von Kristoffer Leitgeb, 09.07.2020
Die Rückkehr des Flüsterbarden und der Verpflichtung zur gefühlvollen Zurückhaltung.
Dass der Schuster bei seinen Leisten bleiben müsste, ist natürlich heutzutage, in diesen Zeiten der Selbstverwirklichung, der freien Entfaltung und der beruflichen Erfüllung eine Binsenweisheit, die ein bisschen Staub angesetzt hat. Heut kann jeder alles, wenn er nur will. Sogar Feuerwehrmann werden. Oder Präsident der USA. Man braucht nur Gott auf seiner Seite. Und vielleicht so 70 Millionen Wähler. Das geht ganz leicht. Andererseits hat es etwas für sich, wenn man seine Leisten kennt und sich darauf zu besinnen weiß, warum bei denen zu bleiben eine durchaus kluge Wahl sein könnte. Immerhin kann man mit denen was anfangen, sodass auch etwas Brauchbares herausschaut, wenn man fertig ist. Andernorts kann das leicht ganz anders aussehen. Das wissen auch all jene Musiker, die ihre Nische haben, dort durchwegs überzeugen, dann aber irgendwann einmal auf die Idee kommen, das bleiben zu lassen und stattdessen auf stilistische Wanderschaft zu gehen. Wie oft ist sowas schon ins Auge gegangen. Bei Joshua Radin immerhin dann doch nur ein einziges Mal, ausgerechnet aber zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, als er drauf und dran war, kommerziell Fuß zu fassen. Daraus ist nichts geworden, dafür folgte die schnellstmögliche Rückbesinnung auf die Stärken der eigenen Nische, die mit "Underwater" wieder voll entfaltet werden sollen.
Nachdem "The Rock And The Tide" ein relatives Fiasko und der darauf zum Besten gegebene Pop-Rock eine unterwältigende, zu oft den Radin'schen Vorzügen fernen Affäre geworden ist, braucht es auch wirklich etwas, das einer qualitativen Wiederauferstehung gleich kommt. Nur so kann das Abrutschen ins Mittelmaß verhindert werden, auf dass es zwei Alben später erst recht einzementiert werden kann. Vorerst steht aber die Rückkehr zu alter Stärke an, die sodann auch den Weg retour zum angestammten Klang einer LP des US-Amerikaners bedeutet. Die Stimme ist wieder vermehrt seinem Credo des "Whisper Rock" verpflichtet, segelt butterweich durch ebenso sanftmütige Arrangements. Folk-Pop nennt sich wohl das meiste, hier und da mit leichten Country-Einschlägen, andernorts wieder mit süßlich-dramatischer Orchestrierung. Die ist wohl auch der deutlichste Kontrast zum großartigen Debüt des US-Amerikaners. War dort die Zurückhaltung noch dermaßen ausgeprägt, dass den zaghaften Zupfern an der Gitarre oft wenig bis gar nichts, für den dramatischen Effekt maximal ein Cello zur Seite gestellt wurde, bekommt man hier andere Eindrücke. Ohne größer dimensioniert zu wirken, werden öfter volle Arrangements geboten, Drums sind omnipräsent, Streicher und Bläser bekommen ihre Einsätze in verhältnismäßig raumfüllender Manier. Dominant sind sie deswegen noch nicht, dazu ist der Fokus zu sehr auf Radin, egal ob an seinen sechs Saiten oder singend. Aber der Unterschied ist markant.
Er wirkt sich aber nur sehr selten deutlich aus, wie man bereits im dezenten Opener Tomorrow's Gonna Be Better merkt. Ja, da wird auf unterstützende Streicher gesetzt, aber zentral ist Verlass auf einen hauchenden Sänger und helle, lockere und harmonische Akkorde an der Gitarre. Eine etwas seichte Annäherung an Nick Drake könnte man es nennen, ohne dessen vereinnahmende Stimme, ohne dessen omnipräsente Einsamkeit. Die stilistische Ähnlichkeit ist aber da. In einigen der gelungenen Minuten des Albums sollte das auch so bleiben. Das dezente, düster anklingende Everything entfaltet eine dem legendären Briten noch ähnlichere Stimmung, The Willow ist trotz teils melodramatischer wirkender Streichereinsätze eine gleichzeitig gefühlvolle und triste Darbietung, die unter die Haut geht. Will man es dagegen positiver, bleibt einem die zerbrechlich wirkende Melodie von Lost At Home.
Der US-Amerikaner zeigt allerdings auch genug Facetten, die über diesen nahezu ultimativen Minimalismus hinausgehen oder auch nur atmosphärisch komplett anderes Terrain betreten. Anywhere Your Love Goes biegt mit schwerfällig trabenden Drums in Richtung melancholischen Country-Folk ab, Let It Go ist sonnigster Folk-Pop und Underwater wird mit dramatischen Klavieranschlägen und rollenden Drums zur dramatischen, countryfizierten Inszenierung, aus der trotzdem Leichtigkeit spricht. All dem gemein ist, dass es gefällig arrangiert und gespielt ist, aber wenig dessen mitbringt, was für großartiges Liedgut reichen würde. Es sind musikalische Leichtgewichte, die auch atmosphärisch und emotional zwar eindeutige, aber ziemlich schwache Signale aussenden.
Solch ein solides, wenn auch kaum überwältigendes Fundament ist aber viel wert, vor allem im Vergleich mit den wenigen, aber spürbaren Fehltritten des Albums. Here's Where We Begin und Any Day Now sind es, deren übertriebene Orchestrierung einen Schritt zu weit geht und Radins sanften Gesang in den Schatten stellt, aus eigentlich dezenten Folksongs plötzlich kitschige bzw. schwergewichtige Gebilde macht, die nicht dazu in der Lage sind, emotionalen Eindruck zu hinterlassen.
Im Lichte dieser miserablen Minuten ist es gut, dass einem gegen Ende des Albums auch noch einige Highlights erwarten, die auch gleich unterschiedliche Marschrichtungen einschlagen. Zur atmosphärischen Tristesse von The Willow gesellt sich so einerseits One More, das sich zwar gewohnt hauptsächlich auf die akustische Gitarre und leichte Celloeinsätze verlässt, dabei aber eine unterschwellige, verzweifelte Wut verkörpert, die so in Radins Repertoire bis dahin nicht zu finden war und die spürbare Ausweglosigkeit des Texts ideal unterstreicht: