von Mathias Haden, 10.06.2015
Der Ex-Beatle sucht sein Heil in glatteren Sounds, bleibt damit zumindest in kommerzieller Hinsicht überaus erfolgreich.
Damit Kollege Paul McCartney nicht einsam seine Runden dreht und alleine das Erbe der Beatles auf seinen Schultern trägt, gibt's heute Verstärkung vom großen Songschreibpartner John und seinem Klagelied in LP-Länge, Lennons zweitem Solowerk Imagine. Über ein Jahr war vergangen, seit die Beatles offiziell die Segel strichen - zum letzten Mal zu viert im Studio war man ohnedies bereits im August 1969 gewesen -, ein tolles Album (John Lennon/Plastic Ono Band) voller aufgestauter Gefühle, 'Urschreitherapie' und rudimentärer Produktion folgte. Auch konnte Lennon die Vergangenheit und die Ex-Band zumindest teilweise ruhen lassen, denn die Aufnahmen zu Imagine sollten sich in gewisser Hinsicht wesentlich entspannter gestalten, wie schon die Anwesenheit George Harrisons belegt. Gebracht hat es einiges, denn wie der Vorgänger wurde die LP von Kritikern mit Handküssen aufgenommen, im Gegensatz zu diesem aber auch zum internationalen Verkaufsschlager; dies hat mehrere Gründe.
Etwa, weil Lennon hier wieder zu einem Sound zurückkehrt, der eine aufwendigere Bearbeitung genießt und nicht so klingt, als wären seine Stücke in der Stube nebenan kurz eingespielt worden, und freilich auch, weil er mit Opener, Titeltrack und Lead-Single eine Nummer im Gepäck hat, die zur Hymne des 20. Jahrhunderts heranreifen durfte und auch heute noch in jeder Radiostation mit Pop-Affinität bei aller seelischer Bekümmertheit höchst unbekümmert ihre Runden dreht und bei mindestens drei von vier Werbungen mit der Intention zum kollektiven Aufrütteln verwendet wird. Klar, mit seiner ergiebigen Mischung aus dominanten Klaviertönen, dezenten Streichern und Lennons wehmütigem Gesang rührt die Friedenshymne besonders in unregelmäßigen Intervallen ganz besonders, zählt damit auch locker zu den besten Tracks der LP, erschöpft sich in seinem Weltschmerzgejammer letztlich aber doch etwas. Apropos Erschöpfung: So gut gemeint die politische Message im sechsminütigen, polternden I Don't Wanna Be A Soldier auch sein mag und so stark sich die anwesenden Musiker, angeführt von Harrisons Slide Guitar und den voranpreschenden Drums, auch präsentieren, viele Durchläufe überlebt das angefachte Interesse an der starken musikalischen Darbietung nicht, zu anstrengend der monotone, aggressive Gesang des ganz und gar bestimmten Protagonisten.
Auch wenn man an dieser Stelle bereits annehmen könnte, dass sich die Themenvielfalt gegenüber dem Vorgänger wieder überwiegend über die Grenzen der eigenen vier Wände hinaus erstreckt, so belehrt uns der charismatische Sonderling wieder einmal eines Besseren und bittet zur öffentlichen Therapiestunde auf die Freud'sche Couch. Jealous Guy hätte thematisch etwa ausgezeichnet auf besagtes Debüt gepasst, ebenso Crippled Inside. Während ersterer mit seinem gefühlvollen Gesang und der hübschen Melodie tatsächlich wieder etwas an der verletzlichen Schale des Sänger schabt, ist letzterer mit seinem countryesken Arrangement musikalisch ganz gut dabei, leider harmonieren sein ernster Text und die gesangliche, eher ins humorvolle abdriftende Performance nicht so perfekt, wie man sich das erhofft hätte; dennoch durchaus hörenswert:
"You can go to church and sing a hymn
Judge me by the colour of my skin
You can live a lie until you die
One thing you can't hide
is when you're crippled inside."
Was neben der glatteren Produktion und der minimal breiteren Themenvielfalt bereits früh auffällt: obwohl Lennon hier nahezu nie in unerträgliche Sphären abdriftet, so wirklich oft ruft er sein volles Potenzial nicht ab. Selbst die ungenierte Abrechnung mit seinem ehemaligen Partner Paul ("The only thing you done was yesterday/And since you've gone you're just another day") auf How Do You Sleep? ist trotz seiner aufreibenden Spitzzüngigkeit nur songtechnische Durchschnittskost, die überladenen Streicher und dumpfer Sound runden die wenig beeindruckende Darbietung nahezu tadellos ab; das etwas im weinerlichen Gejammer untergehende How? ist mit seinen Streichern ebenfalls gnadenlos überproduziert, würde in einer abgespeckteren Version besser funktionieren.
Die besten Momente hat Imagine dann auch zweifelsfrei genau dort, in seinen reduzierteren Minuten. Oh My Love hätte ganz gut auf das selbstbetitelte Beatles-Album gepasst, steht als einer der besten Liebessongs aus der Feder Lennons und überzeugt mit seiner herrlich sanften Melodie und der intimen Stimmung, die schon Stücke wie Look At Me vom Vorgänger bereicherte und um zusätzliche Tiefe erweiterte. Grandios natürlich auch das wuchtige Gimme Some Truth, auf dem die Worte wie aus sprudelnden Quellen herausspritzen und Harrison an der Gitarre wieder formidables Beiwerk leistet.
Insofern lässt sich der große Trubel, der um LP und Song gemacht wird, zwar nicht vollends nachvollziehen, ein besseres Verständnis ist dennoch gewiss. Gerade in seiner konstanten Wesensart liegt die Kraft eines Longplayers, der in sämtlichen Belangen eine Klasse unter dem tollen Vorgänger liegt, sei es bei der oftmals zu aufpolierten Produktion, dem nachdrucklosen Gebell oder den Momenten, in denen Lennon und seine Begleiter nicht so zwingend auftreten, wie in den glanzvollen Augenblicken. Nichtsdestotrotz bleibt Imagine ein gutes Album, eine logische Entwicklung und in erster Instanz ein Stück Weltkulturerbe, dass uns mit jedem Spin wieder ein bisschen näher zusammenbringt: "Imagine there's no heaven / It's easy if you try / No hell below us / Above us only sky". Peace and out!