von Kristoffer Leitgeb, 05.06.2015
Keine Deutsch-Rock-Peinlichkeit, dafür eine unterhaltsam rockige Show.
Es gibt Bands, die haben Charakter, und es gibt welche, die haben Charakter. Natürlich gibt's auch die ohne Charakter, die bleiben aber mal außen vor. Back on topic: Die ersten sind die, die an ihre Musik fast schon integer herangehen, sich abseits von Erfolg oder Kritiken einfach mal dem widmen, was sie denn machen wollen und dabei sogar noch Tiefgang zeigen. Die guten Jungs und Mädels also, die R.E.M.s und Falcos dieser Welt. Dann sind da aber auch die, die den Begriff irgendwie so interpretieren, als müssten sie unbedingt was Besonderes sein oder machen, damit man sie auch bemerkt, wenn sie eigentlich ganz artig die Hand heben, um dranzukommen. Das sind nicht wirklich die Guten, zumindest sicher nicht deswegen. Und irgendwie gehören Jennifer Rostock dazu. Mit ihrer pseudo-feministischen Powerfrau an der Front, mit ihrem Post-Punk, der nur so Gimmick in die Welt hinausschreit, und mit den wirren Texten. Interessant nun, genau das funktioniert am Debüt ziemlich gut.
Das liegt jetzt weniger am gepflegten Image der Berliner, sondern doch weit eher an der Musik. Man schafft es nämlich ganz ordentlich, die oberflächliche Peinlichkeit einer Kombination aus der kommerziellen Hochphase der NDW und dem aufgesetzt punkigen Getue so zu gestalten, dass die gezimmerten Songs für lockere Unterhaltung sorgen. Schon der Breakthrough-Track Kopf Oder Zahl legt davon Zeugnis ab. Man kann sich damit anfreunden, dass die Synth-Sounds definitiv ins Billige abdriften, denn gleichzeitig verhindern die ordentlichen Riffs mit ihrem Vintage-Charme, dass man zu sehr daran erinnert werden könnte, dass es Dinge wie Nena irgendwann einmal gab. Dazu kommen die trocken abgemischten Drums, die in ihrer Klanglosigkeit für den nötigen Antrieb sorgen. Und schon ist die Bühne frei für Weists Zeilen, die irgendwie anders sind als die anderen. Im Kampf um flüssige Reime findet sie reichlich merkwürdige Ziele, sorgt aber so auch dafür, dass die Band tatsächlich ein ureigenes Alleinstellungsmerkmal hat.
Und mit dem im Gepäck musiziert es sich ganz gut, vor allem wenn man auf das Tempo nicht vergisst. Damit macht man im Fall von Tracks wie Feuer oder Mona Lisa einiges richtig und sorgt mit härteren Riffs sogar dafür, dass von Nachdruck die Rede sein kann. Unterhaltsam wird das vor allem deswegen, weil Gitarrist Alex Voigt mit seiner Arbeit in vielseitigere Sphären eintaucht, als man anfangs glauben könnte. Denn neben den offensichtlichen Punk-Anleihen tummeln sich auch Riffs, die einen an guten alten Blues-Rock oder gar Metal denken lassen, dann aber doch wieder mit Indie-Touch in Erinnerung rufen, in welchem Jahrtausend man sich eigentlich befindet. Und da ist es dann ganz egal, ob das in lyrische Form gegossene Selbstbewusstsein von Weist unter dem Namen Drahtseiltakt oder Himalaya daherkommt, zu gebrauchen ist es immer. Für große Höhepunkte reicht es dagegen eher selten, dafür ist aber auch Diadem zuständig. Während wir damit dank der Killer-Rhythm-Section gleich bis zurück in die Rockabilly-Tage wandern, erreicht auch das zur Schau gestellte matriarchalische Weltbild ein Allzeithoch. Wundersamerweise geht einem das auch da noch nicht ordentlich aufs Sackerl, sondern sorgt dafür, dass Weist inmitten dieser in perfekter Harmonie eingespielte Nummer irgendwie doch zur coolen Sau wird.
Ein Eindruck, der dadurch bestärkt wird, dass jegliche Ambitionen, eine andere Seite aufzuziehen, zum Scheitern verdammt zu sein scheinen. Die trübe Ballade Gedanken, Die Man Besser Nicht Denkt passt nämlich niemandem in dieser Band, verarbeitet die ohnehin herausfordernden Zeilen weit weniger gut und verdammt einen sonst starken Drummer zur unnötigen Lethargie. Da braucht keiner daran denken, dass karge Riffs und Klavier eine Hilfe sind. Die eklatante Missachtung der eigentlich schon gefundenen Erfolgsformel macht auch Mein Parfüm zum fragwürdigen Erlebnis, das mit hohem Stimmchen und Schmalspur-Surf-Rock wenig Eindruck macht. Dass man jedoch auch mit einer schnellen Nummer nicht immer zufriedenstellend agiert, beweist spätestens der Closer Ich Will Hier Raus, der wunderbar viel tut, um wüst zusammengestückelte Songparts, verfeinert mit übertriebenem Geschrei, fast unhörbar zu machen.
Man schafft sich aber wenigstens schon vorher einen Polster, der die Sache in den schwarzen Zahlen hält. Hyperaktivität ist nämlich nicht immer schlecht, kommt sie in Form des ultrakurzen Wer Hätte Das Gedacht ist es eher das Gegenteil. Eine gemächlichere Gangart wirkt dann aber doch schnell Wunder. Kind Von Dir nimmt nämlich mitnichten Abstand vom rockigen Gewand der LP, lässt aber bei niedrigerem Tempo weit mehr Raum für eingängige Melodien und eine ordentliche Gesangsperformance.
Eigentlich muss man der Berliner Band also gar nicht allzu viel vorwerfen. Auf Klassiker-Pfaden wandelt man mit diesen Songs zwar nie und nimmer, in Anbetracht der möglichen Peinlichkeit, die der Deutsch-Rock erwiesenermaßen sein kann, ist das eigenwillige, durchaus energiegeladene LP-Debüt aber mehr als nur Magerkost. Wenn das Quintett ordentlich aufdreht, dann ist gute Unterhaltung garantiert. Und das tut man angeführt von Jennifer Weist dann doch noch oft genug, um sich mit gefährlichen Ausritten in andere Gefilde vor Kollateralschäden zu bewahren. Selbst wenn dabei Vieles mehr nach exzentrischer Show riecht, als dass man irgendwo so etwas wie ehrliche Emotionen vermuten könnte, macht das den Fun-Faktor von "Ins Offene Messer" alles andere als zunichte.