von Kristoffer Leitgeb, 08.09.2018
Musikalisch versierter denn je und doch arm an emotionalem Gehalt, steckt Radin im Zwiespalt fest.
Klassischerweise bleibt man einem Musiker oder einer Band, die einmal das Interesse geweckt oder hinreichend begeistert haben, relativ lange treu. Da werden auch Fehltritte oder Mittelmäßigkeiten geduldet und vermeintlich vergessen, weil ja schon die gute Basis gelegt ist, auf der eigentlich nur mehr aufgebaut werden muss. Meist endet so etwas nur auf zwei Arten: Entweder vollführt der Interpret der Wahl eine künstlerische Kehrtwendung und manövriert sich damit ins geschmackliche Abseits, sodass man nur mehr in der Hinsicht gewillt ist, ihm Aufmerksamkeit zu widmen, als dass man wissen will, wie schlimm es noch wird. Oder aber - und das ist in Wirklichkeit weitaus bitterer - es setzt ein stetiger, schleichender und erst spät spürbarer Verfall des Interesses ein. Gut, die Qualität sinkt relativ selten wirklich schleichend, aber dann auch wieder nicht durch einen kompletten künstlerischen Offenbarungseid. Es wird stattdessen einfach ein bisschen fad und vorhersehbar und der qualitative Abstieg auf eher schmerzhafte Art sichtbar. Genau so geht es einem mit Joshua Radin, der zunehmend darum kämpft, mangelnde Substanz in seinen Songs mit musikalischer Aufrüstung auszugleichen.
Das wiederum gelingt ihm durchaus, nur eben nicht unbedingt in ausreichendem Maße. Weswegen mittlerweile der Punkt gekommen ist, an dem der Durchschnitt zum Hauptwohnsitz seiner Alben geworden ist. Das liegt, wie gesagt, weniger in der musikalischen Einförmigkeit begründet. Eher untypisch für einen verhaltenen Folk-Pop-Troubadour, der anno dazumal kaum mehr als eine Gitarre gebraucht hat, hält sich die Monotonie in seinen Kompositionen in Grenzen. Gleichzeitig ist ihm das verloren gegangen, was das Um und Auf für gerade diese künstlerische Spezies ist, nämlich die ausreichende atmosphärische und emotionale Aufladung seiner Songs. Und weil er zwar mittlerweile so einiges in puncto Arrangements dazugelernt hat, gleichzeitig aber an der Einfachheit der Melodien nie geschraubt werden wird, ist das mit der Langlebigkeit seiner Alben nunmehr so eine Sache.
Wie sich das ausdrückt, wird auch bei dieser Tracklist sehr deutlich. Denn der Anfang überzeugt, musikalisch wie mitunter auch auf der Gefühlsebene. Das eröffnende We'll Keep Running Forever ist zwar genauso wie das Gastspiel von Sheryl Crow, Beautiful Day, textliche Schmalspurarbeit der 08/15-Serie, gleichzeitig aber dank behändem Country-Einschlag mehr als hörbar. Dafür packt Radin die Pedal Steel, das fast nach Mellotron klingende Keyboard und mittendrin einen kernigen E-Gitarrenriff aus, die sich zu einem glattpolierten, aber effektiv dahinschwebenden Ganzen verbinden und trotz mangelndem Antrieb durch die akustische oder Drums für seine Verhältnisse verdammt lebhaft wirken. Daraus spricht einfach Harmonie, genauso wie aus dem folgenden, von Mumford & Sons abgepausten Belong, dessen stumpf stampfender Beat, dazugemischte Claps und lockere Mischung aus Gitarre und Banjo für die vitalsten Minuten der LP sorgen. Unabhängig davon, dass eine LP solchen Schlages für Radin der kreative Tod wäre, ein solcher Song und das Album lebt auf wie sonst nie.
