von Mathias Haden, 26.02.2015
Im zweiten Anlauf gelingt der zweitklassigen Pop-Diva der große Erfolg - zumindest kommerziell.
Als Antithese zum traditionellen Singer/Songwriter gibt es heute mit Katy Perry eine Schreiberin als Alternative, die sich bei ihren Songs gerne mal unter die Arme greifen lässt. Auf die Frage, wie viel Ehrlichkeit der Pop denn nun vertrage, antwortete das Teen-Idol ungefragt mit I Kissed A Girl, der Rest ist Geschichte. Serien- und Filmauftritte bei den 'Simpsons', 'How I Met Your Mother' oder den Schlümpfen, eine wilde Ehe, diverse Düfte und seit 2014 sogar ein eigenes Label; was will man mehr?
Diese rhetorische Frage bleibt am besten unbeantwortet, indem wir den Blick wieder zurück auf den Durchbruch der Erfolgsfrau Katheryn Elizabeth Hudson werfen, ach ja, I Kissed A Girl. Dass diese Single bis auf seine zumindest in den prüden U.S.A. schockierenden Message nicht viel anzubieten hatte, war schnell ersichtlich; für einige Millionen abgesetzte Exemplare und den anschließenden Weltruhm reichte es allemal. Subtrahiert man die Kernaussage der Nummer nämlich, bleibt bis auf trashige Elektronik und mäßigen Gesang wenig bis gar nichts übrig:
"I kissed a girl and I liked it
The taste of her cherry ChapStick
I kissed a girl just to try it
I hope my boyfriend don't mind it"
Wer sich entgegen dieser widrigen Umstände nun doch für eine Anschaffung der folgenden LP One Of The Boys entschieden hat, der bleibt für seinen tollkühnen Mut vorerst unbelohnt. Bereits der Opener und Titeltrack zeigt sämtliche Facetten der Entertainerin, welche zwar insgesamt nur von ordentlicher Selbstvermarktung bis zu moderatem Pop-Verständnis reichen, die eine oder andere Nummer aber mit einem gewissen Charme füllen. Dabei schien ersteres lange Zeit gar nicht so das Ding der Katy Hudson zu sein, nachdem ihr erstes, christlich (!) angehauchtes Album sein Dasein weit weg von den Charts fristete. Dafür beweist sie schon am Opener, wie locker sie massenkompatible Tracks aus dem Hut zaubern kann; treibender Beat und schwungvolles Tempo können zwar alles andere als über Perrys nicht besonders ausgeprägtes Gesangsorgan und seinen substanzlosen Inhalt hinwegtäuschen, den Dancefloor bekommt man damit aber locker mit einem Haufen an pubertierenden Mädchen voll. Wie sehr Perry an ihre gesanglichen Grenzen kommt, beweist unter anderem das energetische Mannequin, auf dem sie sich an einer kratzig rockigen Performance mit Soulfaktor versucht, aber kläglich an ihrem limitierten Spielraum scheitert. Weit mehr schmerzen allerdings wieder einmal die nichtigen Songzeilen. Die machen im besagten Fall auch klar, warum sich Perry besser auf ihre Schreiberkollegen verlassen sollte: "'Cause you're not a man / You're just a mannequin" - der geht ganz allein auf ihre Kappe.
Genau so die schmalzige Powerballade Thinking Of You, die es traurigerweise auch zur Single gebracht hat. Immerhin zeigt sich hier, dass eine solide Produktionsleistung zumindest etwas von den stimmlichen Makeln ablenken kann, wirklich viel Spaß macht der softe Track mit sehr dezentem Taylor-Swift-Country-Einschlag aber nicht; besonders der an die schwierige Alanis Morrisette erinnernde Einstieg tut wirklich weh.
So bewegt sich das Debüt unter dem Namen Perry auch ziemlich farblos weiter, lässt auf seinem spannungsbefreiten Pfad zwischen fadem New Wave-Einfluss und groteskem Pop-Rock-Geplänkel mit spröden Gitarren kein Fettnäpfchen und schon gar kein Pop-Klischee aus. I'm Still Breathing helfen bei aller Nachsicht noch nicht einmal seine Vocal-Overdubs, um den Track aus seinem narkotisch langweiligen Klangbrei zu befreien, das rockige Self-Inflicted wird zum wohl ganz und gar ernstgemeinten, leichtverträglichen Nachzügler der Emobewegung. Viel besser wird es schlussendlich auch mit Closer Fingerprints nicht, das die ganze Kreativität der Sängerin ein letztes Mal in sich vereint oder vereinfacht gesagt nur einen bacherlwarmen Versuch einer Paramore-Gedenknummer darstellt.
Mittendrin gibt es aber winzige Hoffnungsschimmer. Ausgerechnet in Partyhymne Hot n' Cold findet Perry vorübergehend zu einer Art ansprechender Form. Diese macht dank seiner mitreißenden Hook und den sommerlich anmutenden Synthesizern auch endlich mal etwas richtig auf der LP. Auch der zweite kleine Lichtblick kommt aus einer unverhofften, dunklen Ecke. Waking Up In Vegas wird zur einigermaßen reiferen Sing Along Nummer, bietet zudem einen vergleichsweise gar nicht einmal so üblen Text und punktet zusätzlich mit seiner beschwingten Energie, die die Scheibe zum braven Power Pop aufwertet.
Leider kommt die Rettung, die Perry den ertrinkenden Zuhörern ihrer persönlichen kleinen Pop-Titanic in Form von zwei stimmungsvollen Rettungsbojen zuwirft, viel zu spät. Während das Interesse der Gäste in den metaphorischen Tiefen ihrer eiskalten Produktion und den beizeiten wirklich unglaublich schwachen gesanglichen Leistungen verschwindet, wird die Luft auch für deren Protagonistin langsam dünn. Ohnehin kann man Katy Perry im Vergleich mit den anderen Pop-Diven ihrer Generation nicht viel zugutehalten, mit seinen pseudo-kontroversen Themen in Kombination mit sonnigen, hormonschwangeren Teenagergeschichten gerät One Of The Boys dazu just auf jene Schiene, die sich schon im Titel andeutet. Und obwohl Perry wie erwähnt zweimal kurz ein wenig Gespür für catchy Pop-Hymnen aufflimmern lässt, hilft es alles nichts: Wie schon Leonardo DiCaprio sinkt auch sie langsam zum Meeresboden - in ihrem Fall jenem der Bedeutungslosigkeit.