von Mathias Haden, 23.05.2015
Die Country-Queen-Aspirantin hat zwar ein paar lausige Songs mitgebracht, schlägt sich insgesamt aber weiterhin äußerst wacker.
Der Dezember ist vorbei und die Tinte auf den obligatorischen Jahresbestenlisten längst getrocknet. Ein vorzügliches Jahr ist passé, ein neues, spannendes Jahr bahnt sich bereits an. Während sich unter den Lieblingsalben der Kritiker wieder einmal Folkiges (Sufjan Stevens), Hip-Hop (King Kendrick Lamar, Vince Staples) und ein bisschen was aus der Elektronikkiste (Jamie xx, Grimes) vorfinden ließen, blieb es im Country erneut etwas ruhig. Wir befinden uns demnach also in einer Zeit, in der das angeschlagene Genre mehr denn je Helden braucht, die es mit Stolz zu vertreten bereit sind. Neben dem Alt-Eagle Don Henley und dem Aufsteiger Chris Stapleton durfte diese Ehre im vergangenen Jahr wie schon 2013 Kacey Musgraves zuteilwerden. 'Ist das eigentlich noch Country?', höre ich den einen oder anderen imaginären Leser laut nachdenken. Natürlich ist es das; die Pedal Steel jammert, Banjo und Streicher geben sich keine Blöße und hinter all der Pop-Feinfühligkeit und den entsprechenden Melodien verbirgt sich freilich genug Country-Twang und die altbewährten Lamente über verflossene Liebschaften und home on the ranch.
Wobei - rudern wir lieber zwei Argumente zurück. Kacey Musgraves, das ist doch dieses Prinzesschen aus Texas, das diese ausgenudelten Themen ins 21. Jahrhundert holt und sie mit aktuelleren vermengt. Wir erinnern uns da doch alle - eher niemand - an Single Follow Your Arrow vom tollen Major Label-Debüt Same Trailer Different Park, auf der die Texanerin mit erhobenem Zeigefinger die biederen, amerikanischen Konventionen anprangerte und die Menschen ermutigen wollte, sich selbst stets treu zu bleiben - und damit vermutlich zumindest in Miley Cyrus eine Freundin im Geiste gefunden haben dürfte. Von ihrer sympathischen Scheiß-drauf-Art, die besonders im Kontrast mit Musgraves' lieblichen, wenn auch nicht perfekten Vocals ganz gut funktioniert, ist ihr auch zwei Jahre später noch einiges geblieben. Lead-Single Biscuits gerät dabei zum rechtmäßigen Nachfolger ihrer in den Staaten kontrovers aufgefassten 7":
"Just hoe your own row and raise your own babies
Smoke your own smoke and grow your own daisies
Mend your own fences and own your own crazy
Mind your own biscuits and life will be gravy"
Zeilen, die natürlich auch beim zweiten Aufguss noch gut ins Ohr gehen, die musikalische Nähe hätte es aber in dieser Form nicht gebraucht. Apropos Musik: die spielen Musgraves und ihre Kollegen noch einen Ticken besser und mit einem ausgeprägteren Selbstverständnis als noch zwei Jahre zuvor. Das fantastische Dime Store Cowgirl, auf dem die Sängerin von ihren Erlebnissen mit Willie Nelson und dem Geist von Gram Parsons berichtet, ist mit seiner großartigen Pedal Steel und dem Zusammenspiel zwischen akustischer Gitarre, Banjo und Rhythmusabteilung besonders gut gelungen. Man könnte natürlich meinen, Kacey werfe mit Plattitüden um sich, wenn sie so in ihrer fröhlichen Natur "I'm just a dime store cowgirl / That's all I'm ever gonna be / You can take me out of the country / But you can't take the country out of me, no" singt und sich dem gleichermaßen romantischen wie patriarchalischen Country-Lifestyle hingibt. Juckt aber nicht die Bohne - brillantes Stück, all things considered.
Weniger gut sieht es für die neue Country-Queen (nicht nur des Artworks wegen) aus, wenn sie zu sehr in Richtung Pop driftet. Das satirische Family Is Family wird dahingehend rasch zum Feindbild, wenn sie es mit grotesk kindischen Reimen ("Yeah, family is funny, they'll ask you for money / Even though they know you ain't got no money" - was zum Kuckuck!?) versucht; nicht wirklich vielversprechender machen sich ihre Bemühungen, den Good Ol' Boys Club zu verteufeln, mitsamt seiner unerträglichen 'cigars and handshakes' und allem was halt dazu gehört - in diesen redundanten Song verpackt aber wenig Spaß bereitet. Daneben gibt es noch einige dieser Nummern, die inhaltlich wenig bieten, aber immerhin erneut die musikalische Entwicklung wiederspiegeln, wie Miserable oder Die Fun.
Und letztlich gibt es ja doch noch ein paar weitere Lichtblicke, die Pageant Material so gut genießbar machen. Der leichtfüßige Opener High Time bezaubert mit Musgraves feiner Gesangsperformance und starker Steel, der Titeltrack paradiert mit ihrer lässigen Attitüde ("I'd rather lose for what I am than win for what I ain't") und Cup Of Tea gerät zur leicht öligen, aber liebevollen Ermutigung - bereits nach kurzer Zeit im Rampenlicht ihre unverkennbare Paradedisziplin.
Und weil sie diese beherrscht, einige starke Songs geschrieben hat und auch sonst vieles richtig macht, ist der - zumindest von mir - hochantizipierte Nachfolger von Same Trailer Different Park auch höchst ordentlich geworden. Die Konstanz vom Vorgänger fehlt zwar und die paar Gurken, von denen der Vorgänger weitestgehend verschont geblieben war, zehren schon ziemlich am Gesamtbild, das den Unterschied zwischen den beiden LPs doch erkennbar werden lässt. Trotzdem läuft vieles gut, musikalisch kann man Pageant Material auch wenig bis nichts vorwerfen und sogar Altmeister Willie Nelson lässt sich auf Hidden Track Are You Sure mit einem erfreulichen Überraschungsbesuch bei seinem Fan blicken und dürfte ebenfalls ziemlich angetan von ihr sein. Und wer den alten Knacker und Querulanten für sein Album zu gewinnen vermag, der kann doch eigentlich nicht schlecht sein, oder?