von Kristoffer Leitgeb, 21.08.2014
Wäre die Berliner Band ein Möbelstück, es wäre der aus den 80ern übrig gebliebene, ständig wackelnde Esstisch.
Irgendwann in der Zeit, die das Säuglingsalter des neuen Millenniums darstellte, scheint man sich in Deutschland vielerorts gesagt zu haben: Ach, die Neue Deutsche Welle ist schon so lang her, jetzt brauchen wir eine Neue Neue Deutsche Welle. Die Nachbarn sind ja fleißig und so hieß es: Gesagt, getan und bald hatte man wieder mehr zu bieten als Oli P., die No Angels und ein für alle Beteiligten und Unbeteiligten schwieriges Comeback von Modern Talking. Schon waren da Wir Sind Helden, Silbermond, Ich + Ich oder Rosenstolz, die einem das Leben schwer machten und die 80er in erfolgreichster Manier mal mehr, mal weniger wieder aufleben ließen. Noch etwas näher dran an den 99 Luftballons und dem völlig losgelösten Major Tom scheinen die Berliner von Jennifer Rostock, die auch 2011 noch erfolglos am Synthie-Pop festhalten.
Fehler. Festgehalten wurde ja eben nicht. Denn das Debüt war drei Jahre vorher eine ansehnliche Mischung aus Pseudo-Punk und altbekannter chartfreundlicher Elektronik, einer zwischen ungesunder Arroganz und unglaubwürdigem Feminismus steckenden Performance von Frontfrau Jennifer Weist und ihrer merkwürdigen Zeilen. Schon damals schwierig, aber auf die sympathische Art. Damit ist es vorbei, stattdessen stellt man die Gitarren in die Ecke, holt Keyboards und Synthesizer heraus und produziert ein Konglomerat aus Disco-Nummern und streichelweichen Elektronikballaden. Leadsingle Mein Mikrofon kann ein Lied vom neuen Stil singen. Pfundiger Beat trifft billig klingende Keyboardtöne und einen gezwungen energiegeladenen Auftritt von Weist. Ein Katastrophe scheint möglich und doch kann man sich nicht von dem Gedanken trennen, dass hier nicht charakter- und ideenlos agiert wurde, dass die Erinnerung an Debütsingle Kopf oder Zahl nicht die schlechteste ist.
Dass diese Erinnerungen allerdings ihre Schattenseiten haben, beweisen Lügen Haben Schöne Beine und Fuchsteufelswild. Unnötige Minuten, denen der Begriff 08/15-Song erstaunlich gut steht, scheint doch sowohl das Gemisch aus schuldbewusst eingestreutem Riff und offensiver Elektronik ebenso wenig neu zu sein, wie die Texte, die sich genauso hören wie jene drei Jahre vorher, nur dass das Momentum lange verloren gegangen ist. Dort wird dann augenscheinlich, dass Energie fehlt und man sich auch mit den Texten nicht so leicht einverstanden zeigt wie früher. Und all das, obwohl doch im Opener gleich einmal die positive Reminiszenz an alte Tage gelingt. Der Kapitän zeigt sich im alten Bandgewand, trägt die starken Drums mit breiter Brust vor sich her, kombiniert die spärlichen Gitarreneinsätze weit besser mit dem synthetischen Allerlei, das die LP bestimmt. Und nicht zuletzt zeigt sich Weist in Bestform, wirkt erfrischend angriffig, schreibt sich durchaus nette Zeilen zusammen, auch wenn gerade der Refrain ironischerweise zum treffenden Fazit für die folgenden Minuten wird: "Der Kapitän ertrinkt / Wenn das Schiff versinkt / Du kannst mich beim Wort nehm'n / Ich werd nicht über Bord geh'n."
Tja, sie verlässt das Schiff vielleicht nicht, aber man stößt eben doch mit dem ein oder anderen Eisberg zusammen. Daran ändert auch die Abteilung der weniger reißerischen Mid-Tempo-Balladen nichts. Und doch, die poppige, alles nur nicht kantige Performance dort riecht eher nach vergebener Chance als es die Neuauflage der Elektro-Rocker tut. Während sich Insekten Im Eis als etwas stümperhaft zusammengeklöppelter Versuch einer emotionalen Beziehungskrise präsentiert, beweisen Single Ich Kann Nicht Mehr und Der Horizont mehr Potenzial auf dieser Ebene. Beide schaffen den schwierigen Spagat, Weists eigenwillige Herangehensweise an das Reimen einerseits, den durchaus ernsten Inhalt andererseits am Leben zu erhalten. Auch hier natürlich mit Abstrichen, während nämlich ersterer mit der emotionalen Gesangsperformance und der unaufdringlichen Instrumentierung punktet und textlich Folgendes zu bieten hat:
"Du zeichnest die Konturen von Türen mit Kreide an die Wand
stößt sie auf und rennst ins Dunkel, mit dem Messer in der Hand
Du ziehst in immer neue Kriege und es ist doch die selbe Schlacht
Ich hab so viele dieser Träume mitgekämpft und mitbewacht"
geht Der Horizont trotz potenziell starkem Thema vergleichsweise stimmiger Mischung aus Mid-Tempo-Rock und reißerischem Synthiegemisch in lyrischer Charakterlosigkeit, Weists Zwang extravagant zu reimen und musikalischer Monotonie bald die Luft aus. Klingt zu negativ, denn für unterhaltsame Minuten reicht's, lediglich das vergeudete Potenzial schmerzt.
Ob andernorts ebensolches überhaupt vorhanden ist, scheint eher fragwürdig. Es War Nicht Alles Schlecht startet schon als charakterlose Nummer mit ordentlichem Rhythmus, sonst aber eigentlich nicht viel, mündet noch dazu im erbärmlichen Versuch, Death Metal-Gegröle einzubauen. Zwischen Laken Und Lügen langweilt als träger, nach Stimmung haschender Mix aus pseudo-erotischer Stimmung in den Strophen und banalem Pop-Refrain. Closer Hier Werd Ich Nicht Alt ist dagegen als hyperaktive Elektroniknummer einer der Tracks, der von Beginn weg nur ein genervtes Aufstöhnen verursacht. Dass jedoch auch die synthetische Abteilung der Musik mehr hergeben könnte, beweist Meine Bessere Hälfte beinahe eindrucksvoll. Man wähnt sich in der Welt der seichten Disco-Romantik und wahrscheinlich liegt man da gar nicht so falsch, folgt man dem Gesungenen. Funktioniert trotzdem, was mit Sicherheit der wiedererstarkten Reimkunst und dem stark zusammengestellten Computersound geschuldet ist.
Auf Albumlänge scheinen aber gerade dort die Baustellen am größten zu sein und wie der Wiener weiß, lautet da das Motto: Baustellen vertragen sich mit gewissenhafter, rascher und präziser Arbeit überhaupt nicht. Hier dauert das Schauspiel aber dann nicht mehrere Monate, sondern nur eine knappe Dreiviertelstunde. Das macht die Fehlerquote nicht besser, das Leiden für die Zartbesaiteten aber um ein gutes Stück kürzer. Jene mit widerstandsfähigeren Ohren können allerdings in dieser Platte doch die ein oder andere Performance heraushören, die einen an gute Musik denken lässt. Insgesamt bleibt nichtsdestotrotz ein schwacher Verbund aus banaler Elektronik und Alibi-Rockschnipseln, der zu oft zwischen Langeweile und Unbehagen herumgeistert, zu selten zum Hörvergnügen taugt.