Joshua Radin - We Were Here

 

We Were Here

 

Joshua Radin

Veröffentlichungsdatum: 13.06.2006

 

Rating: 8 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 07.02.2015


Akustischer Liebeskummer zwischen unendlichem Sanftmut und endgültiger Selbstauflösung.

 

Es gibt ja bekanntermaßen nicht allzu viel, was diese unsere Menschheit in ihrem vollen Umfang miteinander verbindet, jetzt mal abgesehen von der offensichtlichen Vorliebe für Sauerstoff und Wasser. Noch nicht einmal der uns ureigene Egoismus und der latente Hang zu Streitigkeiten in groß und klein scheint so ganz universell vertreten zu sein. Da ist es dann vielleicht wieder ganz gut, dass es die Liebe gibt. Nach der suchen wir doch irgendwie alle. Oder wir wollen sie zumindest. Oder wir haben sie gerade. Oder wir glauben zumindest sie zu haben. Und doch, die Zahl derer, die ihr sehnsüchtigst hinterherlaufen oder gar nachweinen müssen, scheint in der Musik eine außergewöhnliche Sonderstellung einzunehmen. Eine Unmenge verlorener Seelen tummelt sich im weiten, weiten Feld der akustischen Lebensbegleiter, genannt Künstler. Radin scheint eine davon zu sein.

 

Womit er dann auch ganz dem Klischee entspricht. Ein dem Folk-Rock zugewandter junger Mann ist nämlich grundsätzlich kaum einmal gut drauf. Vielleicht ein bisschen eher, wenn er in der Tradition von Paul Simon steht, nachdem die bedeutendste Inspirationsquelle für den US-Amerikaner aber genauso gut Elliott Smith heißen kann, hebt sich ein solcher, möglicher Trend in Richtung unerwarteten Positivismus auch gleich wieder auf. Nein, die akustische Gitarre untermalt schon Oden an die Verflossene. Auf durchaus schöne Weise, wie man bald merkt. Songs wie Closer leben zum Teil von ihren dezenten, zerbrechlichen Arrangements, umso mehr aber noch von Radins Stimme, die sich durch seine melancholisch-betrübten Texte haucht und flüstert. Unterlegt mit den omnipräsenten Streichern, die allzu selten so etwas wie Aufbruchsstimmung zu vermitteln versuchen, ergibt das ein Bündel wohlgeformter Popsongs.

 

Jeder, der nun mit Interpreten solcher Couleur vertraut ist, der kennt auch den Hang zum Uniformen und der dementsprechenden Eintönigkeit so mancher ruhig anklingender LP. Radin entflieht dem aber eher durch Glück als Verstand. Das Album startet nämlich denkbar unvorteilhaft mit dem vom tiefen Cello in gezupfter und gestrichener Form überlagerten Sundrenched World. Dort kommt der Solist nur schwer gegen das spärliche, aber eben doch gewichtige musikalische Drumherum an, haucht eher unpassend ins Mikrofon. Wo also früh die Erwartungen äußerst niedrig sind, startet eine beispiellose Aufholjagd. Denn gleicher Sound hin oder her, "We Were Here" wird besser und besser. Immer mehr laden die Tracks dazu ein, in längst vergessenen Gedanken zu schwelgen, der Mischung aus sanftmütiger Hingabe und perspektivenloser Trauer anheim zu fallen. Anfangs schaut's kaum nach so etwas aus, markieren doch die durchaus hellen Star Mile und Everything'll Be Alright (Will's Lullaby) im Großen und Ganzen die freudigsten Minuten der LP. Dort stellt sich die Reminiszenz an die verloren gegangene einzig Wahre noch eher als Liebeslied im eigentlichen Sinn dar. So ganz vereinnahmt er einen damit nicht, erst später erweist sich das allerdings als passende Einleitung.

 

Denn dank der einförmigen Arrangements - Akustikgitarre und Cello werden nur sporadisch von Klavier und anderen Kleinigkeiten unterstützt - merkt man erst spät, in welch aussichtslose Sphären sich die Stimmung bald begibt. Während das überraschend schnelle Today mit seinem erfrischenden Beat noch fast so etwas wie Lebensfreude vermuten lassen würde, leitet Winter in Windeseile ein beeindruckendes und emotionales Finish ein. Und es sollte ein durchaus langes werden. Denn der Song, der ihn anno dazumal durch 'Scrubs' auf der Bildfläche erscheinen ließ, markiert mit seiner tristen Ruhe nur den Beginn. Als solcher zeigt er sich auf großartige Weise vorsichtig, stellt Radins Idee des 'Whisper Rock' ins bestmögliche Licht. Amy's Song oder What If You prolongieren genau das. Im Ersten regieren die Streicher wieder mit, sorgen aber mit ihrem tiefen, winselnden Klang für eine treffende Untermalung. Dazu kommt Priscilla Ahn, deren ähnlich zerbrechliche Stimme das ganze Album lang als wichtige Begleitung dient, schon vorher als guter Kontrast zu Radins Stimme fungiert. Auch in What If You, das sich überhaupt als stimmigste und emotionalste Performance erweist. Während die Celli weiter für Grabesstimmung sorgen, erweist sich der Song als Trennungsballade, die durchaus unter die Haut gehen kann:

 

"I might not be leaving

Oh so soon

Began the night believing

I loved you in the moonlight

 

So, for tonight

I'll stay here with you

Yes, for tonight

I'll lay here with you

 

But when the sun

Hits your eyes

Through your window

There'll be nothing you can do"

 

Dass er in der Folge mit dem Yazoo-Cover Only You eine positive Note zum Abschluss setzt, ändert nichts mehr daran, dass die LP ihren emotionalen Tiefpunkt, gleichzeitig aber qualitativen Höhepunkt erreicht hat. Und doch wird der Closer noch einmal zu einer äußerst starken Vorstellung des Gesangsduos Radin/Ahn.

 

Jetzt darf man natürlich nicht den durchwachsenen Beginn vergessen, die Objektivität verbietet es. Deswegen muss man doch wieder eingestehen, dass das Debüt des ruhigen (beinahe-)Solisten nicht auf allen Ebenen überzeugt. Trotzdem auf sehr vielen, was wiederum den schwächelnden ersten Minuten zu verdanken ist. "We Were Here" entfaltet seine Stärke und emotionale Tiefe langsam, aber sehr sicher. Und so wird das, was als ein Folk-Pop-Album unter ach so vielen beginnt - nur diesmal mit Zach Braff als prominentem Fan -, bald zu einer von ehrlicher Einfachheit geprägten Vorstellung, die es ab und an durchaus schafft, die so unglaublich simplen und doch wieder unglaublich komplizierten Gefühlslagen des hoffnungslos Verliebten einzufangen. Ein Hoch also auf diese verlorene Seele!

 

Anspiel-Tipps:

- Winter

- Amy's Song

- What If You

- Only You


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