von Kristoffer Leitgeb, 17.10.2014
Die größte Überraschung: Die Welt hat schon weit Schlimmeres gehört.
Objektivität. Das höchste gut des Wissenschaftlers, des Journalisten, natürlich auch des Kritikers. Man strebt ja nach Allgemeingültigkeit, nach der wahrsten Wahrheit und dem, was gemeinhin als richtig bezeichnet wird. Und dann will man es doch wieder nicht so ganz. Viel eher wird es zum Sport, so viel Überzeugungskraft an den Tag zu legen, dass auch die obskurste Meinung noch Anklang beim Publikum findet. Wie sonst ließen sich manche meiner Bewertungen erklären? Zu guter Letzt trifft man dann auf Justin Bieber und sieht sich einer aussichtslosen Situation gegenüber. Wie auch ein noch so geringes Maß an Objektivität wahren, wenn eine künstlich generierte Karriere in solch unrühmlicher Art aufblüht und die Welt belagert? Und wo, bitte, soll die extravagante Meinung herkommen, wenn jeder weiß, dass da kein sonderlich talentierter Typ auf dem Cover zu sehen ist? Fazit: Ich kann den Review auch gleich bleiben lassen!
Oder ich schreib ihn einfach.
Ein bisschen was gäbe es nämlich doch noch anzumerken zu dem Schwarm aller 11-jährigen Mädls und Liebling deren Mütter. Denn hinter diesem Bürschchen steht Usher und Usher weiß natürlich was gut für die Welt, viel mehr aber noch für seine Geldbörse ist. Der Erfolg ist also vorprogrammiert, so ganz kann man dem Album seine 'catchiness' und ein gewisses Gefühl für ordentliche Pop-Songs aber auch nicht absprechen. Ins Ohr geht natürlich alles. Ob man das im Endeffekt will, steht üblicherweise auf einem anderen Blatt. Betrachtet man also Hyper-Mega-Hit Baby wird einem zweierlei klar: Er nervt dank stupidster, komplett unglaubwürdiger Zeilen, er gefällt mit ordentlichem Beat und gekonnt eingespielten Synths. Er nervt aber dann doch eher, als dass er gefallen könnte und so steht's dank des globalen Charttoppers erstmal 1:0 im Duell gekünstelter Unsympathler gegen die professionelle Produzentenmaschinerie.
Und tatsächlich, der Ausgleich und sogar die Führung sollte gelingen. Mit Somebody To Love hat Usher den eindeutigen Top-Track der LP auf netteste Art hinbekommen. Dezenter R'n'B-Hauch durchzieht den Dance-Track, der einen frappant an den anderen Justin, den Timberlake nämlich, erinnert. Eine Party-Nummer, die den Namen verdient und wenn überhaupt nur dank dem Namen Justin Bieber kein Lob bekommt. Ein großartiger Beat trifft nicht nur wieder auf ordentliche Synthesizer, sondern diesmal auch auf spärliche, aber ordentliche Einsätze von Usher und Lyrics, die dem 15-Jährigen noch weniger nahe, aber auch gleichzeitig weniger exponiert sind. Verstärkt wird die Riege der ordentlichen Momente von den Michael Jackson-Reminiszenzen U Smile und Runaway Love, beide mit R'n'B- und Motown-Feel, erinnert vor allem Ersterer an die jungen Jahre des King of Pop, überzeugt mit lockerem Klavier-Part als natürlichste Nummer des Albums. Auch weil zum ersten und einzigen Mal hier so etwas wie Glaubwürdigkeit in den liebestrunkenen Lyrics steckt. Runaway Love dagegen kommt für Bieber wohl 10 Jahre zu früh, bleibt aber musikalisch und stimmungsmäßig erfreulich entspannt und unaufdringlich.