Das hat allerdings schon auch damit zu tun, dass der Rest fast durch die Bank sehr mäßig ausfällt. Die Tendenz geht auch sehr beständig bergab, sodass man in der zweiten Hälfte irgendwann die Hoffnung auf ertragreiches Liedgut aufgibt. Urplötzlich verengt sich auch der Aktionsradius wieder. Die letzten Tracks bringen damit auf lähmend wirkungsarme Art vergangene Alben zurück ins Gedächtnis. Das eher lieblos heruntergespielte Folk-Stück Away We Go dümpelt in den Sphären von "The Rock And The Tide" herum, zelebriert dessen atmosphärisch scheintoten Wohlfühlpop schnellerer Gangart. Da helfen auch weibliche Backgroundstimmen nichts, allein schon aufgrund der Tatsache, dass sie so ineffektiv und sinnfrei wie nie sonst eingesetzt werden. Da ist keine Intimität und kein emotionaler Paarlauf, kein gesangliches Zwiegespräch zu spüren, sondern es sind schlichte Harmoniegesänge, die keinen Zweck außer vermeintlicher Abwechslung erfüllen. Genauso ergeht es dem Milow-Gedenksong Blow Away oder schleppendem Klavier-Folk wie dem finalen Duo aus Old Friend und My Baby, die beide in der schleppenden Zurückhaltung keine Emotion finden. Überhaupt ist es enttäuschend, wie ineffektiv Radins hoher, halbgeflüsterter Gesang in solchen Fällen mittlerweile ist, wenn es um die erzeugte Stimmung geht.
Nur in einem einzigen Moment gelingt es ihm, trotz unauffälliger Performance seinerseits einen solchen, an seine ersten Stücke erinnernden Track zu einem wirklich starken zu machen. Angels unterstützt die Akustikgitarre zuerst mit Streichern, dann Klavier, pochendem Beat und steigert sich zunehmend zu einem "Wall of Sound"-Pop, dessen beschwingter Sound und lockere Hook sich eher unerwartet verdammt gut mit Radins unaufgeregter und komplett dramabefreiter Stimme vertragen. Es hilft, so etwas zu hören, sonst könnte man glauben, die mutige, unterhaltsame, aber doch verdammt durchwachsene Mixtur von Let Our Sun Shine Down wäre die Zukunft des Songwriters. Dass sich da drin Gitarren, Drums, Harmonium eher chaotisch zu einem quirligen Refrain vereinen und damit den gemächlichen Trab aufwerten, strengt selbst bei einmaligem Hören dezent an, hat aber einigen Wiedererkennungswert. Genauso wie der prägnanteste Versuch einer klanglichen Erneuerung, Another Beginning. Dessen gesetzter Einsatz von dissonanten, schweren Keyboardtönen - wiederum im Mellotron-Stil - gibt dem verlassenen Gesang der Ballade einen eigenen, durch die Streicher zum Ende hin noch verstärkten Nachdruck. Dass er sich melodisch dabei nicht gerade überhebt, macht in diesem Sinne nichts, die banale Rhythmik fügt sich in das triste Gesamtbild ideal ein.
Der Rest ist eben Rest. Dass man "Onwards & Sideways" leider ungefähr zur Hälfte so zusammen kann und muss, ist schade. Jetzt weniger aus genereller Sicht, aber durchaus mit Blick auf Radins eindringliche Debüt-LP, die einen neuen Meister des melancholisch-akustischen Solisten-Winselns erahnen hat lassen. Davon ist mittlerweile wenig übrig. Weder ist noch viel von der Akustikgitarre mitzubekommen und wenn sie prominent in Erscheinung tritt, dann so aufpoliert und semilebendig, dass es fast ausschließlich langweilt. Noch ist man mit der Melancholie am richtigen Dampfer, weil Radin mittlerweile zunehmend in ein Gemisch aus mäßig gehaltvollen, ausmusizierten Motivationsseminaren und romantischen Turteleien abdriftet. Das hat bei Zeiten durchaus seine Vorteile und erlaubt eine größere musikalische Bandbreite, die er mitunter durchaus effektiv und interessant zu nutzen weiß. Es macht aber ein wirklich gutes, einigermaßen konstantes Album beinahe unmöglich und verdammt ihn dazu, mehr und mehr ein lauwarmes Gefühl zu hinterlassen.