind. Natürlich ist das ein eher dünnes Süppchen rachsüchtigen Pseudo-Rocks, aber man muss nicht gleich so ein Kostverächter sein, dass man die Dynamik des Tracks und Perrys offensichtliche stimmliche Passform für genau diesen Sound ignoriert. Und wo schon Self-Inflicted am Vorgänger als kleinste Spur von ernster Härte einigermaßen überzeugt hat, gelingt das mit dem abgehackten, beatstarken und kantig instrumentieren Abrechnungstrack noch ein bisschen besser.
Auf der anderen Seite braucht es natürlich einen Sommertrack, der nicht einfach die nächste Poolparty zu imitieren versucht, sonderlich vielleicht tatsächlich die genießerische Leichtigkeit der heißen Tage einfangen kann. Viel verlangt und Hummingbird Heartbeat scheitert mit dem Erwachen alltäglicher sommerlicher Romantik auch dezent daran, ist aber immerhin die organischste Vorstellung des Albums, der auch die geschliffenen Synthesizer nichts anmachen können.
Könnte man so etwas nur über die ganze LP sagen. Es wäre ganz offensichtlich keine mehr von Katy Perry. Dass die Sängerin eine Person ist, der die Aufdringlichkeit anscheinend nicht auszutreiben ist, dürfte dank eines Chartrekords nach dem anderen den meisten mittlerweile klar sein. Dass sie außerdem wenig auf musikalische Zurückhaltung gibt, wenn es nicht gerade um schmierige Piano-Balladen geht, trägt noch zusätzlich dazu bei, aus "Teenage Dream" eine ermüdende Mischung aus fader Berechenbarkeit und schwer erträglicher Penetranz zu machen. Das kennt man von ihr, von nicht gar so wenigen anderen im Pop-Business auch, man erwartet es fast nicht anders. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass man im ersten Moment gar nicht so viel Schlechtes über das Album zu sagen hat. Aber es kommt eben doch ein zweiter und der macht aus dem kommerziellen Triumph genau das unnötige, austauschbare Sammelsurium, das es immer schon war.