von Kristoffer Leitgeb, 29.03.2014
Ein vorsichtiges Abtasten in Richtung Rock. Für Radin heißt das: Ein Schritt vor, zwei zurück.
Blicken wir zurück auf das Jahr 2010. Die Weltwirtschaft glaubt daran, dass die große Krise im darauffolgenden Jahr ihr Ende finden wird. Wenig später haben wir 2014 und die Krise ist lebendiger denn je. Musikbegeisterte auf dem gesamten Globus glauben daran, dass Justin Biebers LP-Debüt "My World" nur der Höhepunkt einer schmerzlichen Kurzzeiterscheinung ist. Wenig später ist 2013 und der Kanadier hat seine vierte US-Nummer 1 in der Tasche. Joshua Radin glaubte im Jahr 2010 daran, dass es für ihn das Beste wäre, sich von seinem Ursprungssound zu verabschieden und mal die Fetzen fliegen zu lassen, sprich statt Akustik-Pop mal den mit E-Gitarren auszuprobieren. Einziger Unterschied zu den anderen: Bei ihm braucht's nicht Jahre, um diesem Glauben ein Ende zu bereiten.
Irgendwas läuft da nämlich schief. Was, werden manche fragen. Weiß nicht, werde ich antworten. Denn so oft kann man manchen Song hier gar nicht hören, dass man wirklich herausfinden würde, was ihn denn nun davon abhält, gut zu klingen. Zumindest das Bemühen des US-Amerikaners ist nämlich von Beginn weg allzu offensichtlich. Sechs lange Jahre hat es gebraucht, bis Radin die Gitarren tauscht und mal die lautere zur Hand nimmt, dann aber doch gleich in allen Richtungen. In Wirklichkeit noch immer nur die eine und einzige für ihn, die des Pop-Rock. Darunter mischen sich aber Anleihen von Country, Synth-Pop, Gospel und dessen, was man als Rock 'n' Roll bezeichnen will.
Wenn's also an den Ideen nicht mangelt, dann wohl eher am Talent. Denn bei allem Respekt für Radins allzu oft gelungene Folk-Auftritte, die er mit beeindruckender Konstanz abliefert, abseits davon rutscht er mit ähnlicher Konstanz ins Mittelmäßige ab. Die schnelleren Tracks, Opener Road To Ride On oder auch Here We Go, leiden an offensichtlichem Substanzmangel im Textlichen und fehlender Angriffslust im Musikalischen. Beide sind auch mit leichtem Country-Feeling oder anstrengenden Synthesizern alles andere als markant, gehen unter in einem riesigen Pool - ungefähr die Größe des Atlantik - an Pop Rock-Tracks, die Jahr ein, Jahr aus die Charts überschwemmen. Dazu kommt Radins streichelweiche Stimme, die genial wirkt, wenn sie seinen 'Whisper Rock' transportieren soll, nicht aber als Fremdkörper in einem für seine Verhältnisse zu lauten Soundgewand.
All das hätte man sich auch vorher denken können, war doch auf beiden Vorgänger-LPs nichts außer dezenter akustischer Begleitung wahrzunehmen. Überraschender ist da schon die Schwäche in seiner Paradedisziplin, der in die weite Welt gehauchten Ballade. Gerade da wäre Terrain gut zu machen, sind sie doch diesmal nicht in breiter Front, sondern nur vereinzelt anzutreffen. Leider geht das Rezept aber auch in den ruhigen Songs, namentlich You Got What I Need oder auch One Leap, nicht einmal annähernd auf. Neben den Up-Tempo-Nummern verkommen nämlich gerade die zu den Album-Langweilern, werden auch mit nur knapp mehr als drei Minuten Länge ziemlich ermüdend. Zugegeben, mit The Rock And The Tide und Think I'll Go Inside trifft er dann doch auch wieder annähernd dorthin, wo er in seinen besten Minuten mit Leichtigkeit hinkam. Einerseits ein ordentlicher Mid-Tempo-Akustik-Track mitsamt einprägsamem Refrain, andererseits eine etwas langatmige, letztlich aber doch berührende Vorstellung, die perfekt auf sein starkes Debüt gepasst hätte.
Der Rest des Albums fügt sich entweder nahtlos in das alles überstrahlende Mittelmaß ein oder er präsentiert sich dann doch mal als positive Überraschung. Die kommt dann gleich im Doppel: The One's With The Light und You're Not As Young sind als schnellste und gleichsam 'rockigste' Songs hier auch die Albumfavoriten - mit dem Piano-Pop von Streetlight als sympathischem Farbtupfer dazwischen - und bieten mehr Leben als die restliche LP zusammen. Dort wird, so wahr Gott mein Zeuge ist, so etwas wie Rock 'n' Roll gelebt, dazu die vielleicht einprägsamste Zeile des Albums präsentiert ("And all the time you talk about the way you feel / We're sick of what you reveal"), die zumindest dann witzig ist, wenn sie von Mr. Herzschmerz persönlich kommt.
Dass man in Joshua Radin aber auch keinen revolutionären Erneuerer zu Hören bekommt, muss man natürlich immer im Hinterkopf behalten. Vor allem deswegen, weil schon oft genug Musiker aufgetaucht sind, die ihm gerade auf diesem Terrain den Rang ablaufen. Vielleicht liegt also gerade dort der Hund begraben. Der Schritt weg vom Altbewährten kommt fast auf jeden Künstler irgendwann zu, insbesondere dann, wenn man sich im ziemlich kleinen Fleckchen des Folk-Pop eingenistet hat. Das Risiko, das damit verbunden ist, bekommt Radin anno 2010 aber recht deutlich zu spüren, gelingt ihm doch im lauteren Gewand wenig vom Gezeigten wirklich.
Was aber noch nicht das letzte Wort hier sein soll. Denn trotz so manch zäher Minute und Vielem, dem das Wort 'einprägsam' nicht verliehen werden kann, ist "The Rock And The Tide", wie es sich nun einmal für das Genre gehört, erfreulich unaufdringlich. Deswegen kann man all das, was einem hier geboten wird, ob akustisch oder doch mit Strom dahinter, locker wegstecken und sich mit den wenigen guten Minuten begnügen, ohne in großes Wehklagen zu verfallen. Stattdessen muss man sich mit einem Album abfinden, dass einen fast durchgehend kalt lässt, einem dabei aber wenigstens nie auf die Nerven geht.