Wo wir jetzt den Bieber-Fan - man nennt sich in solchen Kreisen ja 'Belieber', ich darf ein #facepalm einschieben - in mir zu Wort kommen haben lassen, soll der Kontrahent nicht warten müssen. Tatsache ist nämlich, die Luft ist draußen aus dem Jungen, viel mehr aber noch aus der fähigen Crew im Hintergrund. Es türmt sich Fehler um Fehler auf, was einer schon vorher nicht glänzenden LP schnell den Rest gibt. Wir ignorieren die zwei drei schwächeren Tracks, stürzen uns dafür gleich aufs wirklich schlechte Zeug. Das bildet ein langes Fade-Out beginnend mit der miserablen Ballade Overboard. Nun, einem Halbwüchsigen einen potenziell gefühlvollen Song vorzusetzen ist schon die erste Fehlentscheidung, könnte doch keine Botschaft als die des Gequälten und unglücklich Verliebten unwirklicher rüberkommen. Beeindruckend verstärkt wird das dadurch, dass man ihm die Geschichte auch noch als Duett aufzwingt und ihm die stimmlich klarerweise weit fähigere Jessica Jarrell als 'Partnerin' hinstellt. Der hört man das vergleichsweise hohe Alter an und so macht sie eigentlich kurzen Prozess mit Bieber ohne selbst viel dafür tun zu müssen. Wobei, es soll gesagt sein, dass auch Closer That Should Be Me als ruhiger Schlusspunkt ähnlich unsympathisch, diesmal auch reichlich dümmlich daherkommt. Und sogar eine dritte Ballade schafft's rauf. Up ist folgendermaßen schnell beschrieben: Backstreet Boys' unspektakulärste Gefühlsduselei ohne die im Grunde talentierten Sänger der Boy Band. Man sieht, die Substanz des Songs ist alles andere als unerschöpflich.
Beeindruckend ist aber, dass diese dramatische Gefühlsheuchelei nicht ganz an den absoluten Tiefpunkt der LP heranreicht. Eenie Meenie heißt der und das mulmige Bäuchlein, das einem der Titel bereitet, verschwindet durch die Musik nicht. Wir wollen davon absehen, dass sich der Track musikalisch an vorhergehenden Nummern, vor allem Baby, orientiert und deswegen allein schon fad daherkommt. Viel wichtiger ist die beschissene Pseudo-Checker-Botschaft, die einem Sean Kingstons sinnfreier Gastauftritt und der hirnbefreite Refrain vermitteln. Warum, lautet die wichtige Frage. Die Antwort muss man wohl aus Usher herausquetschen.
Um aber kurz noch einmal zur Ehrenrettung heranzuschreiten, sei gesagt, dass die Antipathie gegenüber Bieber keine rein musikalisch motivierte sein kann. Denn weder das kindliche Stimmchen, noch die heuchlerischen Texte zerstören so viel, dass diese gerechtfertigt scheint. Vor allem der endlose Verweis auf den miserablen Gesang ist mir ein kleines Rätsel, kann doch die Erwartungshaltung an den Jüngling nicht die größte sein. Ja, er kann wenig, trifft kaum einen Ton, aber die Wahrheit ist, dass das im wenig anspruchsvollen Dance Pop-Genre keine einzigartige Eigenschaft ist und dass damit kein Album zur Gänze zerstört wird.
Trotzdem lautet das lauwarme Endresultat 3:6. Ein klarer Sieg also für die entbehrliche Heuchlernummer über die routinierte Hilfe von Usher und Konsorten. Äußerst fragwürdige Song-Picks und teilweise bedenklich unspektakuläre Arrangements zerstören hier viel von dem, was in der ersten Hälfte zumindest notdürftig aufgebaut werden kann. Dort darf nämlich mal von gelungenen Pop-Ansätzen und in Wahrheit sogar recht unterhaltsamen Minuten die Rede sein. Ein bisschen Potenzial scheint da doch durchzukommen, viel eindeutiger ist aber die Erkenntnis, dass ein 15-Jähriger weder gesanglich etwas vorzubringen, noch inhaltlich auch nur das Geringste mitzubringen hat. Zumindest dann nicht, wenn im Hintergrund ein millionenschwerer R'n'B-Maestro die Fäden zieht und ihm reichlich unpassendes Zeug in den Mund legt. So kommt's, wie es kommen muss: "My World 2.0" ist vorhersehbar, ungefährlich, aber eben auch genauso uninteressant. Ordentlich Kohle hat es den Beteiligten ja gebracht, die Musikwelt hätte auch ohne überlebt. Aufs Äußerste hassen muss man den Kanadier deswegen dann aber doch nicht unbedingt. Die Welt hat Schlimmeres gehört. Die Frage aller Fragen lautet nun, war das jetzt objektiv oder subjektiv....